Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Normenkette
§ 10 Abs. 2 WEG, § 16 Abs. 2 WEG, § 23 Abs. 4 WEG
Kommentar
1. Die Mindestvoraussetzungen für einen vereinbarungsersetzenden Mehrheitsbeschluss (sog. Zitterbeschluss) über die Änderung des Kostenverteilungsschlüssels sind nicht erfüllt, wenn das Versammlungsprotokoll unter dem TOP "Verschiedenes"ohne Hinweis auf einen Abstimmungsvorgang lediglich die Feststellung enthält, dass nach Eigeninstandsetzung der Fenster mehrerer Wohnungseigentümer "innerhalb der Gemeinschaft nunmehr vereinbart ist, dass jeder Eigentümer für den Unterhalt seiner Fenster selbst verantwortlich ist".
2. Die gesetzliche Regelung des § 16 Abs. 2 WEG ist abdingbar und kann auch durch vereinbarungsersetzenden Mehrheitsbeschluss geändert werden, wenn dieser bestandskräftig ist (vgl. BGH, NJW 94, 3230).
Auch wenn es nicht um die Auslegung eines Eigentümerbeschlusses auch mit Bindungswirkung für Sondernachfolger geht, sondern um die vorrangige Frage der Qualifikation, nämlich ob ein solcher Zitterbeschluss überhaupt zustande gekommen ist, sind die Grundgedanken der BGH-Entscheidung vom 10. 9. 1998 (NJW 98, 3713 = WE 99, 93) auch hier anzuwenden. Ist ein solcher Eigentümerbeschluss wie eine Grundbucheintragung auszulegen, dann muss auch ein entsprechendes Substrat vorhanden sein, welches einer Grundbucheintragung gleichgestellt werden kann; eine Auslegung ist überhaupt erst möglich, wenn ein fester Boden hierfür vorhanden ist (vgl. auch BayObLG, WE 99, 193).
3. Hinsichtlich der Auslegung von Eintragungen im Grundbuch und der dort in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung, Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung, sind maßgebend der Wortlaut der Eintragung und ihr Sinn, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergibt; Umstände außerhalb der Eintragung dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (BGH, NJW 93, 1329). Entsprechendes muss nach BGH (NJW 98, 3713) auch für die Auslegung von Eigentümerbeschlüssen gelten, die ebenfalls für Sondernachfolger bestimmt sind; denn sie wirken auch ohne Eintragung in das Grundbuch wie Grundbucherklärungen für und gegen sie (vgl. § 10 Abs. 3 und 4 WEG). Es besteht daher wie bei der Gemeinschaftsordnung ein Interesse des Rechtsverkehrs, die durch die Beschlussfassung eingetretenen Rechtswirkungen der Beschlussformulierung entnehmen zu können. Die Eigentümerbeschlüsse sind deshalb "aus sich heraus", also objektiv und normativ auszulegen (h.R.M.). Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (z.B. weil sie sich aus früheren Versammlungsprotokollen ergeben).
4. Vorliegend wurden unter dem TOP "Verschiedenes"eine Reihe von Problembereichen angesprochen, die weder einen gesonderten noch einen zentralen Beschlussgegenstand ausmachten und auch in der Einladung überhaupt nicht als Beschlussthema genannt waren. Nach Protokollinhalt ergaben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass zum Punkt der "Fenster-Unterhaltung" diskutiert oder darüber auch nur eine Abstimmung stattgefunden habe. Eine hinreichende Dokumentation einer echten Willensbildung war entsprechend den Protokollnotizen nicht zu entnehmen. Eine für die Zukunft und alle Sondernachfolger geltende Beschlussfassung mit Vereinbarungscharakter kann somit nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden.
5. Die Sache war demgemäß an das LG zurückzuverweisen (Geschäftswert III. Instanz 5.000 DM).
Link zur Entscheidung
( KG Berlin, Beschluss vom 28.05.1999, 24 W 1698/99= ZMR 9/1999, 657)
Zu Gruppe 5: Rechte und Pflichten der Miteigentümer
Anmerkung:
Nunmehr muss wohl sogar von einer Nichtigkeit solcher kostenverteilungsändernden "Zitterbeschlüsse" ausgegangen werden (nach Äußerung führender Fachkommentatoren in Fischen, Okt. 99).