Vor einigen Wochen – am 19. März – wurde wieder der "Equal Pay Day" in Deutschland ausgerufen. Dieser jährlich stattfindende Aktionstag soll die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen symbolisieren, indem die durchschnittliche Entgeltdifferenz zwischen den Geschlechtern in einen Zeitraum von Kalendertagen umgerechnet wird. Ermittelt wird so der Tag, "bis zu dem Frauen umsonst arbeiten, während Männer schon seit dem 1.1. für ihre Arbeit bezahlt werden". Da für diese Berechnung alle Branchen "in einen Topf" geworfen und auch alle individuellen Unterschiede unter den Arbeitnehmern nivelliert werden, ist klar, dass die postulierte Entgeltlücke nur eine sehr ungenaue Beschreibung der tatsächlichen Verdienstunterschiede zwischen Frauen und Männern sein kann.
Lässt man einmal außer Betracht, dass selbst unter Sozialökonomen darauf hingewiesen wird, dass angesichts der kaum greifbaren Vielfalt der Beschäftigungsfaktoren und insbesondere auch der individuellen Erwerbsbiografien eine geschlechtsspezifische Verdienstlücke nur schwer präzise ermittelt werden kann, müsste man mindestens nach Branchen und ggf. deren Segmenten differenzieren, um den Gehaltsunterschieden halbwegs seriös auf die Spur zu kommen. Für die Anwaltschaft hat dies kürzlich das Soldan Institut versucht. Zu diesem Zweck hat es sich die Verdienste von 1.500 angestellten Rechtsanwälten und -anwältinnen der Zulassungsjahrgänge 2004 bis 2010 angeschaut und herausgefunden, dass für diese Gruppe der "Equal Pay Day" nicht auf dem 19. März liegt (wie für die Arbeitnehmerschaft allgemein), sondern sogar auf den 28. März datiert werden müsste. Danach verdienten sämtliche befragten angestellten Rechtsanwältinnen im Durchschnitt 54.597 EUR, wohingegen ihre männlichen Kollegen mit 67.526 EUR über ein signifikant höheres jährliches Gesamtbruttoeinkommen verfügten. Der (unbereinigte, sprich: nicht weiter differenzierende) "Gender Pay Gap" beträgt damit also fast 24 %, männliche Anwälte verdienen also knapp ein Viertel mehr als ihre Kolleginnen.
Der Direktor des Soldan Instituts, Prof. Dr. Matthias Kilian, verweist allerdings darauf, dass dieser pauschale Wert nur eine begrenzte Aussagekraft hat, weil er nicht nur alle individuellen Faktoren ausblendet, sondern auch den Umstand, dass Frauen seltener in jenen Marktsegmenten anwaltlich tätig sind, in denen Spitzengehälter gezahlt werden, etwa internationale Großkanzleien und wirtschaftsberatende "Anwalts-Boutiquen". Stattdessen hätten bereits frühere Studien erwiesen, dass Frauen in bestimmten ertragsschwächeren Rechtsgebieten (etwa dem Familienrecht, dem Sozialrecht sowie dem Medizinrecht) und in bestimmten Kanzleiformen (kleinere Sozietäten) stärker repräsentiert sind als ihre männlichen Kollegen. Aussagekräftiger als ein "unbereinigter" Gender Pay Day sei deshalb ein "bereinigter" Gender Pay Day, den Kilian auf einen rund eineinhalb Monate früheren Termin, nämlich den 4. Februar datiert, indem er den Blick nur auf die von Frauen favorisierten kleineren Anwaltskanzleien mit bis zu neun Berufsträgern fokussiert.
Je nach Blickwinkel ist der geschlechtsspezifische Gehaltsunterschied in der Anwaltschaft also größer oder kleiner als in der Arbeitnehmerschaft insgesamt. Bundesjustizminister Maas wies anlässlich des "Equal Pay Day" darauf hin, dass in einigen Anwaltskanzleien bereits den männlichen Kollegen, die einer Vaterschaft entgegensehen, mit Blick auf die Chancengleichheit der Kolleginnen explizit die Elternzeit nahegelegt werde. Dies sei ein guter Ansatz, um Frauen den beruflichen Aufstieg zu erleichtern.
[Red.]