rechtskräftig: nein
Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Tarifvertrag. Jeweiligkeitsklausel. Entgeltfortzahlung. Arbeitsentgelt
Leitsatz (amtlich)
Wollen die Tarifvertragsparteien eine Verweisung auf die gesetzl. Bestimmungen dergestalt, daß auch künftige Änderungen dieses Gesetzes eingeschlossen sein sollen – sogenannte dynamische oder Blankett-Verweisung – dann muß dies auch im TV zum Beispiel durch eine „Jeweiligkeitsklausel” oder in sonstiger Weise seinen Ausdruck gefunden haben.
Normenkette
Rahmentarifvertrag für die Poliere des Baugewerbes vom 12.06.1978 i. d. Fassung v. 19.05.1952, Lohnfortzahlungsgesetz v. 27.07.1969
Nachgehend
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
DM 729,14 brutto (i.W.: siebenhundertneunundzwandzig 14/100 Deutsche Mark)
nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit 01.01.1997 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
DM 997,90 brutto (i.W.: neunhundertsiebenundneunzig 90/100 Deutsche Mark)
nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit 01.02.1997 zu bezahlen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Der Streitwert wird auf DM 1.727,04 festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Entgelt fort Zahlungsansprüche des Klägers.
Der Kläger ist seit 1982 bei der Beklagten als Polier beschäftigt. Sein Monatsgehalt beträgt durchschnittlich DM 6.036,– brutto.
Beide Parteien sind aufgrund ihrer Organisationszugehörigkeit tarifgebunden. Damit findet der jeweils gültige Rahmentarifvertrag für die Poliere des Baugewerbes (RTV-Poliere) Anwendung. § 5 Ziffer 2 Punkt 1 Abs. 1 des RTV-Poliere vom 12.06.1978 in der Fassung vom 19.05.1992 lautet:
Ist ein Polier infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert (Arbeitsunfähigkeit), ohne daß ihn ein Verschulden trifft, so hat er gegen seinen Arbeitgeber einen Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts bis zur Dauer von sechs Wochen.
Im Dezember 1996 war der Kläger insgesamt 84 Arbeitsstunden und vom 16.01. bis 31.01.1997 arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte zahlte an den Kläger für diese krankheitsbedingten Fehl Zeiten lediglich 80 % des Gehalts weiter. Die Differenz zum vollen Gehalt beträgt unstreitig insgesamt DM 1.727,04 brutto.
Der Kläger trägt vor, die Beklagte sei nach § 5 Ziff. 2.1 RTV-Poliere zur vollen Entgeltfortzahlung verpflichtet.
Der Kläger beantragt:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 729,14 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 01.01.1997 zu bezahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 997,90 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 01.02.1997 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt:
Klageabweisung.
Die Beklagte ist der Auffassung, daß die tarifvertragliche Regelung über den bis zu sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruch für Poliere in § 5 Nr. 2.1 RTV-Poliere lediglich eine deklaratorische Verweisung auf das jeweils geltende Gesetz für Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle darstelle, so daß das ab dem 01.10.1996 geltende Recht auf den Kläger Anwendung finde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger hat gemäß § 5 Ziff. 2.1 RTV-Poliere einen Anspruch auf Entgelt fort Zahlung in Höhe von 100 % seines Gehaltes. Er hat daher zusätzlich zu der bereits erhaltenen Lohnfortzahlung Anspruch auf Zahlung weiterer 20 %, das sind in unstreitiger Höhe DM 1.727,04 brutto.
Es konnte dabei dahinstehen, ob die tarifliche Regelung in § 5 Ziff. 2.1 RTV-Poliere eine konstitutive oder eine nur deklaratorische Regelung beinhaltet, d.h. ob die Regelung also eine eigenständige oder auf das Gesetz verweisende Regelung trifft. Selbst wenn man mit der Beklagten nur von einer deklaratorischen Regelung ausgeht, bezieht sich ihr Wortlaut auf die am 19.05.1992 geltende Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 des Lohnfortzahlungsgesetzes vom 27.07.1969. Denn selbst ein deklaratorischer tariflicher Verweis auf ein Gesetz rechtfertigt nicht den Schluß, daß die Tarifvertragsparteien durch diese Verweisung auch alle künftigen Änderungen dieses Gesetzes übereinstimmend gewollt haben. Dies muß umso mehr dann gelten, wenn es sich – wie vorliegend bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – um eine Verschlechterung der Arbeitnehmerposition handelt und zudem zum Zeitpunkt der Tarifabschlusses nicht erkennbar war, daß und in welcher Form es zu einer Einschränkung der gesetzlichen Lohnfortzahlung kommen wird (vgl. auch Sachert in DB 1996, S. 2078 f.). Wollen die Tarifvertragsparteien eine Verweisung auf eine gesetzliche Bestimmung dergestalt, daß auch künftige Änderungen dieses Gesetzes eingeschlossen sein sollen – sogenannte dynamische oder Blanke-Verweisungen – dann muß dies auch im Tarifvertrag zum Beispiel durch eine „Jeweiligkeitsklausel” oder in sonstiger Weis...