VVG § 19 § 22; BGB § 123
Leitsatz
1. Angaben des VN vor einem vom VR beauftragten Arzt stehen Angaben dem VR gegenüber gleich.
2. Ergibt sich aus solchen Angaben, dass der VN im Antragsformular gestellte Fragen falsch beantwortet hat, so kann das Anlass zu Nachfragen und Nachforschungen durch den VR geben.
(Leitsätze der Schriftleitung)
BGH, Beschl. v. 10.5.2017 – IV ZR 30/16
Sachverhalt
Der Kl. beantragte bei der Bekl. mit Antrag v. 1.11.2007 eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, wobei er die im Antragsformular unter Ziff. 1 gestellten Fragen nach Krankheiten, Gesundheitsstörungen oder Beschwerden teilweise mit "ja" beantwortete, bei den insoweit abgefragten ergänzenden Angaben zu mit "ja" beantworteten Fragen aber nicht mitteilte, dass er im September 2004 nach einem Sporttraining eine Ohnmacht erlitten hatte, ein eingeholtes EEG einen unklaren Befund ergeben hatte und deshalb eine Überweisung an eine radiologische Praxis erfolgt war, wo am 17.11.2004, 24.1.2005 und 17.7.2006 jeweils MRT-Untersuchungen des Schädels stattgefunden hatten.
Die Bekl. verlangte im Hinblick auf die Höhe der Versicherungssumme vor einer Antragsannahme eine ärztliche Untersuchung des Kl. Bestandteil des insoweit auf einem Formular der Bekl. erstellten Arztzeugnisses v. 6.12.2007 war eine "Erklärung vor dem Arzt", in deren Rahmen unter anderem die Frage nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden des Herzens oder der Kreislauforgane erneut bejaht ist. Als ergänzende Erläuterung dazu ist angegeben: "2004 – 1x Synkope … kard. Abklärung: o.B. neurol. Abklärung: o.B."
Danach erfolgte die Annahme des Versicherungsantrags durch die Bekl.
Die Bekl. lehnte die vom Kl. beantragten Leistungen für Berufsunfähigkeit ab und erklärte zunächst den Rücktritt und die Kündigung des Versicherungsvertrags, später die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, nachdem sie von einem 2010 operativ entfernten Glioblastom erfahren hatte.
2 Aus den Gründen:
[10] "… Das BG hat die von der Bekl. erklärte Arglistanfechtung durchgreifen lassen. Der Kl. habe jedenfalls die Frage 3 des Antragsformulars, ob er in den letzten 5 Jahren untersucht, beraten, behandelt oder operiert worden sei, falsch beantwortet, indem er sie zwar mit “ja‘ beantwortet, jedoch erläuternd nur Routineuntersuchungen beim Zahnarzt und beim Hausarzt angegeben und die vor Antragstellung liegenden MRT-Untersuchungen verschwiegen habe. Ob ihm die Feststellung einer Gliose bekannt gewesen sei, sei unerheblich. Seine Erklärung, wonach ihm der Anlass dieser Untersuchungen nicht bekannt gewesen sei, sei unglaubhaft. Das Verschweigen dieser Ursachen in Frage 3 des Gesundheitsfragebogens habe bereits das LG mit Recht als arglistige Täuschung gewertet."
[11] III. Die Beschwerde des Kl. gegen die Nichtzulassung der Revision führt gem. § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BG, weil dieses das Recht des Kl. auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
[12] 1. Unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG hat das BG bei seiner Feststellung einer vom Kl. begangenen arglistigen Täuschung alleine auf die Beantwortung der Fragen im Antragsformular vom 1.11.2007 abgestellt. Den Vortrag des Kl. zu den ergänzenden Angaben in der Erklärung vor dem Arzt v. 6.12.2007 hat es übergangen.
[13] a) Kommt es auf Betreiben des VR im Zuge der Verhandlungen über den Abschluss einer Lebens- und Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zur Erstellung eines ärztlichen Zeugnisses auf einem vom VR vorgegebenen Formblatt und hat der ASt. dabei im Rahmen der “Erklärung vor dem Arzt‘ gegenüber dem Arzt vom VR vorformulierte Fragen zu beantworten, so stehen die vom Arzt in Erfüllung dieses Auftrags gestellten Fragen den Fragen des VR, die erteilten Antworten den Erklärungen gegenüber dem VR gleich. Der vom VR eingeschaltete Arzt ist insoweit dessen passiver Stellvertreter, nämlich zur Entgegennahme der Antworten des ASt. beauftragt. Bei der Aufnahme der “Erklärung vor dem Arzt‘ steht der Arzt damit insoweit einem Versicherungsagenten bei Aufnahme des Versicherungsantrags gleich. Was dem Arzt zur Beantwortung der vom VR vorformulierten Fragen gesagt ist, ist dem VR gesagt (Senat VersR 2009, 529 Rn 15; VersR 2001, 620 unter 2 b aa m.w.N.).
[14] b) Das BG hätte deshalb prüfen müssen, ob die in der Erklärung vor dem Arzt erfolgte Angabe des Kl., dass er 2004 eine Synkope erlitten habe und es eine neurologische Abklärung gegeben habe, die ohne Befund geblieben sei, der Annahme einer arglistigen Täuschung entgegensteht. Hiermit befasst sich das angefochtene Urteil nicht.
[15] aa) Allerdings stehen diese ergänzenden Angaben der Bejahung einer objektiven Anzeigepflichtverletzung nicht entgegen. Aus der Mitteilung, dass eine neurologische Abklärung der Synkope stattgefunden habe und ohne Befund geblieben sei, konnte die Bekl. nicht entnehmen, dass es zu wiederholten MRT-Untersuchungen des Schädels gekommen war. Es hätte sich auch um einen einmaligen Besuch beim Neurologen mit weniger aufwändig...