Leitsatz (amtlich)

I. Kommt die Anfechtung einer Eigenkündigung wegen rechtswidriger Drohung (§ 123 Abs. 1 BGB) dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde arbeitsgerichtlicher Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten (s. etwa BAG 27.11.2003 – 2 AZR 135/03BAGE 109, 22 = NZA 2004, 597), so gehört zur diesbezüglichen Selbstkontrolle des Arbeitgebers neben der Berücksichtigung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit auch das kündigungsschutzrechtlich nicht minder elementare Prognoseprinzip.

II. Danach ist Zweck einer Kündigung nicht die Sanktionierung begangener Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen (BAG 23.6.2009 – 2 AZR 283/08 – AP § 1 KSchG 1969 Abmahnung Nr. 5 [I.1 b.]; im selben Sinne auch BVerfG 2.7.2001 – 1 BvR 2049/00 – AP § 626 BGB Nr. 170 = NZA 2001, 888).

III. Im Lichte dessen kann auch die Androhung fristloser Kündigung zur Erwirkung der Eigenkündigung eines Mitarbeiters der Vermögensverwaltung einer Großbank zur Anfechtung der Eigenkündigung berechtigen, der unter Verkürzung der innerbetrieblichen Kontrollprozedur betrügerischen Akteuren mit der Folge aufgesessen ist, dass der Bank ein Vermögensschaden von rund 264.000,– Euro entstanden sein soll. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn für den seit 37 Jahren in den Diensten der Bank stehenden Mitarbeiter schon wegen seines Reputationsverlusts auch ohne die Kündigung angenommen werden kann, dass eine Wiederholung des Fehlverhaltens nach menschlichem Ermessen auszuschließen sei.

 

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Eigenkündigung des Klägers im Schreiben vom 11. September 2012 nicht mit dem 31. Dezember 2012 enden wird.

II. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch die Kündigung im Beklagtenschreiben vom 19. Oktober 2012 nicht zum 30. Juli 2013 beendet wird.

III. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern über den 30. Juni 2013 hinaus unverändert fortbesteht.

IV. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Senior Relationchipmanager bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Kündigungsschutzrechtsstreits weiter zu beschäftigen.

V. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

VI. Der Wert der Streitgegenstände wird auf 50.370,00 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Es geht neben (vorrangig) Anfechtung sogenannter Eigenkündigung um auf Gründe im Verhalten gestützte Kündigung. – Vorgefallen ist dies:

I. Der (heute[1]) 55-jährige Kläger trat im August 1975 in die Dienste der damaligen D. Bank AG, die 2008 in der heutigen Beklagten aufging. Er bezog zur Zeit der Ereignisse, die den Hintergrund des hiesigen Rechtsstreits bilden, als mit Vermögensverwaltung befasster „Senior Relationshipmanager” ein Monatsgehalt von 6.900,– Euro (brutto).

II. Mit besagten „Ereignissen” hat es folgende Bewandtnis:

1. Im April 2012 empfing der Kläger ein in englischer Sprache abgefasstes Fax[2] (Kopie: Urteilsanlage I.), dessen Text zufolge ihn einer seiner langjährigen Kunden aus Südafrika (Herr Kenneth R.; Name im Original ausgeschrieben; d.U.) darum bat, näher bezeichnete Wertpapiere seines Portfolios zu veräußern[3].

a. Für die Bearbeitung solcher per Fax eingehender Kundenwünsche existieren nach Angaben der Beklagten standardisierte Vorgaben, die auf Kontrolle der Unterschrift und Vergewisserung über die Authentizität des Begehrens gerichtet sind[4]: Danach ist zum einen der übermittelte Namenszug auf Übereinstimmung mit der im Hause hinterlegten Unterschriftsprobe zu überprüfen[5]. Zum anderen ist mit dem Kunden hinsichtlich der Beauftragung per Fax eine separate schriftliche „Vereinbarung”[6] zu treffen (Kopie: Urteilsanlage II.), die auf Minimierung der Haftungsrisiken der Bank abzielt[7].

b. Diesen Vorgaben entsprach die Sachbehandlung des Klägers nicht (s. dazu noch unten, S. 14 [VII.]). Obwohl die Bank nach eigenem Bekunden[8] noch unter dem Datum des 19. April 2012 eine gesonderte Warnung für den Umgang mit Verkaufs- und Überweisungsaufträgen speziell für „Kunden mit Wohnsitz in Südafrika oder anderen afrikanischen Ländern”[9] herausgegeben hatte (Kopie: Urteilsanlage III.), Herr R. die Verwaltung seines beträchtlichen Vermögens bereits vor Jahren seinem in New York lebenden Sohn Grant R. überlassen hatte[10], der Sprachstil des Faxes (aus Sicht der Beklagten[11]) seinem Niveau nicht entsprach und nicht zuletzt auch die Unterschrift aus ihrer Sicht allenfalls entfernte Ähnlichkeit mit dem in der Bank im Februar 2003 hinterlegten Namenszug[12] (Kopie: Urteilsanlage IV.) aufwies, hegte der Kläger keinen Argwohn. Stattdessen befolgte er die Direktive, nachdem sich der Auftraggeber nochmals telefonisch bei ihm – statt umgekehrt er sich bei diesem – gemeldet hatte[13]: Das führte im Ergebnis dazu, dass nach einem...

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