2. Klausur: Testament und Testamentsgestaltung[Autor]

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Sachverhalt

Der Erblasser E und seine bereits vorverstorbene Ehefrau F hatten 2000 ein privatschriftlich-gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich wechselseitig zu alleinigen Erben eingesetzt und bestimmt haben, dass nach dem Tod des Längstlebenden der gemeinsame Sohn S alleiniger Schlusserbe sein solle. Weitere Verfügungen haben sie nicht getroffen. Der Sohn S ist das einzige Kind der Eheleute. Seit seiner Geburt ist er geistig behindert.

Nach dem Tod seiner Ehefrau errichtete der Erblasser im Jahr 2022 ein notarielles Testament, in dem er seinen Sohn S zu ⅔ und sein Patenkind P zu ⅓ als Miterben einsetzte. E setzte S in diesem Testament zum befreiten Vorerben, seinen Patensohn P zum Nacherben ein. Außerdem ordnete der Erblasser hinsichtlich des Erbteils des S Testamentsvollstreckung an.

Nach dem Tod des Erblassers und der Eröffnung der letztwilligen Verfügungen beantragte die für S bestellte Betreuerin B einen Erbschein, der S als Alleinerben ausweist. Das zuständige Nachlassgericht erlässt einen Feststellungbeschluss, nach welchem der beantragte Erbschein zu erteilen wäre.

P möchte gegen diesen Beschluss Beschwerde einlegen. Er ist der Auffassung, er sei aufgrund des Testaments von 2022 Miterbe zu ⅓ geworden.[1]

Aufgaben:

1. Prüfen Sie die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Beschwerde!
2. Erläutern Sie kurz die verschiedenen Möglichkeiten der Gestaltung eines Behindertentestaments (rechtliche Gestaltung und ggf. Kritik/Schwachstellen).
3.

Die verwitwete F möchte für den Fall ihres Todes ein Testament errichten. Sie hat zwei volljährige Kinder, den Sohn S sowie die Tochter T. T ist seit ihrer Geburt geistig behindert.

Entwerfen Sie ein Testament.

Lösung:

A. (Frage 1)[2]

Die Beschwerde der Beteiligten hat keine Aussicht auf Erfolg. Das Testament aus dem Jahr 2022 ist unwirksam. Die Schlusserbeneinsetzung des S im gemeinschaftlichen Testament der Eheleute aus 2000 ist wechselbezüglich zu der von der Ehefrau zugunsten des Erblassers getroffenen Alleinerbeinsetzung. Damit konnte der Erblasser diese Verfügung nach dem Tod seiner Ehefrau nicht mehr wirksam abändern (§ 2271 Abs. 2 BGB), sodass für die Erbfolge nach dem Tod des Erblassers das gemeinschaftliche Testament der Eheleute maßgeblich bleibt.

Letztwillige Verfügungen, die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament getroffen haben, sind gemäß § 2270 Abs. 1 BGB wechselbezüglich, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre, d.h. wenn jede der beiden Verfügungen der Ehegatten gerade deshalb getroffen wurde, weil auch der andere Ehegatte eine bestimmte andere Verfügung getroffen hat, und jede Verfügung nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden mit der anderen stehen und fallen soll, vgl. OLG Frankfurt a.a.O. Im vorliegenden Fall regelt das gemeinschaftliche Testament die Frage der Wechselbezüglichkeit nicht ausdrücklich. Es enthält insoweit keinerlei Hinweis. Aus diesem Grund ist das Testament der Auslegung zugänglich. Die Anordnung der Wechselbezüglichkeit ist allein den verfügenden Eheleuten überlassen. Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine klare und eindeutige Anordnung zur Wechselbezüglichkeit, muss diese nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen für jede einzelne Verfügung gesondert ermittelt werden (vgl. Grüneberg/Weidlich, BGB, 82. Aufl. 2023, § 2270 BGB Rn 4 m.w.N.).

Für die Auslegung der in einem Testament enthaltenen Willenserklärungen ist zunächst § 133 BGB maßgebend. Hiernach ist der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften; es ist also zu ermitteln, was als Inhalt jeder einzelnen Erklärung anzunehmen ist. Hierzu muss der gesamte Inhalt der Erklärungen einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher, die außerhalb der Testamentsurkunde liegen, gewürdigt werden. Solche Umstände können bspw. die Vermögensverhältnisse der Eheleute sein, und hier insb. eine erhebliche Vermögensdiskrepanz (RGZ 116, 148). Bei einem gemeinschaftlichen Testament ist stets zu prüfen, ob eine nach dem Verhalten des einen Ehegatten mögliche Auslegung auch dem Willen des anderen entsprochen hat. Dabei kommt es auf den übereinstimmenden Willen der Ehegatten zur Zeit der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments an. Auf die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB darf erst dann zurückgegriffen werden, wenn die Erforschung des Willens beider Ehegatten trotz Ausschöpfung aller Möglichkeiten bzgl. der Wechselbezüglichkeit kein eindeutiges Ergebnis gebracht hat, also sich weder die gegenseitige Abhängigkeit noch die gegenseitige Unabhängigkeit ergibt (Grüneberg/Weidlich, BGB, 82. Aufl. 2023, § 2270 Rn 7). Aus dem Wortlaut des Ehegattentestaments lässt sich kein Rückschluss auf die Wechselbezüglichkeit entnehmen. Nähere Umstände sind nicht bekannt. Alleine das Vorliegen eines gemeinschaftlichen Testaments sagt nichts über d...

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