Noch nicht rechtskräftig!
Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussperrung Schwerbehinderter
Leitsatz (amtlich)
Es ist unzulässig, im Rahmen von Abwehraussperrungen Schwerbehinderte, die sich bislang nicht am Arbeitskampf beteiligt haben, auch nur suspendierend auszusperren.
Normenkette
GG Art. 9
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 579,20 (Fünfhundertneunundsiebzig 20/100) brutto zuzüglich 4 % Zinsen aus dem entsprechenden Nettobetrag seit dem 1.8.1984 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf DM 579,20 festgesetzt.
IV. Die Berufung gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Lohnansprüche des Klägers für die Zeit vom 25.6. – 30.6.1984.
Der Kläger ist 53 Jahre alt, er ist Schwerbehinderter im Sinne des § 1 Schwerbehindertengesetz (SchvbG) mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 90 %.
Seit 1970 ist er als gewerblicher Arbeitnehmer bei der Beklagten tätig, die insgesamt etwa 1070 Arbeitnehmer beschäftigt. Der Kläger arbeitet in der Materialoberflächenbearbeitung, wo circa 20 Arbeitnehaer eingesetzt sind. Er ist Vertrauensmann der Schwerbehinderten im Betrieb der Beklagten.
Auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien finden aufgrund beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die Metallindustrie des Landes Hessen Anwendung.
Der Bruttostundenlohn des Klägers beträgt 14,48 DM.
Nachdem im Tarifgebiet Hessen der Metallindustrie jedenfalls seit Januar 1984 über die Forderungen der Industriegewerkschaft Metall (IGM) hinsichtlich der Erhöhung von Löhnen und Gehältern und hinsichtlich der Einführung der 35-Stunden-Woche verhandelt worden war, erklärte die IGM, Bezirksleitung Frankfurt/M., die Verhandlungen am 19.4.1984 ab demselben Tage für gescheitert. Nach durchgeführter Urabstimmng rief die IGM ab dem 21.5.1984 zunächst ihre Mitglieder in 11 Betrieben zum unbefristeten Streik auf. In diesen Betrieben waren seinerzeit etwa 45.000 Arbeitnehmer beschäftigt, wobei das gesamte Tarif gebiet in Hessen circa 250.000 Arbeitnehmer in den tarifgebundenen Betrieben der Metallindustrie umfaßt. Aufgrund des Streikaufrufes traten die Arbeitnehmer in den nachfolgend aufgeführten Betrieben in den Streik:
- Adam Opel AG, Rüsselsheim (Automobilbranchen),
- Fa. Hoffmann, Darmstadt (Maschinenbau),
- Fa. Triumph-Adler, Frankfurt (Büromaschinen),
- Fa. Messer Griesheim, Frankfurt (Maschinenbau),
- Fa. Honeywell, Maintal und Wächtersbach (Elektrotechnik),
- Fa. BBC, Hanau (Eisenbleche, Metallbau).
- Fa. Wegmann, Kassel (Straßenfahr zeugbau),
- Fa. Gebr. Bode, Kassel (Straßenfahr zeugbau) und
- Fa. Daimler Benz AG, Kassel (Automobilbranche).
Darauf beschloß am 24.5.1984 der Arbeitgeberverband der hessischen Metallindustrie e.V. (AGVM) die Aussperrung. Danach wurden Mitgliedsunternehmen Bit mindestens 2. 000 Arbeitnehmern (ohne Auszubildende) verpflichtet, in den nichtbestreikten Betrieben Bit 1.000 und mehr gewerblichen Arbeitnehmern die gewerblichen Arbeitnehmer ab Beginn der Frühschicht vom 30.5.1984 suspendierend auszusperren. Für den Wortlaut des Augsperrungsbeschlusses im einzelnen wird auf die zu den Gerichtsakten gereichte Fotokopie (Bl. 13 d.A.) Bezug genommen. Die zur Aussperrung aufgerufenen 16 Unternehmen sind in der Anlage 3 zur Klageschrift (Bl. 14 – 17 d.A.) aufgeführt, und zwar sind dort auch Angaben zum jeweiligen Produktionsbereich und zur Zahl der Beschäftigten gemacht. Insgesamt wurden damit etwa 21.000 gewerbliche Arbeitnehmer ausgesperrt.
Ab dem 19.6.1984 wurde die Aussperrung sodann auf die nachfolgend genannten Betriebe erweitert:
- Siemens, Bad Hersfeld und Bensheim (Elektrotechnik),
- Bosch, Darmstadt (Elektrotechnik),
- Braun AG, Kronberg (Elektrotechnik),
- KHW, Oberursel (Luftfahrzeugbau),
- Roth, Frankfurt (Kfz-Zubebör).
- Teves, Frankfurt (Kfz-Zubehör).
- Heraeus, Hanau (Elektrotechnik),
- Vakuumschmelze, Hanau (Eisenblech, Metallwaren),
- Leitz, Limburg (Feinmechanik, Optik),
- Löhr & Brokamp, Offenbach (Kfz-Zubehör),
- Rowenta, Offenbach (Elektrotechnik),
- Buderus Edelstahl, Wetzlar (Eisen) und
- Hensoldt, Wetzlar (Feinmechanik, Optik).
Hiervon waren weitere etwa 10.000 gewerbliche Arbeitnehmer betroffen.
Im Rahmen der erweiterten Aussperrung ab dem 19.6.1984 war der Kläger ausgesperrt vom 25. bis zum 30.6.1984, und er hätte in dieser Zeit an 5 Arbeitstagen zu je 8 Arbeitsstunden insgesamt 579,20 DM brutto verdient.
Mit Schreiben vom 24.10.1984 (Fotokopie des Abdruckes Bl. 23 d. A.) machte der Kläger die ihm „durch die Aussperrung vorenthaltene Lohnzahlung für den Zeitraum vom 25. bis 30.6,1984” geltend, nachdem der Lohnanspruch des Klägers unstreitig erst Ende Juli 1984 fällig war. Mit Schreiben vom 29.10.1984 (Fotokopie Bl. 12 d.A.) lehnte die Beklagte eine Lohnzahlung für den Zeitraum vom 25. bis zum 30.6.1984 ab.
Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte sei verpflichtet, ihm 579,20 DM brutto zuzüglich Verzugszinsen zu zahlen; denn die Aussperrung sei rechtswidrig gewesen, und die Beklagte habe sich damit für die Zeit vom 25. bis zum 30.6,1...