Entscheidungsstichwort (Thema)
Ergänzende Testamentsauslegung beim Ehegattentestament
Leitsatz (amtlich)
1. Eine gem. § 2271 Abs. 2 BGB unwirksame Beeinträchtigung des durch eine bindende wechselbezügliche Verfügung Bedachten stellt auch dar, wenn der gebundene Überlebende nachträglich einen Nacherben bestimmt oder den Bedachten durch eine Testamentsvollstreckung belastet.
2. Haben Eheleute 1969 in einem Ehegattentestament ihr schwerbehindertes Kind bedacht, ist nach dem Tode des einen Ehegatten und eingetretener Bindung des Längerlebenden eine ergänzende Auslegung dahin, dass dem Längerlebenden Testamentsänderungen unter Berücksichtigung zwischenzeitlich geänderter Rechtsprechung (zum sog. Behindertentestament) gestattet sein sollen, nicht ohne weiteres möglich.
Normenkette
BGB §§ 2270, 2271 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Husum (Beschluss vom 20.02.2013; Aktenzeichen 11 VI 481/12) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des AG Husum vom 20.2.2013 geändert. Der Antrag der Beteiligten zu 2. auf Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses wird zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten I. Instanz trägt die Beteiligte zu 2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Kostenerstattung findet nicht statt.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 69.300 EUR.
Gründe
I. Die Erblasserin und ihr am 16.7.1978 vorverstorbener Ehemann ... fertigten unter dem 4.4.1969 ein handschriftliches gemeinschaftliches Testament mit folgendem Wortlaut:
"..., den 4.4.1969
Gemeinsames Testament
Für den Fall meines Todes bestimme ich, dass Alleinerbe meines Nachlasses sein soll: Meine Ehefrau ... Nach dem Tode des Zuletztversterbenden von uns beiden Eheleuten soll unsere Tochter,..., Nacherbe sein.
Die Vorerbschaft ist eine befreite Vorerbschaft.
... (Unterschrift) Dies soll auch mein Testament sein. Im Falle meines Ablebens soll mein Ehemann,..., Vorerbe sein. Nach dem Tode des Zuletztversterbenden soll unsere Tochter Nacherbe sein, im Sinne einer befreiten Vorerbschaft.
...(Unterschrift)
Nach dem Tode des Ehemannes der Erblasserin wurde dieses Testament eröffnet.
Nach dem Tode der Erblasserin wurde das fragliche gemeinschaftliche Testament vom 4.4.1969 nochmals eröffnet. Zudem wurde ein notarielles Testament eröffnet, das die Erblasserin zur UR.-Nr .../2006 des Notars ... am 31.10.2006 hatte aufnehmen lassen. In diesem Testament heißt es:
"Ich bin verwitwet. Mein Ehemann ist am 16.7.1978 vorverstorben. Ich habe eine Tochter,... ist schwerbehindert ...
§ 1
Sämtliche bisherigen letztwilligen Verfügungen widerrufe ich hiermit.
§ 2
Ich setze meine Tochter ..., geboren ..., als Vorerbin ein. Die Vorerbin wird von den Beschränkungen des § 2113f BGB ausdrücklich nicht befreit. Nacherbe wird Frau ..., ersatzweise deren Abkömmlinge, und zwar zu gleichen Teilen.
§ 3 Testamentsvollstreckung
Mit Rücksicht darauf, dass meine Tochter ... wegen ihrer Behinderung nicht in der Lage sein wird, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen, insbesondere die ihr durch den Erbfall zugefallenen Vermögenswerte selbst zu verwalten, wird Testamentsvollstreckung (Dauervollstreckung gem. § 2209 BGB) angeordnet ...
Der jeweilige Testamentsvollstrecker hat meiner Tochter ... die ihr gebührenden anteiligen jährlichen Reinerträgnisse (Nutzungen) des Nachlasses nur in Form folgender Leistungen zuzuwenden ...
Zum Testamentsvollstrecker über das Erbe meiner Tochter ... wird ... ernannt ..."
Nach dem Tode der Erblasserin beantragte die Beteiligte zu 2. am 18.7.2012 zur UR.-Nr .../2012 des Notars ... unter der Erklärung, das Testamentsvollstreckeramt anzunehmen, die Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses. Sie bezog sich auf das genannte notarielle Testament der Erblasserin vom 31.10.2006.
Mit Beschluss des AG ... vom 23.10.2012 wurde Rechtanwalt ... zum Ergänzungsbetreuer der Beteiligten zu 1. bestellt.
Mit Schreiben vom 27.12.2012 trat der Ergänzungsbetreuer dem Antrag der Beteiligten zu 2. auf Erteilung des Testamentsvollstreckerzeugnisses entgegen und führte aus, in dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute ... vom 4.4.1969 sei die Anordnung einer Testamentsvollstreckung nicht vorgesehen. Auf der maßgeblichen Grundlage dieses Testaments sei vielmehr die Beteiligte zu 1. Alleinerbin ihrer Mutter geworden und es werde ein entsprechender Alleinerbschein beantragt. Im Einzelnen sei es so, dass die Erblasserin nach dem Tode ihres Ehemannes befreite Vorerbin in Bezug auf den Nachlass ihres Ehemannes geworden sei. Mit dem Tod der Erblasserin sei die Beteiligte zu 1. alleinige Nacherbin in Bezug auf das restliche Vorerbenvermögen (Nachlass ihres Vaters) geworden. Im Übrigen sei in dem gemeinschaftlichen Testament vom 4.4.1969 keinerlei Ersatz-Vorerbenregelung aufgenommen worden. Die Erblasserin habe dort ihren Ehemann zum befreiten Vorerben eingesetzt und die Beteiligte zu 1. als Nacherbin benannt. Nach der Auslegungsregel des § 2102 BGB liege in der Benennung der Beteiligten zu 1. als Nacherbin mangels anderer Anhaltspunkte auch deren Ersat...