Leitsatz (amtlich)

I. Die auf Gründe im Verhalten im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gestützte Kündigung eines Arbeitsverhältnisses setzt nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in aller Regel die vorherige vergebliche Abmahnung des beanstandeten Fehlverhaltens voraus (s. etwa BAG 12.1.2006 – 2 AZR 179/05 – AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = NZA 2006, 980; ständige Rechtsprechung). Das gilt diesseits besonderer Sachverhaltsgestaltungen auch in Fällen sexueller Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 4 AGG (s. etwa BAG 9.6.2011 – 2 AZR 323/10 – AP § 626 BGB Nr. 236 = NZA 2011, 1342 [Orientierungssatz 4.).

II. Liegt der normative Geltungsgrund des Abmahnungserfordernisses im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, so ist dieses Verfahrensgebot nicht durch die Erwägung zu ersetzen, der betroffene Arbeitnehmer habe sich auch ohne Abmahnung sagen müssen, dass der Arbeitgeber das fragliche Fehlverhalten nicht billigen werde. Die Abmahnung dient in diesem Zusammenhang nicht der Beseitigung etwaiger Irrtümer über den vertraglichen Pflichtenkreis und seine Grenzen, sondern der Erprobung, ob den Vertragsbelangen des Arbeitgebers auch auf schonendere Weise als durch ultimative Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsprochen werden kann.

 

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung im Schreiben vom 27. September 2012 weder mit sofortiger Wirkung noch mit dem 31. März 2013 aufgelöst worden ist.

II. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu den bisherigen Arbeitsbedingungen über den 31. März 2013 hinaus ungekündigt fortbesteht.

III. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen

IV. Der Wert der Streitgegenstände wird auf 24.575,69 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Es geht um auf Gründe im Verhalten gestützte – vorzugsweise fristlose – Kündigung. – Vorgefallen ist dies:

I. Der (heute[1]) 54-jährige Kläger trat im April 1975 – zunächst (wohl[2]) zur Absolvierung einer Banklehre – in die Dienste (einer Rechtsvorgängerin) der Beklagten ein, ehe er seine Übernahme in Festanstellung „im Kreditbereich”[3] erfuhr. Die Beklagte widmet sich der Finanzierung von Immobilien und bietet einer Selbstauskunft zufolge mit gegenwärtig ca. 400 Beschäftigten „darüber hinaus das gesamte Leistungsspektrum einer breit aufgestellten Universalbank” an[4]. Hier bezog der Kläger zur Zeit der Ereignisse, die den Hintergrund des Rechtsstreits bilden, als Kreditreferent im Bereich Risikobetreuung Immobilien[5] ein Monatsgehalt von zuletzt 7.447,18 Euro[6] (brutto).

II. Mit besagten „Ereignissen” hat es folgende Bewandtnis:

1. Die Betriebsparteien des Hauses trafen zum 1. November 2006 als „Nummer 3 der Anlage 2” einer „Rahmenbetriebsvereinbarung über die Einführung, Einsatz und Weiterentwicklung elektronischer Informations-, Kommunikations- und Datenvereinbarungssysteme”[7] unter anderem folgende Regelungen:

„3. Kategorie A: E-Mail, Kalender- und Faxfunktion

… Generell ist die private Nutzung der E-Mail-Funktionalität z.B. E-Mails zu privaten Zwecken abzusetzen und zu empfangen erlaubt, sofern dadurch keine betrieblichen Belange beeinträchtigt werden. …

Die private Nutzungsmöglichkeit ist eine freiwillige vom Vorstand jederzeit widerrufbare Leistung; sie appelliert in hohem Maße an den verantwortungsvollen Umgang der jeweiligen Mitarbeiter und ist an die Voraussetzung geknüpft, dass der Mitarbeiter sich damit einverstanden erklärt, dass bei konkretem Verdacht auf Missbrauch oder zur Gewährleistung der Systemsicherheit der Arbeitgeber das Recht hat, zusammen mit dem Betriebsrat und dem Datenschutzbeauftragten in die Maildatenbanken Einsicht zu nehmen. Mitarbeitern, die hiermit nicht einverstanden sind, ist die private Nutzung der E-Mail-Funktionalität verboten; diese Mitarbeiter sind gehalten, alles dafür zu tun, dass auf ihren Mailkonten keine privaten E-Mails eingehen. …”.

Diesem Reglement erteilte der Kläger unter dem 28. Februar 2007[8] (Kopie: Urteilsanlage I.) seine Zustimmung[9].

2. In einer „Nummer 2 der Anlage 2” zur vorerwähnten Rahmenbetriebsvereinbarung besiegelten die Betriebsparteien sodann per 10. September 2007[10] unter anderem diese Regelungen:

„Nutzung des Internets

Das Ausmaß einer privaten Nutzung des Internets ist auf den gelegentlichen Gebrauch und vorwiegend während der Arbeitspausen zu begrenzen und darf die Arbeitsabläufe nicht stören sowie keine zusätzlichen Kosten wie z.B. durch kostenpflichtige Internetdienste verursachen.

Insbesondere ist jede Nutzung unzulässig, die geeignet ist, den Interessen der Bank oder deren Ansehen in der Öffentlichkeit zu schaden, die Sicherheit des Firmennetzes zu beeinträchtigen oder die gegen geltende Rechtsvorschriften und die geltenden Betriebsvereinbarungen verstößt, wie vor allem:

  • das Abrufen oder Verbreiten von Inhalten, die gegen datenschutzrechtliche, persönlichkeitsrechtliche, urheberrechtliche oder strafrechtliche Bestimmungen verstoßen,
  • das Abrufen oder Verbreiten vo...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge