Entscheidungsstichwort (Thema)
Freistellung nach Kündigung. Unwirksamkeit arbeitsvertraglicher Freistellungsklauseln wegen Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 Absatz 2 Ziffer 1 BGB
Tenor
1. Die Antragsgegnerin wird verurteilt, den Antragsteller bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31.3.2005 zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Verkaufsleiter Deutschland mit Dienstsitz in L. zu beschäftigen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 8.333,33 EUR festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht (gesondert) zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen eines Einstweiligen Verfügungsverfahrens über die Verpflichtung zur tatsächlichen Beschäftigung des Antragstellers.
Der 37jährige, verheiratete und gegenüber 2 Kindern unterhaltsverpflichtete Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin beschäftigt seit 1.1.2004 als Verkaufsleiter Deutschland mit Beschäftigungssitz in L.. Der Antragsteller bezieht ein in 12 gleichen Raten zu zahlendes Bruttojahresentgelt in Höhe von 100.000,– EUR zzgl. einer Tantieme. Grundlage des Anstellungsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 12.9.2003, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird. Darin heißt es u.a.:
„4. Vertragsdauer …
4.2. Für beide Seiten wird eine Kündigungsfrist von 12 Monaten zum Quartalsende vereinbart, frühestens jedoch zum 31.12.2004. …
4.4. Nach der Kündigung des Vertrages ist XXX berechtigt, den/die Arbeitnehmer/in unter Anrechnung des Resturlaubes sowie evtl. Über- und/oder Mehrarbeitsstunden von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freizustellen.
…”
Die Antragsgegnerin betreibt ein Logistikunternehmen mit mehreren Standorten in Deutschland.
Die Antragsgegnerin kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Antragsteller mit Schreiben vom 24.2.2005 ordentlich zum 31.3.2006. Diese Kündigung wurde vom Antragsteller mittlerweile beim erkennenden Gericht mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen, welche das Aktenzeichen 26 Ca 540/05 führt. Der Antragsteller wurde mit der Kündigung zugleich von der Erbringung seiner Arbeitsleistung freigestellt. Ihm wurde Hausverbot erteilt. Auf den Inhalt des Kündigungsschreibens wird Bezug genommen.
Der Betriebsrat wurde zu dieser Kündigung nicht angehört.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die tatsächliche Beschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31.3.2006.
Er ist der Ansicht, die Kündigung sei schon deshalb offenkundig unwirksam, weil es an der erforderlichen Betriebsratsanhörung fehle. Auch ein Kündigungsgrund sei nicht ersichtlich.
Er ist der Ansicht, die vertragliche Freistellungsklausel sei wegen Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Ziff. 1 BGB unwirksam.
Der Verfügungsgrund ergebe sich daraus, dass die tatsächliche Ausübung des Berufes zur Erhaltung der beruflichen Fertigkeiten und für die Gewährleistung des Persönlichkeitsrechts von hoher Bedeutung sei. Eine über einjährige berufliche Untätigkeit verringere die Aussichten auf eine Neueinstellung deutlich. Wegen des Fixschuldcharakters der Arbeitsleistung werde arbeitstäglich der Beschäftigungsanspruch des Antragstellers zunichte gemacht, was dieser nicht hinnehmen könne.
Der Antragsteller beantragt:
Die Antragsgegnerin wird verurteilt, den Antragsteller bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31.3.2006 zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Verkaufsleiter Deutschland mit Dienstsitz in L. zu beschäftigen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Verfügungsantrag zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, einer Betriebsratsanhörung habe es nicht bedurft. Der Antragsteller sei leitender Angestellter.
Die Freistellung sei erfolgt auf Grundlage der Ziff. 4.4. des Arbeitsvertrages. Die einzelnen Punkte des Arbeitsvertrages seien individuell ausgehandelt worden.
Die Kündigung sei aus verhaltensbedingten Gründen, die sie erst im Kündigungsschutzverfahren vortragen wolle, ausgesprochen worden. Jedenfalls sei ihr deshalb eine Weiterbeschäftigung nicht mehr zumutbar.
Das schriftsätzliche Vorbringen der Parteien war Gegenstand der Erörterung der Sach- und Rechtslage. Hierauf und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.3.2005 wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Verfügungsantrag ist zulässig und begründet.
I
Der Antragsteller hat einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf tatsächliche und vertragsgemäße Beschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Ihm steht auch ein Verfügungsgrund zur Seite.
1. Der Verfügungsanspruch auf tatsächliche Beschäftigung beruht auf §§ 611 Abs. 1; 613 BGB in Verbindung mit § 242 BGB, dieser ausgefüllt durch die Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG.
Der Beschäftigungsanspruch wird aus dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers hergeleitet. Aus der ideellen Interessenlage heraus steht jedem Arbeitnehmer ein Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung zu, unabhängig davon, ob er höhere oder geringwertigere Arbeiten zu verrichten hat, ob eine spezielle Vor- oder Ausbildung benötigt wird, sowie unabhängig davon, ob beim Arbeitnehmer im Einzelfall ein faktisches Interesse an dieser Arbeitsleistung besteht, oder ob...