Leitsatz

  1. Eine vom Vermieter wegen eines geplanten Abrisses und Neubaus ausgesprochene Kündigung genügt dem Begründungserfordernis des § 573 Abs. 3 BGB, wenn dem Mieter mitgeteilt wird, aus welchen Gründen der Vermieter die vorhandene Bausubstanz nicht für erhaltenswert hält und welche baulichen Maßnahmen er stattdessen plant.

    (amtlicher Leitsatz des BGH)

  2. Der Abriss eines Gebäudes und dessen Ersetzung durch einen Neubau stellt eine Form der wirtschaftlichen Verwertung i.S.d. § 573 Abs. 3 Nr. 3 BGB dar.
  3. Diese ist angemessen, wenn sie von vernünftigen, nachvollziehbaren Erwägungen getragen wird.
  4. Das Tatbestandsmerkmal der "erheblichen Nachteile" in § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist im Einzelfall aufgrund einer Abwägung zwischen dem Bestandsinteresse des Mieters und dem Verwertungsinteresse des Eigentümers zu konkretisieren.

    (b–d sind Leitsätze der Redaktion)

 

Normenkette

BGB § 573 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3

 

Kommentar

Die Ried-Siedlung im Hamburger Stadtteil St.Georg wurde in den Jahren 1934 bis 1939 errichtet. Sie besteht aus zahlreichen Wohnblocks mit insgesamt ca. 500 Wohneinheiten. Hierbei handelt es sich um Schlichtwohnungen mit kleinen gefangenen Räumen, niedrigen Decken, schlechter Belichtung und ohne Bad. Die gesamte Siedlung wurde im Jahr 1995 von der Stadt Hamburg an ein Unternehmen veräußert. Ein Teil der Siedlung steht unter Milieuschutz; die hierzu gehörenden Gebäude hat die neue Eigentümerin mit einfachen Mitteln instand gesetzt. Die übrigen 20 Wohnblocks will die Eigentümerin abreißen und an ihrer Stelle zeitgemäß ausgestattete Wohnungen errichten. Die hierzu erforderlichen Genehmigungen liegen vor.

In der Folgezeit hat die Eigentümerin 19 der 20 Wohnblocks abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Die Wohnungen im verbliebenen Block sind bis auf eine einzige Wohnung geräumt. Das über diese Wohnung bestehende Mietverhältnis wurde von der Eigentümerin mit Schreiben vom 31.1.2008 gekündigt. Der BGH hatte über die Wirksamkeit dieser Kündigung zu entscheiden.

Nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung eines Mietverhältnisses vor, wenn der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde. In § 573 Abs. 3 BGB ist bestimmt, dass die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters in dem Kündigungsschreiben anzugeben sind.

1. Zu Leitsatz a)

Der BGH befasst sich zunächst mit der Frage, welche Anforderungen in formeller Hinsicht an das Kündigungsschreiben zu stellen sind. Er unterscheidet hierbei in ständiger Rechtsprechung zwischen den "Kerntatsachen" und den "Ergänzungstatsachen": Es genüge, wenn der Vermieter den Kündigungsgrund "so bezeichnet, dass er identifiziert und von anderen Gründen unterschieden werden kann" ("Kerntatsachen"). Tatsachen, die nur der näheren Erläuterung, Ergänzung, Ausfüllung sowie dem Beweis des geltend gemachten Kündigungsgrunds dienen, "können nachgeschoben werden" ("Ergänzungstatsachen"; BGH, Urteil v. 27.6.2007, VIII ZR 271/06, NJW 2007 S. 2845 unter Rz. 23 betr. Eigenbedarf; Urteil v. 16.1.2008, VIII ZR 254/06, NJW-RR 2008 S. 869 unter Rz. 24 betr. wirtschaftliche Verwertung; Urteil v. 17.3.2010, VIII ZR 70/09, NJW-RR 2010 S. 809 unter Rz. 8 betr. Eigenbedarf).

An dieser Rechtsprechung hält der BGH fest. Im Entscheidungsfall war in dem Kündigungsschreiben ausgeführt, dass der zum Abriss bestimmte Wohnblock erhebliche städtebauliche und gebäudetechnische Mängel aufweise, insbesondere wird dort auf die unzulässig niedrige Raumhöhe der Wohnungen und deren mangelnde Belichtung und dürftige Ausstattung hingewiesen. Weiter ist in dem Kündigungsschreiben ausgeführt, dass die Kosten einer Modernisierung mit 1.250 EUR/qm fast die Neubaukosten (1.650 EUR/qm) erreichen. Hierbei sei zu bedenken, dass die städtebaulichen Mängel durch die Modernisierung der Wohnungen allein nicht beseitigt werden können.

Nach Ansicht der Mieterin setzt eine wirksame Begründung der Verwertungskündigung voraus, dass der Vermieter dem Kündigungsschreiben eine aktuelle und detaillierte Wirtschaftlichkeitsberechnung vorlegt, aus der sich ergibt, dass zu dem Abriss keine "Sanierungsalternative" besteht.

Der BGH teilt diese Ansicht nicht: Die Frage, ob dem Vermieter eine alternative Sanierungsmöglichkeit zur Verfügung steht und ob er im Interesse des Mieters hierauf zurückgreifen muss, betrifft nicht die formelle, sondern die materielle Wirksamkeit der Kündigung. Hie­rüber ist gegebenenfalls Beweis zu erheben.

2. Zu den Leitsätzen b)–d)

In einem 2. Teil der Entscheidung erörtert der BGH die materiellen Voraussetzungen der Verwertungskündigung. Er führt hierzu im Anschluss an seine Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2009 (Urteil v. 28.1.2009, VIII ZR 8/08, NZM 2009 S. 234) aus, dass der Abriss eines Gebäudes und dessen Ersetzung durch einen Neubau eine Form der wirtschaftlichen Verwertung darstellt. Diese ist angemessen, wenn sie von vernünftigen, nachvollz...

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