1 Leitsatz
Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage haben denselben Streitgegenstand; einzelne Beschlussmängel sind nur Teile des einheitlichen Streitgegenstandes.
Werden in einer nach dem 30.11.2020 bei Gericht eingegangenen Anfechtungsklage entgegen § 44 Abs. 2 Satz 1 WEG die übrigen Wohnungseigentümer als Beklagte bezeichnet, kann die Klage nur dann als gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gerichtet zu verstehen sein, wenn sich ein entsprechender Wille zweifelsfrei aus dem übrigen Inhalt der Klageschrift ergibt. Für eine solche Annahme genügt nicht bereits die Nennung des Verwalters im Anschluss an die Parteibezeichnung.
Eine Anfechtungsklage, die nach dem 30.11.2020 eingeht und gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichtet ist, wahrt nicht die Klagefrist (§ 45 Satz 1 WEG).
2 Normenkette
§§ 44 Abs. 1 Satz, 45 Satz 1 WEG
3 Das Problem
Wohnungseigentümer K greift einen auf § 19 Abs. 1 WEG beruhenden Beschluss vom 14.12.2020 an. Als Beklagte benennt er in seiner Klage vom 13.1.2021 die anderen Wohnungseigentümer und als Zustellungsbevollmächtigten den Verwalter. Auf den gerichtlichen Hinweis auf § 44 Abs. 2 Satz 1 WEG bittet er darum, das Beklagtenrubrum zu "berichtigen". Beklagte soll jetzt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer "mit Ausnahme des Klägers" sein. Dieser Schriftsatz und die Klageschrift werden dem Verwalter am 25.2.2021 zugestellt. Die Klage wird beim AG abgewiesen. Das LG weist die Berufung zurück. Das LG meint, die Berufung sei wegen Versäumung der Klagefrist unbegründet. Der Parteiwechsel sei zu spät erfolgt. Nichtigkeitsgründe, die allerdings außerhalb der Anfechtungsfrist vorgebracht werden könnten, seien nicht gegeben.
Mit der von dem LG zugelassenen Revision verfolgt K sein Klageziel weiter. Dabei stellen sich vor allem 3 Fragen. Die erste ist, ob Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe unterschiedliche Streitgegenstände darstellen. Die zweite ist, ob man im Wege der Auslegung dazu kommen kann, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer von Anfang an die Beklagte war. Und die dritte ist, ob eine Anfechtungsklage, die nach dem 30.11.2020 bei Gericht eingeht und zunächst gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichtet ist, die Klagefrist gem. § 45 Satz 1 WEG wahrt.
4 Die Entscheidung
Die erste Frage verneint der BGH! Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe stellten keine unterschiedlichen Streitgegenstände dar. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage hätten auch nach dem 30.11.2020 denselben Streitgegenstand. Einzelne Beschlussmängel seien außerdem nur Teile eines einheitlichen Streitgegenstandes. Die Unterscheidung zwischen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage u. a. in § 44 Abs. 1 Satz 1 WEG bringe lediglich den unterschiedlichen rechtstechnischen Charakter der gerichtlichen Entscheidung zum Ausdruck. Dass durch eine Anfechtungsklage eine umfassende Klärung der Gültigkeit des zur Überprüfung gestellten Beschlusses herbeigeführt werde, entspreche (weiterhin) der Interessenlage. Daher seien auf der Grundlage des vorgetragenen Sachverhaltes weiterhin auch Gründe für die Nichtigkeit des Beschlusses von Amts wegen zu prüfen. Auch die Pflicht der Gerichte, gem. § 139 ZPO auf Nichtigkeitsmängel hinzuweisen, bestehe weiterhin.
Bei der zweiten Frage ist der BGH der Ansicht, eine Auslegung, dass sich die Klage entgegen der Parteibezeichnung gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gerichtet habe, komme nur ausnahmsweise in Betracht. Dies sei dann der Fall, wenn sich ein entsprechender Wille zweifelsfrei aus dem übrigen Inhalt der Klageschrift ergebe. Für eine solche Annahme genüge nicht bereits die Nennung des Verwalters im Anschluss an die Parteibezeichnung (Hinweis u. a. auf Elzer, ZMR 2022, S. 70). Im Fall seien in Ermangelung eines zweifelsfrei zu ermittelnden entsprechenden Willens zunächst die anderen Wohnungseigentümer die Beklagten gewesen.
Auch die dritte Frage verneint der BGH! Eine Anfechtungsklage, die nach dem 30.11.2020 eingehe und gegen die übrigen Wohnungseigentümer gerichtet sei, wahre die Klagefrist (§ 45 Satz 1 WEG) nicht. Da die Klage gem. § 44 Abs. 2 Satz 1 WEG ausdrücklich gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu richten sei, stehe eine Überforderung des – unter Umständen nicht anwaltlich vertretenen – anfechtenden Wohnungseigentümers nicht zu befürchten. Vor allem aber vertrete der Verwalter die Wohnungseigentümer nicht mehr. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 45 Satz 2 WEG komme bei der Benennung der übrigen Wohnungseigentümer bei einer anwaltlich vertretenen Partei nicht in Betracht. Bei einer nicht anwaltlich vertretenen Partei könne dies je nach den Umständen des Einzelfalls aber anders zu beurteilen sein.
5 Hinweis
Problemüberblick
Der BGH nutzt den Fall, um auf 3 seit dem 1.12.2020 sehr umstrittene prozessuale Fragen seine Antworten zu geben. Alle Antworten überzeugen. Die erste (Streitgegenstand) stellt für die Kläger und die Gerichte eine große Arbeitserleichterung dar. Die zweite (Auslegung) entspricht den allgemeinen Grundsätzen. Und auch die dritte (keine Wahrung der Klagefrist) überzeugt – und war wohl auch schon vor de...