Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an Beiordnung eines Rechtsanwalts
Leitsatz (redaktionell)
Ein Rechtsanwalt, der seine Kanzlei in Bürogemeinschaft mit dem Prozessbevollmächtigten der Gegenseite betreibt, kann nicht im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet werden.
Normenkette
ZPO § 121 Abs. 1; BRAO § 43a Abs. 4; BORA § 3
Verfahrensgang
AG Hamburg-Barmbek (Beschluss vom 21.08.2008; Aktenzeichen 887 F 187/08) |
Gründe
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde, mit der die Antragsgegnerin begehrt, ihr im Rahmen der gewährten Prozesskostenhilfe für das Scheidungsverfahren den von ihr benannten Rechtsanwalt beizuordnen, bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Mit zutreffender Begründung, der das Beschwerdegericht vollen Umfangs beipflichtet, hat das FamG die Beiordnung abgelehnt, weil Rechtsanwalt seine Kanzlei in Bürogemeinschaft mit Rechtsanwalt betreibt, der den Antragsteller vertritt. Auf die Ausführungen des FamG wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Die Neufassung von § 3 BORA stellt die Reaktion auf die Entscheidung des BVerfG vom 3.7.2003 (NJW 2003, 2520) dar. Dieses hatte die bis dahin geltende Fassung für verfassungswidrig erklärt, weil sie trotz des hohen Rangs der Berufsfreiheit der Rechtsanwälte keine Abwägung im Einzelfall erlaubte. Diese ist nunmehr in Anlehnung an die Ausführungen des BVerfG ausdrücklich vorgesehen.
Gegenstand der damaligen Entscheidung war die Situation von Anwälten, die die Sozietät wechseln. Die allgemeinen in den Gründen enthaltenen Erwägungen zeigen jedoch den Maßstab auf, an dem im Einzelfall zu messen ist, um der Bedeutung des Grundrechts und dem Umfang seines Schutzbereichs gerecht zu werden. Der Eingriff darf nicht weiter gehen, als es die rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern.
Soweit es um die Wahrung des Vertrauensverhältnisses der betroffenen Mandanten zu ihren jeweiligen Rechtsanwälten geht, können immer dann, wenn die Mandanten selbst das Vertrauensverhältnis nicht als gestört ansehen, der Schutz anwaltlicher Unabhängigkeit und der Erhalt des konkreten Vertrauensverhältnisses nicht als Gemeinwohlgründe angeführt werden. Zugleich hat das BVerfG aber betont, dass die Rechtspflege als hohes Gemeingut auf die Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung angewiesen ist und die Wahrnehmung anwaltlicher Aufgaben den unabhängigen, verschwiegenen und nur den Interessen des eigenen Mandanten verpflichteten Rechtsanwalt voraussetzt. Diese Eigenschaften stehen nicht zur Disposition der Mandanten. Allerdings beruht das anwaltliche Berufsrecht nicht auf der Annahme, dass eine situationsgebundene Gelegenheit zur Pflichtverletzung im Regelfall pflichtwidriges Handeln zur Folge hat.
Für den Sozietätswechsel hat das BVerfG gemeint, wenn sich bei generalisierender Betrachtung eine Gefahr für die Verschwiegenheit und die geradlinige Interessenvertretung ergebe, komme die Einschätzung, ob eine Rechtsbeeinträchtigung drohe, in erster Linie den Mandanten zu. Die Konstellation, dass zwei Rechtsanwälte in Bürogemeinschaft gleichzeitig im selben Rechtsstreit die gegnerischen Parteien vertreten, hat das BVerfG aber nicht erörtert.
Trotz des hohen Guts der anwaltlichen Berufsfreiheit und der Wahlfreiheit der betroffenen Parteien ist es als noch verfassungsgemäß anzusehen, wenn die Neuregelung im Rahmen der "Belange der Rechtspflege" von der Bundesrechtsanwaltskammer selbst dahin verstanden wird, dass ein objektives Korrektiv ggü. der subjektiven Komponente der Mandantensicht erforderlich ist (BRAK-Mitt. 5/2006, 212 ff.). Herausgestellt wird insbesondere, dass bei Betrachtung der denkbaren Fallgruppen die Belange der Rechtspflege bei Prozessmandaten größeres Gewicht haben als bei Beratungsmandaten, bei aktuellen Interessenkonflikten größeres als bei potentiellen, bei Privatpersonen größeres als bei Unternehmen und bei Bürogemeinschaft am selben Ort größeres als bei überörtlichen Zusammenschlüssen. Zuzustimmen ist insbesondere der Wertung dahin, dass es im Widerspruch zur Geradlinigkeit der Rechtsvertretung steht, wenn Rechtsanwälte derselben Bürogemeinschaft vor Gericht gegeneinander auftreten (a.a.O. S. 215). Hier gilt es in besonderem Maße, schon den bösen Anschein zu vermeiden. Die Bürogemeinschaft ist gerade deshalb in die Regelung einbezogen worden, weil bei der gemeinsamen Nutzung von EDV und Telekommunikation beinahe zwangsläufig die Gelegenheit entsteht, gewollt oder ungewollt für den Gegner des eigenes Mandanten bestimmte Informationen zur Kenntnis zu nehmen (a.a.O. S. 214, 215), was durch die getrennte Verwahrung der Akten allein nicht ausgeschlossen ist. In der Realität werden Bürogemeinschaften zudem nicht nur aus Kostenersparnisgesichtspunkten gegründet, sondern auch deshalb, weil die Anwälte sich mit geringem Aufwand gegenseitig vertreten können, was den Anschein persönlicher Verbundenheit der Anwälte begründet.
Zuzustimmen ist schließlich auch der Erwägung des FamG, dass die besonderen Umstände der Prozesskostenhilfe Beachtung verlangen...