Entscheidungsstichwort (Thema)

Freistellung von Betriebsratsmitgliedern. Überprüfung des Spruchs der Einigungsstelle nach § 38 Abs. 2 S. 5 und 6 BetrVG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach § 38 Abs. 2 S. 5,6 i.V.m. S. 4 BetrVG hat die Einigungsstelle darüber zu befinden, ob die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder sachlich nicht vertretbar ist. Die Einigungsstelle hat bei der Bestimmung eines anderen freizustellenden Betriebsratsmitglied auch den Minderheitenschutz zu beachten, der sich auch den Grundsätzen der Verhältniswahl ergibt, § 38 Abs. 2 S. 6 i.V.m. S. 1 BetrVG. Die Entscheidung der Einigungsstelle kann darauf überprüft werden, ob sie den unbestimmten Rechtsbegriff – sachlich nicht vertretbar – verkannt hat und den Minderheitenschutz beachtet hat. Antragsbefugt im arbeitsgerichtlichem Beschlussverfahren sind auch einzelne Betriebsratsmitglieder, die an der Freistellungswahl teilgenommen haben.

2. Eine Betriebsvereinbarung über die anderweitige Regelung der Freistellung im Sinne des § 38 Abs. 1 S. 4 BetrVG ist unwirksam, da rechtsmissbräuchlich von der Betriebsratsmehrheit beschlossen, wenn sie darauf abzielt, die Vertreter der Minderheitsliste bewusst auszuschalten (im Anschluss an BAG vom 11.06.1997 – 7 ABR 5/96).

 

Nachgehend

LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 26.10.2007; Aktenzeichen 5 TaBV 1/07)

 

Tenor

Es wird festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 13.06.2006 unwirksam ist.

 

Tatbestand

I.

Zwischen den Beteiligten des Beschlussverfahrens sind die Wirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle sowie einer Betriebsvereinbarung im Streit.

Im Betrieb der Antragsgegnerin (nachfolgend: Arbeitgeberin) fanden am 08.05.2006 Wahlen zum Betriebsrat (weiterer Beteiligter, weiterer Antragsgegner) statt. Die 654 wahlberechtigten Arbeitnehmer wählten 11 (drei weibliche, acht männliche) Betriebsratsmitglieder in der Zusammensetzung, die sich aus Seite 3 der Wahlniederschrift (Anl. 1 = ABl. 10, 12) ergibt. In der konstituierenden Sitzung des Betriebsrats am 11.05.2006 wurden der Betriebsrat F. als Vorsitzender und die Betriebsrätin E. als Stellvertreterin gewählt. In der Sitzung vom 17.05.2006 fand die Wahl der zwei freizustellenden Betriebsratsmitglieder statt. Hierzu reichten die Antragsteller Ziffer 1 und 2 und zwei weitere Betriebsratsmitglieder eine Liste 1 (Anl. 3 = ABl. 16) als Wahlvorschlag ein, auf welcher der Betriebsrat H. (Antragsteller Ziffer 3) und die Betriebsrätin D. (Antragstellerin Ziffer 2) benannt sind. Gleichzeitig beantragten sie, dass die Wahl nach § 38 Abs. 2 BetrVG geheim und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl stattfinden solle. Die übrigen Betriebsratsmitglieder legten einen Gegenantrag vor, auf welchem der Betriebsratsvorsitzende und seine Stellvertreterin vorgeschlagen wurde. Der Vorschlag der Minderheit (Liste 1) erhielt vier Stimmen, derjenige der Mehrheit (Liste 2) deren sieben. Als freizustellende Betriebsratsmitglieder waren nach dem Höchstzahlverfahren (D' Hondt) der Betriebsratsvorsitzende F. (Liste 2) und der Betriebsrat H. (Liste 1) gewählt. Die Arbeitgeberin forderte von dem Betriebsrat eine Nachwahl, weil eine Beratung mit ihr vor der Wahl nicht stattgefunden habe. Vielmehr sei abgestimmt gewesen, dass der bisherige stellvertretende Betriebsratsvorsitzende H. seine Freistellung noch bis zum Jahresende 2006 fortführen werde, um sie dann an die neue stellvertretende Vorsitzende E. zu übergeben. Zu einer Wiederholungswahl kam es nicht. Am 31.05.2006 rief die Arbeitgeberin die Einigungsstelle an. Auf Betriebsratsseite nahmen an der Sitzung vom 13.06.2006 der Betriebsratsvorsitzende F. sowie der Betriebsrat K. teil, welcher am 17.05.2006 mit die Liste 1 vorgeschlagen und die Verhältniswahl beantragt hatte. Entsprechend dem Antrag der Arbeitgeberin beschloss die Einigungsstelle: Die zweite Freistellung wird ab sofort von Herrn H. auf die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Frau E. übertragen. Das Abstimmungsergebnis lautete im ersten Abstimmungsdurchgang: 3 Stimmen dafür, 1 dagegen, 1 Enthaltung (Protokoll der Einigungsstellensitzung = Anl. 5 = ABl. 19).

Mit Schriftsatz vom 23.06.2006 leiteten vier Mitglieder des Betriebsrats (Antragsteller Ziffer 1-4) das vorliegende Beschlussverfahren ein. Die Antragsschrift wurde der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat am 30.06.2006 zugestellt. Mit Schreiben vom 11.07.2006 erklärte die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende gegenüber dem Betriebsrat ihren Verzicht auf die Freistellung unter der Voraussetzung, dass eine entsprechende Betriebsvereinbarung mit dem Arbeitgeber unterzeichnet werde (ABl. 65). Am 12.07.2006 schlossen die Arbeitgeberin und der Betriebsrat eine „Betriebsvereinbarung über die Zahl der freigestellten Betriebsratsmitglieder” (Anl. AG 2 = ABl. 39, 40). Diese lautet auszugsweise:

  1. Verzicht auf eine Freistellung

    Der Betriebsrat verzichtet darauf, mehr als eine/n freigestellte(n) Betriebsrat/in zu wählen. Der Arbeitgeber nimmt den Verzicht an. Die bereits erfolgte Wahl des Vorsitzenden als freigestelltes Betriebsr...

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