Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung eines Arbeitnehmers durch kirchlichen Arbeitgeber
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (Beschluß vom 4.6.1985, 2 BvR 1703/83 ua = AP Nr 24 zu Art 140 GG) bleibt die Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes auch für die Gestaltung privater Arbeitsverhältnisse mit kirchlichen Trägern wesentlich; das staatliche Arbeitsgericht ist grundsätzlich an die Vorgaben der verfaßten Kirche hinsichtlich der Beachtung besonderer Obliegenheiten einer kirchlichen Lebensführung durch den Arbeitnehmer auch im außerdienstlichen Bereich, der verbindlichen Bestimmung wesentlicher Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre und der Erfordernisse hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit und Verkündigung und der Frage einer Abstufung der Loyalitätspflichten gebunden, - es sei denn, das staatliche Arbeitsgericht begäbe sich durch diese Bindung an die kirchlichen Vorgaben in Widerspruch zu Grundprinzipien der Rechtsordnung (allgemeines Willkürverbot - Art 3 Abs 1 GG -, Begriff der guten Sitten - § 138 Abs 1 BGB - und ordre public - Art 30 EGBGB -), oder die kirchlichen Einrichtungen stellten im Einzelfall unannehmbare Anforderung an die Loyalität ihrer Arbeitnehmer, möglicherweise entgegen ihren eigenen Grundsätzen und der daraus folgenden besonderen Fürsorgepflicht. Bei der hiernach nur sehr eingeschränkten Befugnis des staatlichen Gerichts zur inhaltlichen Prüfung der vorgeworfenen Loyalitätspflichtverletzung hinsichtlich eines Widerspruchs zu Grundprinzipien der Rechtsordnung ist auch die Stellung des Arbeitnehmers innerhalb der kirchlichen Hierarchie, eine vertrags- und stellungsangemessene Differenzierung zwischen Funktionsträgern und weniger kirchenspezifisch tätigen Mitarbeitern zu berücksichtigen (im Anschluß an Rüthers, NJW 1986, 356 f/ 359); ein Verstoß gegen das Willkürverbot kann hierbei vom staatlichen Arbeitsgericht in Erwägung gezogen werden, wenn der kirchliche Arbeitgeber ohne sachlichen Differenzierungsgrund einen Arbeitnehmer, der zivilrechtlich eine bereits in früherer Ehe kirchlich getraute Frau heiratet, kündigt, andere sogar selbst zivilrechtlich geschiedene und wiederverheiratete Arbeitnehmer dagegen weiterbeschäftigt.
2. Ob der vom kirchlichen Arbeitgeber dem staatlichen Arbeitsgericht weitestgehend vorgegebene Kündigungsgrund dagegen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Kündigung im Sinne des § 1 Abs 2 S 1 KSchG (bzw § 626 Abs 1 BGB) rechtfertigt, unterliegt umfassender arbeitsgerichtlicher Anwendungskompetenz. Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen ist einerseits - abgestuft nach der konkret übertragenen Aufgabe hinsichtlich der Nähe zum kirchlichen Auftrag (so auch Dütz in Anmerkung zu BAG, AP Nr 20 zu Art 140 GG, in Anmerkung zu BAG, EzA Nr 4 zu § 1 KSchG Tendenzbetrieb, in ArbuR 1979, S 8) - der Glaubwürdigkeit der Kirche und den Grundsätzen der Glaubens- und Sittenlehre besonderes Gewicht beizumessen; andererseits ist beim vorwiegend personenbedingten - nach der Rechtsprechung deshalb besonders strengen Interessenabwägungsmaßstäben unterliegenden - Kündigungsgrund einer (zwangsläufig nur) zivilen Eheschließung eines bei einem kirchlichen Träger beschäftigten Arbeitnehmers mit einer in früherer Ehe bereits kirchlich getrauten Partnerin zu dessen Gunsten zu beachten, daß das "Leistungshindernis" (kirchenrechtlicher Fortbestand der früheren Ehe) vom Partner herrührt und vor allem dieser Arbeitnehmer nicht nur einen freien Willensentschluß (wie zB beim Kirchenaustritt) umsetzt, sondern sich in einer Art faktischen Zwangssituation befindet, bei der alle denkbaren Handlungsalternativen (Fortbestand einer außerehelichen Beziehung, gegebenenfalls in Form unverheirateten Zusammenlebens - Trennung vom Partner, gegebenenfalls trotz Kindes - Ehe, die zwangsläufig nur zivilrechtlich geschlossen werden kann) gegen wesentliche Sittengrundsätze der Kirche auf der moraltheologischen oder formell kirchenEbene verstoßen und deshalb tendenziell kündigungsrelevant sind.
Orientierungssatz
Die unter dem Aktenzeichen 7 Sa 639/86 beim LArbG München eingelegte Berufung wurde zurückgenommen.
Normenkette
GG Art. 140; WRV Art. 137 Abs. 3; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1
Fundstellen
Bibliothek, BAG (LT1-2) |
KirchE 24, 185-194 (LT) |