Leitsatz (amtlich)
Ist ein Mitglied des Betriebsrates bei der Beratung und Beschlussfassung über seine Kündigung (§ 103 Abs. 1 BetrVG) wegen Interessenkollision als „zeitlich verhindert” (§ 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) anzusehen (s. etwa BAG 3.8.1999 – 1 ABR 30/98 – BAGE 92, 162 = AP § 25 BetrVG 1972 Nr. 7; 19.3.2003 – 7 ABR 15/02 – BAGE 105, 311 = AP § 40 BetrVG 1972 Nr. 77), so dasselbe spiegelbildlich für ein Betriebsratsmitglied, das als Vorgesetzte(r) eines anderen Mitgliedes dessen Kündigung betreibt: Auch für dieses ist zur Beratung und Beschlussfassung ein Ersatzmitglied zu befassen. Verstößt das Gremium gegen dieses Verfahrensgebot, so ist die Kündigung des betreffenden Mitgliedes schon deshalb unwirksam.
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung der Beklagten im Schreiben vom 22. November 2012 noch durch die mit demselben Schreiben erklärte hilfsweise Kündigung zum nächsten fristgerechten Termin beendet worden ist.
II. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.
III. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Kundenberater weiterzubeschäftigen.
IV. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
V. Der Wert der Streitgegenstände wird auf 7.095,– Euro festgesetzt.
Tatbestand
Es geht um – vorzugsweise: fristlose – Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes. – Vorgefallen ist dies:
I. Der (heute) 26-jährige Kläger trat im Oktober 2008 als Kundenberater in die Dienste der Beklagten, die mit mehr als zehn ständig beschäftigten Arbeitspersonen ein Unternehmen für „Dialogmarketing” betreibt. Er ist Mitglied des gewählten Betriebsrates und bezog zur Zeit der Ereignisse, die den Hintergrund des Rechtsstreits bilden, bei 40 Wochenarbeitsstunden ein Grundgehalt von monatlich 1.650,– Euro (brutto), das sich durch Prämien nach Maßgabe einer Prämienzielvereinbarung (Kopie: Urteilsanlage I.) allerdings in gewissem Rahmen aufbessern ließ.
II. Mit besagten „Ereignissen” hat es folgende Bewandtnis:
1. Seit (spätestens) 14. Juni 2012 ist der Kläger dienstlich damit befasst, für einen der Auftraggeber der Beklagten Anfragen zu beantworten, die dessen Kunden per E-Mail an den Auftraggeber richteten Diese Kunden waren dem Arbeitsplatz (unter anderem) des Klägers in der Weise programmtechnisch gleichsam per „Warteschlange” zugeordnet, dass dieser die jeweils anstehende Anfrage per Mausklick öffnen konnte, um sich sodann deren Bearbeitung zu widmen.
2. Das tat der Kläger denn auch, allerdings nicht ausschließlich: Er ging vielmehr seit dem 14. Juni 2012 des Öfteren dazu über, anstelle des zur Öffnung von E-Mail-Dateien angebotenen „Buttons ‚nächster Case’” den „Button ‚neuer Case’” zu betätigen, womit sich in der Tat besagter „neuer Case” ergab, der nicht mit konkreten Kundenanfragen verknüpft war Wegen des Erscheinungsbildes der sich ihm insoweit darbietenden Bildschirmoberfläche wird zur besseren Veranschaulichung auf deren von der Beklagten eingereichte Kopie („screen-shot”; Urteilsanlage II.) verwiesen.
3. Worum es sich bei diesem „neuen Case” konkret handelte, stellen die Parteien unterschiedlich dar: Während der Kläger beteuern lässt, er habe „in dieser Zeit Arbeitsanweisungen im von Kunden vorgeschriebenen Infoportal ‚Mike’ gelesen” und „Standardtexte gesichtet”, die für die E-Mail-Bearbeitung nötig – und damit vertragsgerecht – seien, besteht die Beklagte darauf, dass es vor allem um – betrügerische – Zweckentfremdung bezahlter Arbeitszeit gehe („Erbringung von Arbeitszeiten vorgespiegelt”; s. auch unten, S. 6 [VI.1.]). Unstreitig ist immerhin, dass so im Laufe der Zeit vom 14. Juni bis 14. November 2012 insgesamt gut 80 Stunden zusammen kamen, die der Kläger auf besagte Weise mit „neuen Case's” verbrachte
III. Das blieb nicht unbemerkt:
1. Als sich den Worten der Beklagten zufolge am 14. November 2012 der Kläger nicht mehr in der Lage sah, „den Case zu schließen”, nahm sich ihr Mitarbeiter P. T. am 16. November 2012 des Problems an. Weil dieser dann bemerkte, dass jener „Case” weder mit Kundenanfragen noch mit Bearbeitungsschritten verbunden war, gab er seine Beobachtungen am 19. November 2012 an seine Vorgesetzten weiter. Diese betrauten ein weiteres Mitglied des Betriebsrates, nämlich Frau A. Z. als zuständige Junior-Projektleiterin damit, der Sache auf den Grund zu gehen, was diese auch tat
2. Am 20. November 2012 kam es im Beisein des Teamleiters (Herrn St. H.) zu einer Aussprache zwischen Frau Z. und dem Kläger, über deren Inhalte die Darstellungen der Parteien streckenweise auseinander gehen. Während die Beklagte versichert, der Kläger habe mit der Angabe, „Recherchen betrieben zu haben”, die „vorstehend dargestellten Manipulationen” zugegeben, beteuert dieser, lediglich auf die oben (unter 3...