Entscheidungsstichwort (Thema)

unzulässige Altersdiskriminierung durch Einbeziehung aller Mitarbeiter „rentennaher” Jahrgänge in die Kurzarbeit Null

 

Leitsatz (amtlich)

1) Soll für Mitarbeiter, die 59 Jahre und älter sind, über den Bezug von Kurzarbeitergeld bei Kurzarbeit Null, bei anschließendem wechsel in eine Transfergesellschaft und Bezug von Transferkurzarbeitergeld und anschließendem Bezug von Arbeitslosengeld der Übergang in den (vorgezogenen) Renteneintritt ermöglicht werden, ist die Verkürzung der Arbeitszeit durch die Anordnung von Kurzarbeit Null nicht nur vorübergehend, sondern endgültig. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Ziffer 3 BetrVG besteht hierfür nicht.

2) (Konjunkturelles) Kurzarbeitergeld, welches nur bei vorübergehendem Arbeitsausfall gezahlt werden kann, und Transferkurzarbeitergeld, welches einen dauerhaften Arbeitsausfall voraussetzt, schließen sich gegenseitig aus. Wird vom Arbeitgeber (auch in Abstimmung mit der Agentur für Arbeit) zeitgleich die Aneinanderreihung beider Bezugsarten in Aussicht gestellt, ist von einem strukturell dauerhaften Arbeitsausfall und nicht nur von einem vorübergehendem Arbeitsausfall auszugehen.

3) Die Einbeziehung aller Mitarbeiter „rentennaher” Jahrgänge eines Betriebes in die Kurzarbeit Null nur wegen einer (vermeintlichen) Möglichkeit, über die Aneinanderreihung von Kurzarbeitergeld, Transferkurzarbeitergeld und Arbeitslosengeld einen (vorgezogenen) Renteneintritt zu erreichen, ist eine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters. Eine entsprechende Betriebsvereinbarung ist gem. § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Sie umgeht den gesetzlichen Kündigungsschutz der betroffenen Arbeitnehmer.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger auf das Entgelt für den Monat Juli 2009 zu bezahlen 3.693,87 EUR brutto, abzgl. bezahlter 1.973,63 EUR netto, sowie abzgl. weiterer bezahlter 252,99 EUR netto, nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 1.8.2009.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger auf das Entgelt für den Monat August 2009 zu bezahlen 3.693,87 EUR brutto, abzgl. bezahlter 1.895,17 EUR netto, sowie abzgl. weiterer bezahlter 9,29 EUR netto, nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 1.9.2009.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger auf das Entgelt für den Monat September 2009 zu bezahlen 3.693,87 EUR brutto, abzgl. bezahlter 1.600,57 EUR netto, nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 1.10.2009.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger auf das Entgelt für den Monat Oktober 2009 zu bezahlen 3.693,87 EUR brutto, abzgl. bezahlter 1.574,31 EUR netto, nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 1.11.2009.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger auf das Entgelt für den Monat November 2009 zu bezahlen 3.847,26 EUR brutto, abzgl. bezahlter 1.655,81 EUR netto, nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 1.12.2009.

6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger auf das Entgelt für den Monat Januar 2010 zu bezahlen 3.693,87 EUR brutto, abzgl. bezahlter 1.611,32 EUR netto, nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 1.2.2010.

7. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu 55 %, die Beklagte zu 45 % zu tragen.

8. Der Streitwert dieser Entscheidung wird auf 13.183,52 EUR festgesetzt.

9. Die Berufung wird nicht (gesondert) zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Vergütung aus Annahmeverzug wegen vom Kläger für unberechtigt gehaltener Anordnung von Kurzarbeit Null.

Der am 18.11.1946 geborene Kläger ist bei der Beklagten am Standort Ludwigsburg beschäftigt seit 08.06.1976 als Maschinenarbeiter in der Qualitätskontrolle.

Die Beklagte ist ein Unternehmen, dessen Geschäftsbereich die Entwicklung, Herstellung und der Vertrieb von Getrieben für die Automobilindustrie ist. Die Beklagte hat Betriebe unter anderem in L, U, St. G, N und R. Im Betrieb L ist ein Betriebsrat gebildet. Im Unternehmen ist ein Gesamtbetriebsrat gebildet. Die Beklagte ist Mitglied im Arbeitgeberverband Südwestmetall.

Zwischen Südwestmetall und der IG Metall wurde am 20.12.2006 ein Ergänzungstarifvertrag „Erfolgreiche Zukunftssicherung G” (nachfolgend: Ergänzungstarifvertrag) genannter firmenbezogener Verbandstarifvertrag abgeschlossen, in welchem unter anderem den Mitarbeitern eine Beschäftigungssicherung bis Ende 2011 eingeräumt wurde.

Aufgrund der weltwirtschaftlichen Krise ab Ende 2008 und damit einhergehenden Umsatzeinbrüchen sah sich die Beklagte gezwungen, unter anderem und trotz der Beschäftigungssicherung personelle Maßnahmen einzuleiten. Im Rahmen dessen schlossen die Tarifvertragsparteien Südwestmetall und IG Metall am 02.02.2009 einen Tarifvertrag Änderung des Ergänzungstarifvertrags „Erfolgreiche Zukunftssicherung G” (nachfolgend: Änderungstarifvertrag). Darin wurde, soweit vorliegend von Interesse, in Ziff. 6 geregelt, dass bei Kurzarbeit die Regelung über den Zuschuss zum Kurzarbeitergeld gem. Ziff. 8...

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