Ausgleichsklausel
Eine Arbeitnehmerin und eine Arbeitgeberin schließen im Juni 2023 einen Aufhebungsvertrag zum 31.10.2023. Sie vereinbaren darin u. a.:
5. URLAUB
Der Arbeitnehmerin steht für das Kalenderjahr 2023 der volle Urlaubsanspruch von 20 Tagen zu.
…
9. AUSGLEICHSKLAUSEL
Mit dieser Vereinbarung sind alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich, ob bekannt oder unbekannt, erledigt.
Bei der Berechnung des Urlaubs waren die Vertragsparteien vom gesetzlichen Urlaub nach § 3 Abs. 1 BUrlG ausgegangen (umgerechnet auf die 5-Tage-Woche). Tatsächlich hätten der Arbeitnehmerin noch 10 weitere Urlaubstage aufgrund vertraglicher Vereinbarung zugestanden. Im August 2023 wird zudem zugunsten der Arbeitnehmerin, die seit einiger Zeit ein Verfahren zur Feststellung ihrer Schwerbehinderung betreibt, ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt. Die Arbeitnehmerin kann ihren Urlaub bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht antreten. Die Arbeitgeberin möchte der Arbeitnehmerin nur den Urlaubsanspruch nach dem BUrlG abgelten, nicht jedoch weitere 5 Tage nach § 208 Abs. 1 SGB IX wegen der Schwerbehinderung und weitere 10 Tage wegen der vertraglichen Vereinbarung.
Lösung
Die urlaubsrechtliche Vorschrift des § 7 Abs. 4 BUrlG (Urlaubsabgeltung, wenn der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht gewährt werden kann) gilt zunächst auch für den Zusatzurlaub nach dem SGB IX und den vertraglichen Urlaubsanspruch. Die Parteien haben aber im Aufhebungsvertrag vereinbart, dass zwischen ihnen für die Zukunft keine Ansprüche mehr bestehen. Diese Vereinbarung (Ausgleichsklausel) der Parteien ist ein Erlassvertrag i. S. v. § 397 Abs. 1 BGB, der alle Ansprüche zum Erlöschen bringt, die den Erklärenden bekannt waren oder mit deren Bestehen zu rechnen war bzw. ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis i. S. v. § 397 Abs. 2 BGB, wenn der Wille der Parteien darauf gerichtet war, alle oder eine bestimmte Gruppe von bekannten oder unbekannten Ansprüchen zum Erlöschen zu bringen. Das schließt auch den Erlass von Urlaubs(abgeltungs)ansprüchen ein.
Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch ist nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG unabdingbar. Auch der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen ist ein gesetzlicher Mindesturlaubsanspruch. Die Arbeitnehmerin hätte vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses daher trotz der Aufhebungsvereinbarung auch die Gewährung der 5 Tage Zusatzurlaub nach dem SGB IX verlangen können. Sie macht aber einen Urlaubsabgeltungsanspruch geltend: Nach der neuen Rechtsprechung des BAG gilt jedenfalls nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, dass die Arbeitnehmerin auf diesen Anspruch verzichten kann. Im vorliegenden Fall hat die Arbeitnehmerin aber noch vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf den erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehenden und damit künftigen Anspruch verzichtet und sich damit gleichzeitig seines Rechts begeben, den Urlaubsanspruch im bestehenden Arbeitsverhältnis in natura zu nehmen. M.E. war dieser Verzicht auf den Urlaubsabgeltungsanspruch nicht wirksam. Auch das BAG betont, dass es der Arbeitnehmerin möglich gewesen sein muss, den Urlaubsanspruch vor seinem Untergang zu realisieren. Die Arbeitgeberin muss deshalb trotz der Ausgleichsklausel noch 5 Tage Urlaub abgelten. Sie kann der Arbeitnehmerin auch nicht entgegenhalten, dass diese das laufende Anerkennungsverfahren habe mitteilen müssen.
Der vertragliche Mehrurlaubsanspruch von weiteren 10 Tagen ist dagegen von der Ausgleichsklausel umfasst. Er unterlag zu keinem Zeitpunkt dem Schutz des § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG. Er ist damit untergegangen.