Leitsatz (amtlich)
Mit Hinweis auf den von der Rechtsprechung des BAG entwickelten Grundsatz der Tarifeinheit, der umstritten aber noch nicht aufgegeben worden ist, kann ein Streik einer Spartengewerkschaft nicht untersagt werden.
Eine Begrenzung des Streikrechts unter Berücksichtigung der Gemeinwohlbindung als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist in Ausnahmefällen mäglich.
Nachgehend
Tenor
1. Der Verfügungsbeklagten wird es untersagt, ihre Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer, die bei der DB Fernverkehr AG oder der Railion Deutschland AG beschäftigt sind, zu Streiks aufzurufen und/oder Streiks in den Betrieben dieser beiden Unternehmen durchzuführen, um den Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages mit den in Anlage 11 genannten Inhalten durchzusetzen.
2. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Unterlassungspflicht wird der Verfügungsbeklagten ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von EUR 250.000,00 (in Worten: zweihundertfünfzigtausend Euro), ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an ihrem Bundesvorsitzenden, angedroht.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits zu ¼, die Verfügungskläger zu ¾ als Gesamtschuldner.
5. Der Streitwert wird auf 1.000.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Verfügungsklägerinnen zu 1. und zu 2. sowie der Verfügungskläger zu 3. (künftig: Verfügungskläger) begehren im Wege der einstweiligen Verfügung die gerichtliche Untersagung gegenüber der Verfügungsbeklagten, ihre Mitglieder und sonstigen Arbeitnehmer der Verfügungskläger zu Streiks aufzurufen oder Streiks in den Betrieben der Verfügungskläger durchzuführen, um so den Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages zur Regelung der Arbeitszeit sowie des Arbeitsentgeltes für das Fahrpersonal durchzusetzen. Der von dem Verfügungskläger zu 3. gestellte Antrag richtet sich gegen Streikaufrufe und Streiks in den Betrieben seiner Mitgliedsunternehmen im Personen- und Güterverkehr, auf die sich der von der Verfügungsbeklagten durchzusetzende Tarifvertrag beziehen soll und bei denen Fahrpersonal beschäftigt wird.
Die Vergütungsklägerin zu 1. ist ein Unternehmen des DB-Konzerns und dort im Unternehmensbereich Nahverkehr tätig. Mit den bei ihr wie bei ihren Regionen RNEGB Chemnitz, RMVEGB und RMOWB Mellenb. Gl. RMV OWB – Wahlbetrieb Erzgebirge Oberweißenbacher Berg- und Schwarztalbahn in Chemnitz Beschäftigten erbringt sie Transportdienstleistungen im Zuständigkeitsbereich des angerufenen Arbeitsgerichts.
Die Verfügungsklägerin zu 2. ist im Unternehmensbereich Nahverkehr bundesweit tätig. In der Meldestelle Chemnitz beschäftigt sie auch Fahrpersonal, namentlich 54 Lokführer und 34 Zugbegleiter. Der Standort Chemnitz ist ein regionaler Knotenpunkt, u. a. mit Strecken nach Dresden, Leipzig, Zwickau und Hof (Sachsen-Franken-Magistrale).
Die Verfügungsklägerinnen zu 1. und zu 2. gehören dem Arbeitgeberverband der Mobilitätsund Verkehrsdienstleister e.V. (Agv Mo Ve) an. Der Arbeitgeberverband wurde von der Deutschen Bahn AG und weiteren sieben Gesellschaften am 04.06.2007 gegründet. Ihm gehören derzeit weit über 60 Gesellschaften des DB-Konzerns an. Hierzu gehören u. a. auch die DB Fernverkehr AG, die Railion Deutschland AG, die DB Regio NRW GmbH, die S-Bahn Hamburg GmbH, die S-Bahn Berlin GmbH sowie die DB ZugBus Regionalverkehr Alb-Bodensee GmbH. Auf die vorgenannten Unternehmen des DB-Konzerns soll sich der Geltungsbereich des von der Verfügungsbeklagten angestrebten Tarifvertrags für das Fahrpersonal (FPTV) erstrecken.
Die Verfügungsbeklagte ist neben der TRANSNET und der GDBA eine von insgesamt drei Bahngewerkschaften im Tarifbereich der Unternehmen des DB-Konzerns. Neben der TRANSNET und der DGBA schließt auch die Verfügungsbeklagte Tarifverträge im Tarifbereich der Verfügungskläger ab.
In der Vergangenheit wurden innerhalb des DB-Konzerns durchweg jeweils inhaltsgleiche Tarifverträge zwischen der Arbeitgeberseite einerseits und den Gewerkschaften TRANSNET/GDBA und der GDL andererseits abgeschlossen. Diese wurden bislang einheitlich auf alle 134.000 Beschäftigten (inklusive Beamte) innerhalb ihres Geltungsbereiches angewandt. Die Verfügungsbeklagte beendete im Sommer 2002 die Tarifgemeinschaft mit der GDBA und versuchte erstmals in der Tarifrunde 2003 in Abweichung von der bisherigen Tarifsystematik, den Abschluss eines eigenen Spartentarifvertrages für das Personal zu erreichen. Zum Abschluss eines solchen Tarifvertrages kam es seinerzeit nicht. Die Verfügungsbeklagte verfolgte ihr Tarifziel zunächst nicht weiter und schloss mit dem 51. Änderungstarifvertrag vom 10.03.2005 in der Entgeltrunde 2005 wiederum inhaltlich gleiche tarifliche Regelungen wie die TRANSNET und GDBA mit dem Agv Mo Ve ab. Darüber hinaus wurden tarifliche Regelungen zur Beschäftigungssicherung (BeSiTV), die nach Auslaufen des vorangegangenen Beschäftigungsbündnisses einen weitgehenden Verzicht auf betriebsbe...