Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwerde. Abhilfe. Kammerbesetzung. ehrenamtliche Richter. Selbstkontrolle. Gehörsrüge. immanente Regelung. Geschäftsverteilungsplan. Abhilfeentscheidung. gleiche Kammerbesetzung

 

Leitsatz (amtlich)

1) Soweit nach § 78 Satz 1 ArbGG gegen die Entscheidung der Kammer des Arbeitsgerichtes die Beschwerde gegeben ist, entscheidet die Kammer des Arbeitsgerichts über die Abhilfe der Beschwerde in derselben Besetzung mit ehrenamtlichen Richtern wie bei der Ausgangsentscheidung (a.A. LAG Berlin vom 15. Februar 2006 – 13 Ta 170/06 m.w.N.).

2) Das in § 78 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO geregelte Abhilfeverfahren dient der Selbstkontrolle des Arbeitsgerichtes und damit der Prozessökonomie sowie der Entlastung der Landesarbeitsgerichte. Die Kammer hat ihre in der Ausgangsentscheidung gefundene Entscheidung anhand der mit der Beschwerde vorgetragenen – ggf. neuen – Tatsachen und Rechtsargumente in vollem Umfang zu überprüfen. Gleichzeitig erschöpft sich das Abhilfeverfahren in der Selbstkontrolle, d.h. der Beschwerdeführer hat keinen Anspruch auf eine „zweite Erstentscheidung”.

3) Das Prinzip der Selbstkontrolle bedingt die Entscheidung über die Abhilfe in identischer Kammerbesetzung. Eine Parallelwertung zu anderen Fällen der Selbstkontrolle ist geboten, etwa zur Entscheidung über den Tatbestandsberichtigungsantrag nach § 320 ZPO und über die Gehörsrüge nach §§ 78a ArbGG, 321a ZPO.

4) Die Entscheidung in identischer Kammerbesetzung braucht nicht – wie in § 320 Abs. 4 Satz 2 ZPO – ausdrücklich gesetzlich angeordnet zu sein, sondern kann – wie in § 78a Abs. 6 Satz 1 ArbGG – der gesetzlichen Regelung immanent sein. Die immanente Regelung ist dem gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan (§§ 6a ArbGG, 21e GVG) vorrangig; ggf. ist der Geschäftsverteilungsplan zu ergänzen.

5) Bei der Wahrung des gesetzlichen Richters ist zwischen dem Kammervorsitzenden und den ehrenamtlichen Richtern ein Unterschied nicht zu machen, da Berufsrichter und ehrenamtliche Richter in den Kammer zugewiesenen materiell-rechtlichen Fragen vollkommen gleichberechtigt sind.

 

Normenkette

ArbGG §§ 6, 6a, 78, 78a; ZPO §§ 320, 321a, 572

 

Tenor

I. Der sofortigen Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss vom 16. November 2005 wird nicht abgeholfen.

II. Die Sache wird dem Landesarbeitsgericht Berlin vorgelegt.

 

Tatbestand

Der sofortigen Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss der Kammer vom 16. November 2005 ist nicht abzuhelfen.

I.

Die sofortige Beschwerde ist als statthaft und fristgerecht erhoben zu betrachten. Die Zustellung des mit der Begründung versehenen Beschlusses hatte sich wegen der den Parteien telephonisch mitgeteilten Gründen verzögert. Er ist am 13. Februar 2006 durch das Gericht gegen Empfangsbekenntnis abgesandt worden. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten bestätigte den Empfang unter dem 17. Februar 2006, der Prozessbevollmächtigte des Klägers und Beschwerdeführers – nach gerichtlicher Nachfrage vom 2. März 2006 – erst unter dem 13. März 2006. Bis zu diesem Tage scheint Empfangsbereitschaft auf Seiten des Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht vorgelegen zu haben, wie sie gleichwohl Voraussetzung für die Zustellung nach § 174 Abs. 1 ZPO ist (Zöller-Stöber, ZPO, 23. Aufl., Rdn. 6 zu § 174 ZPO). Ein früheres Zustelldatum als der 13. März 2006 kann nicht angenommen werden; die am gleichen Tage per Fax mit nachfolgendem Original eingelegte Beschwerde ist rechtzeitig im Sinne von § 569 Abs.1 Satz 1 ZPO.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Abhilfeentscheidung hat nach landläufiger Meinung nicht durch die Kammer in derjenigen Besetzung zu ergehen, wie sie bei der Ausgangsentscheidung vorlag (LAG Köln vom 10. März 2006 – 3 Ta 47/06, unter II.1. der Gründe; LAG Berlin vom 15. Februar 2006 – 13 Ta 170/06, DB 2006, 787; LAG Baden-Württemberg vom 7. August 2002 – 15 Ta 12/02, LAG-Report 2003, 150, unter 4. der Gründe; Holthaus/Koch. RdA 2002, 140, 157 rechts; Germelmann/Matthes/ Prütting/Müller-Glöge – Müller-Glöge, Arbeitsgerichtsgesetz, 5. Aufl. 2004, Rdn. 28 zu § 78 ArbGG; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge – Germelmann, Arbeitsgerichtsgesetz, 5. Aufl. 2004, Rdn. 84 zu § 48 ArbGG; ErfKomm-Koch, Rdn. 9 zu § 78 ArbGG; Schwab/Weth, Kommentar zum Arbeitsgerichtsgerichtsgesetz 2004, Rdn. 45 zu § 78 ArbGG). Die angezogene Rechtsprechung sowie das Schrifttum enthalten allerdings für den bezogenen Standpunkt keine Begründung.

Apodiktische Lösungen werden der Problematik nicht gerecht. Nach Überzeugung der erkennenden Kammer muss die Abhilfeentscheidung durch die Kammer in derjenigen Besetzung erfolgen, wie sie auch bereits bei der durch die sofortige Beschwerde angegriffenen Entscheidung gegeben war.

Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gibt dem Beschwerdeführer keinen Anspruch auf eine vollkommen neue Entscheidung über die aufgeworfene Rechtsfrage, die einer zweiten Erstentscheidung gleichkäme. Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gibt dem Beschwerdeführer vielmehr lediglich einen Anspruch darauf, dass die Kammer...

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