Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankheitskostenversicherung, allgemeines Versicherungsvertrag: arglistige Täuschung des VN bei Vertragsschluss bei "Arbeitsunfähigkeit zur Erlangung von Leistungen des Jobcenters"
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Auslegung der Erklärung des Antragstellers einer Versicherung im Hinblick auf Antragsfragen im Sinne des § 19 Abs. 1 VVG.
2. Täuscht der VN anzeigepflichtige Beschwerden mehrfach gegenüber einem Arzt nur vor, um sich Leistungen des Job-Centers zu erhalten, kommt es deshalb zu Krankschreibungen und gibt der VN diese Beschwerden und die Krankschreibungen bei Antragstellung nicht an, liegt eine arglistige Täuschung vor (§ 22 VVG, § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB).
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 18 O 247/19) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.
Gründe
I. Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.
Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil die Beklagte den Vertrag wegen arglistiger Täuschung vor Vertragsschluss durch den Kläger angefochten hat und der Vertrag damit als von Anfang an nichtig anzusehen ist (§ 142 Abs. 1 BGB, § 39 Abs. 1 Satz 2 VVG).
Die Einwendungen des Klägers, bezüglich derer zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Berufungsbegründung (Bl. 28 ff. der elektronischen Gerichtsakte zweiter Instanz [im Folgenden: eGA II-28 ff.]) verwiesen wird, greifen nicht durch.
1. Die Beklagte hat im Schreiben vom 20.09.2018 (Anl. K IV, eGA I-49 f.) die Anfechtung erklärt (§ 143 Abs. 1 BGB). Diese bedurfte keiner besonderen Form.
2. Die Beklagte war nach § 22 VVG, § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung zur Anfechtung berechtigt, was auch bei einer Krankheitskostenversicherung - wie hier - gilt (vgl. BGH Urt. v. 7.12.2011 - IV ZR 105/11, VersR 2012, 304 Rn. 21).
a) Der Kläger hat durch das Ankreuzen von "Nein" bezüglich sämtlicher Gesundheitsfragen mit Ausnahme der Frage nach fehlenden Zähnen (Anl. BLD1, eGA I-174, sowie in lesbarerer Form Anl. BLD2, eGA I-177) durch aktives Tun objektiv falsche Angaben gemacht.
Die Erklärung des Antragstellers, d. h. die Antwort des Antragstellers auf die Frage des Versicherers, ist objektiv falsch.
Daran fehlt es freilich, wenn der Antragsteller die Frage in einem bestimmten Sinne verstanden hat und verstehen durfte (objektive Auslegung) und sie bei Zugrundelegung dieses Verständnisses richtig beantwortet hat. Die objektive Auslegung der Antragsfrage muss dabei, auch wenn man ihr keine AGB-Qualität beimisst, jedenfalls wie bei AGB erfolgen (vgl. vgl. BGH Urt. v. 22.9.1999 - IV ZR 15/99, r+s 1999, 491 = juris Rn. 17; OLG Düsseldorf Urt. v. 30.5.2017 - 4 U 41/16, r+s 2018, 126 = juris Rn. 34 m. w. N.; OLG Celle, Urteil vom 08.09.2016 - 8 U 70/16 - juris, Rn. 57; OLG Saarbrücken Urt. v. 1.2.2006 - 5 U 207/05, r+s 2006, 510 = juris Rn. 20; Felsch, r+s 2016, 321, 323; Neuhaus, Die vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung in Recht und Praxis, Rn. 140 m. w. N.).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Auslegung von AVB und von Erklärungen des VR auf den durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen abzustellen. In erster Linie ist bei der Auslegung vom Wortlaut auszugehen. Der verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (vgl. zu AVB st. Rspr., vgl. nur jeweils m. w. N. BGH Urt. v. 23.6.1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83 = NJW 1993, 2369 unter III.1.b = juris Rn. 14; zu Erklärungen des Versicherungsnehmers zu Formularfragen in Schadensanzeigeformularen BGH Urt. v. 26.10.1988 - IVa ZR 243/87, r+s 1989, 5 unter 2.a = juris Rn. 15).
Auch hiernach aber ist die Antwort falsch.
Vor Antragstellung am 21.12.2016 (Anl. BLD1, eGA I-173 ff.) besuchte der Kläger nach eigenem Vortrag seit Anfang 2014 teils mehrfach verschiedene Ärzte, teils aufgrund Verweisung eines zuvor besuchten Arztes. Anlass hierfür sei - abgesehen von Fällen des (alkoholbedingten) Einnässens - allein gewesen, dass er von einer Mitarbeiterin des Jobcenters derart unter Druck gesetzt / schikaniert worden sei, dass er sich unberechtigt habe krankschreiben lassen müssen, um Maßnahmen des Jobcenters zu entgehen. Grund seien aber nicht die von den Ärzten festgehaltenen psychischen Beschwerden gewesen. Die Diagnosen (u. a. Persönlichkeitsstörung, Anpassungsstörung, schwere depressive Episode) seien ihm nicht bekannt gewesen.
Bei diesen Arztbesuchen handelt es sich, unabhängig davon ob die Diagnosen zutreffend waren und dem Kläger mitge...