Leitsatz (amtlich)
I. Bei der Anhörung des Betriebsrates nach § 102 Abs. 1 BetrVG gehört die Mitteilung von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers diesseits extremer Ausnahmefälle zu den unverzichtbaren Pflichtangaben des Arbeitgebers (wie BAG 15.12.1994 – 2 AZR 327/94 – NZA 1995, 521). Ohne sie ist die Kündigung entsprechend § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG in aller Regel unwirksam.
II. Die Einholung telefonischer Auskünfte bei Kunden eines Versicherungsunternehmens über in der Arbeitsberichterstattung dokumentierte Besuchstermine eines Mitarbeiters ist wegen der situativen Intransparenz und Fehleranfälligkeit derartiger Informationsgewinnung problematisch. Soll auf der Grundlage derart gewonnener Eindrücke die verhaltensbedingte Kündigung des betreffenden Mitarbeiters betrieben werden, so ist dieser zu den telefonisch ermittelten Erkenntnissen vor Ausspruch der Kündigung anzuhören. Andernfalls ist die Kündigung – analog den Verhältnissen bei der „klassischen” Verdachtskündigung – gleichfalls unwirksam.
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin weder durch die fristlose Kündigung der Beklagten im Schreiben vom 18. Januar 2012 noch durch die hilfsweise fristgemäße Kündigung im selben Schreiben aufgelöst worden ist.
II. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 18. Januar 2012 bzw. über den 30. September 2012 hinaus fortbesteht.
III. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits vertragsgemäß zu den bisherigen Bedingungen als Mitarbeiterin im Verkaufsaußendienst weiterzubeschäftigen.
IV. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
V. Der Wert der Streitgegenstände wird auf 10.406,– Euro festgesetzt.
Tatbestand
Es geht um auf Gründe im Verhalten gestützte ¨C vorzugsweise fristlose – Kündigung. – Vorgefallen ist dies:
I. Die (heute) 57-jährige Klägerin trat im Juli 1998 als „Verkäuferin im Autohaus” in die Dienste der Beklagten, die unter dem Namenskürzel „N.” mit regelmäßig mehr als zehn Vollzeitbeschäftigten ein Versicherungsunternehmen betreibt. Hier fand sich die Klägerin kraft (nicht datierter) Zusatzvereinbarung mit der „ASB A. B. GmbH” und „ASB V. GmbH” als Mitarbeiterin im Versicherungsaußendienst eingesetzt. – Der nach Erscheinungsbild und Diktion von der Beklagten gestellte Arbeitsvertrag trifft unter anderem folgende Bestimmungen:
„Allgemeine Verpflichtungen
Frau C.F. [Name der Klägerin im Original ausgeschrieben; d.U.] hat die Interessen der N. in allen Bereichen (Akquisition, Organisation, Werbung) unter Beachtung der jeweils von der N. erlassenen Anweisungen und Richtlinien sowie der gesetzlichen und sonstigen Vorschriften wahrzunehmen. …
Aufgaben
Frau C.F. [wie oben] hat die Aufgabe, unter Berücksichtigung jährlich festzusetzender Ziele,
- für ein ausreichendes, qualitativ einwandfreies und kostendeckendes Neugeschäft in allen Sparten zu sorgen,
- neue Kundenverbindungen anzuwerben,
- die Bestände der ihr zugewiesenen hauptberuflichen Agenturen gemäß den getroffenen Auswertungsvereinbarungen auszuwerten,
- Maßnahmen zur Erhaltung der Bestände zu treffen,
- an allen Schulungsveranstaltungen, Tagungen und Arbeitsbesprechungen, soweit dazu aufgefordert wird, teilzunehmen.
Die gesonderte Stellenbeschreibung für den Verkäufer im Autohaus in der jeweils geltenden Fassung ist Vertragsbestandteil. … „.
Weiterer Teil der Verpflichtungen der Klägerin war es, auf Geheiß der Beklagten über ihre Vertriebsaktivitäten in im Detail vorgeschriebener Weise Bericht zu erstatten. In diesen Zusammenhang gehört ihre Verpflichtung, im sogenannten „Technik Unterstützungs System [TUS]” wöchentlich über ihre Kundentermine zu berichten und Hinweise auf deren Charakter und Thematik zu notieren. Zur Veranschaulichung wird auf einen Auszug aus den von der Beklagten aktenkundig gemachten „Wochenberichten” aus der Zeit vom 1. April bis 16. Dezember 2011 (Kopie [Auszug]: Urteilsanlage I.) verwiesen.
II. Was die Rückschau auf ihre bisherige Vertragsgeschichte anbelangt, so gehen die Einschätzungen der Parteien streckenweise deutlich auseinander:
1. Während die Klägerin versichert, das Arbeitsverhältnis sei zumindest bis Ende März 2011 völlig reibungslos verlaufen, weil die Beklagte sie durch Ausstattung mit ausreichend Kundenpotenzial in die Lage versetzt habe, „ihre Ergebnisse” immer zu deren vollster Zufriedenheit zu erbringen, bringt diese ein anderes Erinnerungsbild zur Sprache: Danach sei die Klägerin – was diese nicht bestreitet – bereits mit Schreiben vom 22. Juni 2000 (Kopie: Urteilsanlage II.) und nochmals vom 22. März 2001 (Kopie: Urteilsanlage III.) wegen unzureichender Geschäftserfolge abgemahnt und sodann unter dem 8. Mai 2011 (Kopie: Urteilsanlage IV.) sogar gekündigt worden. Nachdem sie diese Kündigung dann „wegen deutlicher Verbesserung der Produktion” nicht weiter verf...