1 Leitsatz
§ 93 ZPO ist bei Anfechtungsklagen nach § 46 Abs. 2 WEG a. F. gegenüber den Wohnungseigentümern nicht anwendbar.
2 Normenkette
§§ 46, 49 WEG a. F.; § 93 ZPO
3 Das Problem
Wohnungseigentümer K erhebt eine Anfechtungsklage. Die beklagten Wohnungseigentümer erkennen sofort an. Fraglich ist, ob § 93 ZPO anwendbar ist. Ferner ist fraglich, ob der Verwalter V die Kosten des Rechtsstreits tragen muss.
4 Die Entscheidung
§ 93 ZPO sei nicht anwendbar (Hinweis u. a. auf AG Wiesbaden, Urteil v. 7.10.2011, 92 C 3285/11). K habe nämlich keine Pflicht getroffen, vor Klageerhebung auf anderem Wege eine Regelung zu finden oder sein beabsichtigtes Vorgehen anzukündigen. Ein Wohnungseigentümer sei zwingend darauf angewiesen, innerhalb der Anfechtungsfrist alles Notwendige dafür zu tun, keine Bestandskraft und somit keine Bindungswirkung des Beschlusses eintreten zu lassen. Daran ändere sich selbst dann nichts, wenn die Wohnungseigentümer im Wege eines Zweitbeschlusses z. B. über ein Umlaufverfahren versucht hätten, den angefochtenen Beschluss für ungültig erklären zu lassen, da ein abändernder Zweitbeschluss, also ein Beschluss, der eine vorangegangene Regelung ändert oder aufhebt, seinerseits nach § 46 WEG angefochten werden könne (Hinweis auf AG Recklinghausen, Urteil v. 11.4.2018, 91 C 1/18).
Auch der Verwalter müsse die Kosten des Rechtsstreits nicht tragen. Zwar habe er die Tätigkeit des Gerichts veranlasst. Es sei aber kein grobes Verschulden anzunehmen. Grobes Verschulden sei dann anzunehmen, wenn der Verwalter seine Amtspflichten in so schwerem Maße verletze, dass er Überlegungen außer Acht lasse, die jedem einleuchten müssen (Hinweis auf BGH v. 13.12.2004, II ZR 17/03). Zwar handele es sich um einen objektiv groben Pflichtverstoß. Die unzutreffende Anwendung der Vorgaben der Gemeinschaftsordnung zur Stimmenzählung sei einem ordentlich und gewissenhaft handelnden Verwalter auch als grob fahrlässiges Handeln vorzuwerfen. Es spreche in subjektiver Hinsicht aber alles dafür, dass es sich um ein schlichtes Versehen des Verwalters gehandelt habe.
5 Hinweis
- Im aktuellen Recht sind nicht mehr die Wohnungseigentümer, sondern ist die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer Beklagte. Als solche kann sie in Bezug auf den Prozess Erklärungen abgeben und Handlungen (nicht) vornehmen. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann im Rahmen ihrer Prozessführung einerseits wie ein Löwe für den angegriffenen Beschluss kämpfen. Sie kann aber andererseits darauf verzichten, die Verteidigungsbereitschaft nur anzuzeigen oder im Termin zu erscheinen. Dann ergeht in der Regel ein Versäumnisurteil und der schlüssigen Beschlussklage wird stattgegeben. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann ferner darauf verzichten, zu bestreiten. Dann wird der schlüssigen Beschlussklage in der Regel stattgegeben. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann schließlich darauf verzichten, ein Rechtsmittel einzulegen. Dann erwächst ein Urteil, welches einer Beschlussklage stattgibt, in Rechtskraft. Ob ein aktives Tun wirksam ist, ist hingegen streitig. Unklar ist beispielsweise, ob die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, vertreten durch den Verwalter, den Klageantrag anerkennen kann. Denn die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ist materiell-rechtlich nicht in der Lage, über die Wirksamkeit des Beschlusses zu disponieren. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann über den Streitgegenstand wohl auch keinen abschließenden Vergleich schließen (Suilmann, ZWE 2021, S. 246, 251). Zwar könnte sie sich prozessual gegenüber dem Antrag erklären. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ist aber – wie ausgeführt – materiell-rechtlich nicht in der Lage, über die Wirksamkeit des Beschlusses zu disponieren: Ihr fehlt die subjektive Vergleichsbefugnis.
- Die WEG-Reform hat nichts daran geändert, dass der Verwalter die Gemeinschaftsordnung kennen und verstehen muss. Bestehen Zweifel, ist diesen unverzüglich nachzugehen und eine Klärung mit den Wohnungseigentümern anzustreben.
6 Entscheidung
LG Stuttgart, Beschluss v. 22.2.2021, 10 T 47/21