Leitsatz
Die Antragsgegnerin in einem Scheidungsverfahren hatte beantragt, ihr im Rahmen der ihr gewährten Prozesskostenhilfe für das Scheidungsverfahren den von ihr benannten Rechtsanwalt beizuordnen, der seine Kanzlei in Bürogemeinschaft mit dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers betrieb.
Erstinstanzlich wurde die Beiordnung abgelehnt. Die hiergegen von der Antragsgegnerin eingelegte Beschwerde blieb ohne Erfolg.
Sachverhalt
Siehe Kurzzusammenfassung
Entscheidung
Das OLG folgte der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts, wonach die von der Antragsgegnerin begehrte Beiordnung abzulehnen war, weil der Rechtsanwalt, dessen Beiordnung sie beantragt hatte, seine Kanzlei in Bürogemeinschaft mit dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers betrieb.
Die Neufassung von § 3 BORA stelle die Reaktion auf die Entscheidung des BVerfG vom 3.7.2003 (NJW 2003, 2520) dar. Diese habe die bis dahin geltende Fassung für verfassungswidrig erklärt, weil sie trotz des hohen Rangs der Berufsfreiheit der Rechtsanwälte keine Abwägung im Einzelfall erlaube. Dies sei nunmehr in Anlehnung an die Ausführungen des BVerfG ausdrücklich vorgesehen.
Gegenstand der damaligen Entscheidung sei die Situation von Anwälten gewesen, die die Sozietät gewechselt hätten. Die allgemeinen in den Gründen enthaltenen Erwägungen zeigten jedoch den Maßstab auf, an dem im Einzelfall zu messen sei, um der Bedeutung des Grundrechts und den Umfang seines Schutzbereichs gerecht zu werden. Der Eingriff dürfe daher nicht weiter gehen, als es die rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erforderten.
Für den Sozietätswechsel habe das BVerfG die Auffassung vertreten, wenn sich bei generalisierender Betrachtung eine Gefahr für die Verschwiegenheit und die geradlinige Interessenvertretung ergebe, komme die Einschätzung, ob eine Rechtsbeeinträchtigung drohe, in erster Linie den Mandanten zu. Die Konstellation, dass zwei Rechtsanwälte in Bürogemeinschaft gleichzeitig im selben Rechtsstreit die gegnerischen Parteien vertreten, habe das BVerfG nicht erörtert.
Trotz des hohen Guts der anwaltlichen Berufsfreiheit und der Wahlfreiheit der betroffenen Parteien sei es als noch verfassungsgemäß anzusehen, wenn die Neuregelung im Rahmen der "Belange der Rechtspflege" von der Bundesrechtsanwaltskammer selbst dahin verstanden werde, dass ein objektives Korrektiv ggü. der subjektiven Komponente der Mandantensicht erforderlich sei. Zuzustimmen sei insbesondere der Wertung dahin, dass es im Widerspruch zur Geradlinigkeit der Rechtsvertretung stehe, wenn Rechtsanwälte derselben Bürogemeinschaft vor Gericht gegeneinander aufträten. Hier gelte es in besonderem Maße schon den bösen Anschein zu vermeiden. Die Bürogemeinschaft sei gerade deshalb in die Regelung einbezogen worden, weil bei der gemeinsamen Nutzung von EDV und Telekommunikation beinahe zwangsläufig die Gelegenheit entstehe, gewollt oder ungewollt für den Gegner des eigenen Mandanten bestimmte Informationen zur Kenntnis zu nehmen. Dies sei durch die getrennte Verwahrung der Akten allein nicht ausgeschlossen. In der Realität würden Bürogemeinschaften zudem nicht nur aus Kostenersparnisgesichtspunkten gegründet, sondern auch deshalb, weil die Anwälte sich mit geringem Aufwand gegenseitig vertreten könnten, was den Anschein persönlicher Verbundenheit der Anwälte begründe.
Das OLG folgte auch der Argumentation des erstinstanzlichen Gerichts, wonach die besonderen Umstände der Prozesskostenhilfe beachtet werden müssten. Während eine bemittelte Partei möglicherweise bewusst das Risiko eingehen könne, dass ihr Anwalt die Vertretung doch noch niederlegen müsse, wenn nachträglich eine zunächst nicht erwartete Interessenkollision entstehe, weil sie einen zweiten Anwalt bezahlen könne, sei bei der bedürftigen Partei die Rechtsvertretung in solchen Fällen gefährdet.
Erfolge die Beiordnung eines neuen Anwalts zu dem Zeitpunkt, zu dem bereits die wesentlichen Gebühren angefallen seien, könne ein neuer Anwalt diese nicht erneut abrechnen, so dass es der Partei schwer fallen dürfte, einen bereiten Prozessvertreter nachträglich zu finden.
Wegen dieses grundsätzlichen schwerwiegenden Risikos könne es nicht darauf ankommen, wie wahrscheinlich es sei, dass aus der unstreitigen Scheidung doch noch eine streitige werde.
Dass dieses Risiko nicht gänzlich ausgeschlossen sei, zeige bereits die Tatsache, dass die Parteien sich eben nicht darauf geeinigt hätten, dass nur der Antragsteller anwaltlich vertreten sei.
Link zur Entscheidung
OLG Hamburg, Beschluss vom 24.09.2008, 2 WF 104/08