Leitsatz (amtlich)

1. Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche sind Masseforderungen, auch soweit sie aus Kalenderjahren vor der Insolvenzeröffnung stammen. (BAG, Urteil vom 15.02.2005 – 9 AZR 78/04 –).

2. Aus Art. 9 Nr. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation folgt keine zeitliche Beschränkung der Urlaubsabgeltungsansprüche bei langandauernder Krankheit.

 

Nachgehend

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 09.06.2011; Aktenzeichen 6 Sa 109/10)

 

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16.615,38 EUR an Urlaubsabgeltung zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 55 %, der Beklagte hat 45 % der Kosten zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 36.423,25 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt mit ihrer Kündigungsschutzklage die Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten nicht beendet wurde. Hilfsweise macht sie Sozialplan- und Urlaubsabgeltungsansprüche geltend.

Die Klägerin ist am 00.00.1956 geboren, verwitwet und niemandem zum Unterhalt verpflichtet. Sie ist gemäß Bescheid des Versorgungsamtes U. vom 09.08.2004 mit einem Grad der Behinderung von 50 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Ab dem 17.01.1977 war sie bei der L. AG angestellt und wurde in der Fertigung als Bedienerin mit einem Bruttomonatseinkommen von 2.000,00 EUR beschäftigt. Die Klägerin hat letztmals am 29.01.2003 gearbeitet und ist seither durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Die Wiederherstellung der Arbeitskraft ist nicht abzusehen. Die Entgeltfortzahlung endete am 21.03.2003, der Krankengeldbezug am 19.04.2004. Der Klägerin stehen pro Jahr insgesamt 30 Tage Urlaub bei einer Fünftagewoche zu.

Mit Beschluss des Amtsgerichts R. vom 01.07.2009 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma L. AG eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Bei der L. AG kam es in der Folge zu einer Betriebseinschränkung, die mit einer Reduzierung des Personalbestandes verbunden war. Die Einzelheiten regelte ein am 20.07.2009 geschlossener Interessenausgleich, der die Klägerin als zu kündigende Person namentlich auswies. Der Beklagte beschäftigt weit mehr als 10 Personen ausschließlich der zur Berufsbildung Beschäftigten.

Am 11.09.2009 kam zwischen dem Beklagten und dem Betriebsrat der L. AG ein Sozialplan zustande. In diesem Sozialplan war eine Abfindung für Personen vorgesehen, die in den Anwendungsbereich des Sozialplanes fallen. Gemäß Punkt „I.” des Sozialplans waren von dem Sozialplan unter anderem ausgeschlossen „Arbeitnehmer/-innen deren Arbeitsverhältnis aus personen- oder aus verhaltensbedingten Gründen gekündigt oder aus diesen Gründen einvernehmlich beendet wird.”

Der Klägerin wurde mit Schreiben vom 29.07.2009 eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen, wobei zuvor keine Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt worden war. In dem daraufhin vor dem Arbeitsgericht Ulm verhandelten Kündigungsschutzverfahren kündigte die Prozessvertretung des Beklagten im Gütetermin an, aus der Kündigung keine Rechte mehr herleiten zu wollen, sollte die Klägerin innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist die Klage nicht zurücknehmen. Weiter erklärte die Prozessvertretung des Beklagten, sodann der Klägerin aus personenbedingten Gründen kündigen zu wollen und somit den Anspruch auf eine Sozialplanabfindung entfallen zu lassen. Eine Klagerücknahmeerklärung innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist gab die Klägerin nicht ab.

Mit Schreiben vom 19.10.2009 trat die Klägerin an den Beklagten heran und unterbreitete ein Vergleichsangebot, wonach der Rechtsstreit unter Einschluss von Ansprüchen auf Sozialplanabfindung und Urlaubsabgeltungsansprüchen gegen eine Zahlung von 15.000,00 EUR angeboten wurde. Der Beklagte war mit diesem Vergleichsvorschlag nicht einverstanden. Mit Schreiben vom 10.11.2009 erklärte die Klägerin deswegen gegenüber dem Arbeitsgericht Ulm, dass die Kündigungsschutzklage zurückgenommen werde und das Arbeitsverhältnis insofern fortbestehe.

Mit Schreiben vom 01.04.2010 wurde das Arbeitsverhältnis von der Beklagten aus personenbedingten Gründen gemäß § 113 InsO zum 31.07.2010 gekündigt (vgl. AS. 15). Vor Ausspruch der Kündigung erhielt der Betriebsrat der L. AG am 22.03.2010 ein Anhörungsschreiben zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin (AS. 50-52). Der Betriebsrat gab keine Stellungnahme ab. Außerdem wurde am 16.11.2009 ein Antrag auf Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt gestellt. Mit Schreiben vom 12.03.2010 wurde die Zustimmung zur personenbedingten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin erteilt. Diese Vorgänge wurden am 15.06.2010 in einem Nachtrag zum Sozialplan festgehalten (AS 76).

Die Klägerin meint,

die Kündigung sei unwirksam, da keine Kündigungsgründe ersichtlich seien. Jedenfalls stehe der Klägerin ein Abfindungsanspruch nach dem Sozialplan zu.

Daran ändere sich auch dadurch nichts, dass personenbedingte Gründe zur Stützung der Kündigung angeführt seien. Aus dem Geschehensablauf ergebe ...

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