Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonderkündigungsschutz gemäß § 90 Abs. 2a SGB IX nach Gleichstellungsantrag

 

Nachgehend

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 14.06.2006; Aktenzeichen 10 Sa 43/06)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtstreits zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes der Entscheidung beträgt 6.750,00 EUR.

4. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes ausgesprochenen arbeitgeberseitigen Kündigung vor dem Hintergrund des § 90 Abs. 2 a SGB IX.

Der am 0.0.1949 geborene Kläger ist seit dem 01.02.2005 beim Beklagten, der weniger als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, als Schlosser zu einem durchschnittlichen monatlichen Verdienst von 2.250,00 EUR angestellt.

Der Kläger hat am 28.12.2005 bei der Agentur für Arbeit die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen beantragt.

Der Beklagte hat das Arbeitsverhältnis durch Schreiben vom 13.01.2006 fristgerecht zum 15.02.2006 gekündigt.

Die Agentur für Arbeit hat am 30.01.2006 den klägerischen Gleichstellungsantrag positiv verbeschieden.

Der Kläger ist der Auffassung, die streitgegenständliche Kündigung vom 13.01.2006 sei wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamtes rechtsunwirksam.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 13.01.2006 zum 15.02.2006 nicht aufgelöst ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte stützt sich auf die Regelung des § 90 Abs. 2 a SGB IX, der nach Auffassung des Beklagten auch auf das Gleichstellungsverfahren bei der Agentur für Arbeit anwendbar ist. Die dortige Verweisung auf die Bearbeitungsfrist des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX sei ebenfalls im Gleichstellungsverfahren anwendbar, weshalb der Gleichstellungsantrag im vorliegenden Fall nicht ausreichend frühzeitig vor Ausspruch der Kündigung gestellt worden sei.

Der Kläger vertritt die gegenteilige Rechtsauffassung und hält § 90 Abs. 2 a SGB IX nicht für auf das Gleichstellungsverfahren anwendbar.

Beide Parteien stützen sich auf Rechtsprechung und Literatur, die ihren jeweiligen Rechtsstandpunkt teilen.

Im übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 31.03.2006 waren. Die Kammer hat den Rechtstreit ohne Durchführung einer Beweisaufnahme am 31.03.2006 entschieden.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Arbeitsgericht Freiburg – Kammern Villingen-Schwenningen – war für die Entscheidung des Rechtstreits örtlich und sachlich gemäss §§ 2 Abs. 1 Ziffer 3 b, 46 Abs. 2 ArbGG, 12 ff. ZPO örtlich und sachlich zuständig.

II. Die zulässige Klage war in der Sache ohne Erfolg. Die streitgegenständliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 15.02.2006 beendet. Insbesondere war keine Zustimmung des Integrationsamtes gemäss § 85 SGB IX erforderlich, da § 90 Abs. 2 a Alt. 2 SGB IX auf das Gleichstellungsverfahren jedenfalls analog anwendbar ist.

Da die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 u. 3 KSchG unstreitig nicht vorliegen, die Kündigung somit keiner sozialen Rechtfertigung nach § 1 Abs. 2 KSchG bedurfte und sonstige Unwirksamkeitsgründe weder vorgetragen noch ersichtlich sind, war alleine streitentscheidend die Rechtsfrage, ob die Kündigung gem. § 85 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts bedurfte.

Im Einzelnen:

1. Gemäss § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Gemäss § 68 Abs. 3 SGB IX werden auf gleichgestellte behinderte Menschen die Vorschriften des zweiten Teils des SGB IX mit Ausnahme des § 125 und des Kapitels 13 angewendet. Die Kündigung eines gleichgestellten behinderten Menschen bedarf daher ebenfalls der Zustimmung des Integrationsamtes.

Anders als im Falle der Anerkennung als Schwerbehinderter nach § 69 Abs. 1 SGB IX, welcher nur eine deklaratorische Feststellung der bereits bestehenden Schwerbehinderteneigenschaft zukommt, hat die Feststellung der Gleichstellung behinderter Menschen mit schwerbehinderten Menschen nach § 68 Abs. 2 SGB IX konstitutive Wirkung. Die Gleichstellung wird nach § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX mit dem Tag des Eingangs des Antrags bei der Agentur für Arbeit wirksam. Gemäss § 90 Abs. 2 a SGB findet das Zustimmungserfordernis des § 85 SGB IX keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. Diese mit Wirkung zum 01.05.2004 neu eingefügte und aufgrund ihrer Formulierung zunächst schwer verständliche Bestimmung soll nach dem Willen des Gesetzgebers gewährleisten, dass der Arbeitgeber zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers nicht der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf, wenn zum Zeitpunkt de...

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