Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung von Kündigungen vor Verhandlungen über einen Interessenausgleich
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Zweck der Sicherung der Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei Betriebsänderungen kann der Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Untersagung der Durchführung personeller Einzelmaßnahmen vor der Verhandlung über einen Interessenausgleich geboten sein.
2. Es stellt eine Einschränkung eines wesentlichen Betriebsteils i.S. des § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG und damit eine Betriebsänderung dar, wenn ein Unternehmen des Möbeleinzelhandels, das direkt zum End-verbraucher liefert und dort auch die Aufstellung und Montage der Möbel durch einen Fahrer vornimmt, seine gesamte Auslieferung auf eine Fremdfirma überträgt. In diesem Fall handelt es sich um eine primäre Funktion und nicht lediglich um eine schlichte Hilfsfunktion. Eine solche Maßnahme stellt sich auch als eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation i.S. von § 111 S. 3 Nr. 4 BetrVG dar.Einstweilige Verfügung auf Unterlassung personeller Maßnahmen vor Verhandlungen über Interessenausgleich; hier: Auslagerung der Auslieferung bei Möbelhaus
Tenor
Der Antragsgegnerin wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes für jeden Fall der Zuwiderhandlung von bis zu EUR 250.000,00 aufgegeben, es zu unterlassen, Maßnahmen der Betriebsänderung im Betrieb der Antragsgegnerin – insbesondere Kündigungen von Mitarbeitern des sogenannten Service- und Logistikzentrums S. – vorzunehmen, solange nicht mit dem Antragsteller über einen Interessenausgleich gegebenenfalls unter Einschluss des Verfahrens vor der Einigungsstelle abschließend verhandelt worden ist.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über das Vorliegen einer Betriebsänderung im Betrieb der Beteiligten zu 2. und das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs des Betriebsrats, des Beteiligten zu 1., gegenüber dem Unternehmen wegen der Nichtvornahme von Interessenausgleichsverhandlungen.
Die Beteiligte zu 2. ist ein Unternehmen des Möbeleinzelhandels, das direkt zum Endverbraucher liefert. Die Beteiligte zu 2. hat ca. 172 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In der Betriebsstätte S. der Beteiligten zu 2. sind 34 Beschäftigte tätig.
Am 2. Januar 2007 übergab die Beteiligte zu 2. dem Beteiligten zu 1. ein Zukunftssicherungskonzept (Anlage ASt. 1, Bl. 8 ff. d. A.). Danach soll u. a. die Auslieferung, die in der Betriebsstätte S. angesiedelt ist, an eine Drittfirma fremd vergeben werden. Betroffen sind davon 15 Arbeitnehmer. Von diesen sind 10 ausgebildete Tischler. Die Auslieferung wird mit 7 Fahrzeugen durchgeführt.
Mit Schreiben vom 15. Januar 2007 forderte der Beteiligte zu 1. die Beteiligte zu 2. zu Verhandlungen über einen Interessenausgleich auf.
Am 18. Januar 2007 erhielt der Beteiligte zu 1. von der Beteiligten zu 2. Anhörungsschreiben zu 15 beabsichtigten Kündigungen im Bereich der Auslieferung in der Betriebsstätte S..
Mit seinem am 22. Januar 2007 bei Gericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt der Beteiligte zu 1. die Unterlassung der Kündigungen, solange nicht mit ihm über einen Interessenausgleich verhandelt worden ist. Denn der Beteiligte zu 1. meint, dass es sich bei der Fremdvergabe der Auslieferung um eine Betriebsänderung handele. Es sei dabei sowohl von einer Einschränkung von wesentlichen Betriebsteilen als auch von einer Spaltung von Betrieben auszugehen. Die Betriebsstätte S. der Beteiligten zu 2. werde durch die Fremdvergabe der Auslieferung eingeschränkt. Davon seien nicht nur die 15 von Kündigungen bedrohten Auslieferungsmitarbeiter betroffen, sondern auch die 7 Auslieferungsfahrzeuge. Ein Verfügungsanspruch sei gegeben, denn die Beteiligte zu 2. verletze das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Betriebsänderungen. Betroffen seien auch nicht nur die 15 Auslieferungsmitarbeiter, sondern sämtliche 34 Mitarbeiter der Betriebsstätte S.. Auch ein Verfügungsgrund sei zu bejahen, denn die Beteiligte zu 2. setze – wie die Anhörung zu den Kündigungen zeige – unmittelbar zur Betriebsänderung an. Der Beteiligte zu 1. hat zur Untermauerung seines Vortrages eine eidesstattliche Versicherung des Betriebsratsmitglieds Herrn S. vom 19. Januar 2007 vorgelegt (Bl. 20 ff. d. A.).
Der Beteiligte zu 1. beantragt,
der Antragsgegnerin bei Meidung eines Ordnungsgeldes für jeden Fall der Zuwiderhandlung von bis zu Euro 250.000,00 (in Worten: Euro zweihundertfünfzigtausend) aufzugeben, es zu unterlassen, Maßnahmen der Betriebsänderung im Betrieb der Antragsgegnerin – insbesondere Kündigungen von Mitarbeitern des so genannten Service- und Logistikzentrums S. – vorzunehmen, solange nicht mit dem Antragsteller über einen Interessenausgleich ggf. unter Einschluss des Verfahrens vor der Einigungsstelle abschließend verhandelt worden ist.
Die Beteiligte zu 2. beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie meint, eine Betriebsänderung liege nicht vor. Denn von den 172 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Unternehmens seien nur 15 Auslieferung...