Rz. 1
Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer im Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub im gesetzlich vorgesehenen Umfang. Das bedeutet aber, dass er diesen Urlaub, unabhängig von einem möglichen Wechsel des Arbeitsplatzes, insgesamt nur einmal haben kann. Da es aber Konstellationen gibt, in denen der Arbeitnehmer durch einen Arbeitsplatzwechsel theoretisch seinen Urlaubsanspruch "vermehren" könnte, befasst sich § 6 BUrlG mit dem Problem, doppelte Ansprüche auf Urlaub für dasselbe Kalenderjahr im Zusammenhang mit einem Arbeitgeberwechsel zu vermeiden.
Beispiel
Der seit 2 Jahren beschäftigte Arbeitnehmer scheidet bei seinem alten Arbeitgeber am 30.6. des Jahres aus; er hat bereits im März auf sein Verlangen hin seinen gesamten Jahresurlaub erhalten. Er nimmt zum 1.7. des Jahres sofort eine neue Beschäftigung auf. Hat er einen Teilurlaubsanspruch nach § 5 Abs. 1 Buchst. a BUrlG gegen seinen neuen Arbeitgeber?
Da der Arbeitnehmer im 1. Arbeitsverhältnis die Wartezeit nach § 4 BUrlG erfüllt hat, hatte er Anspruch auf den gesamten Jahresurlaub. Im 2. Arbeitsverhältnis hätte er nun nach § 5 Abs. 1 Buchst. a BUrlG einen Anspruch auf Teilurlaub in Höhe von 6/12 des Urlaubsanspruchs und käme – ohne Anwendung von § 6 BUrlG – auf insgesamt den eineinhalbfachen Urlaubsanspruch.
Rz. 2
Dazu regelt § 6 Abs. 1 BUrlG, dass in Abweichung von den allgemeinen Regelungen ein Urlaubsanspruch gegen den neuen Arbeitgeber nicht besteht, soweit der Arbeitnehmer vom bisherigen Arbeitgeber schon Urlaub erhalten hat. Der gesetzliche Anspruch auf Voll- oder Teilurlaub wird durch § 6 Abs. 1 BUrlG eingeschränkt. Das geschieht dadurch, dass auf den Urlaubsanspruch im zeitlich 2. Arbeitsverhältnis der im 1. Arbeitsverhältnis tatsächlich gewährte oder abgegoltene Urlaub von Gesetzes wegen angerechnet wird. Die Vorschrift betrifft dabei nur den Urlaubsanspruch gegen den neuen Arbeitgeber, regelt aber nicht den umgekehrten Fall, dass der neue Arbeitgeber bezogen auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses bei ihm "zu viel" Urlaub gewährt hat. Ebenso wenig beinhaltet sie eine Aussage darüber, ob alter und neuer Arbeitgeber zum Ausgleich verpflichtet sind.
Die Vorschrift gilt nicht nur bei tatsächlich gewährtem Urlaub, sondern auch dann, wenn eine Abgeltung erfolgt ist. Allerdings kann der frühere Arbeitgeber, der auf Abgeltung in Anspruch genommen wird, den Arbeitnehmer auf den Urlaubsanspruch gegen den neuen Arbeitgeber verweisen, soweit ein Urlaubsanspruch im neuen Arbeitsverhältnis bereits entstanden ist.
Beispiel
Der Arbeitnehmer scheidet bei seinem alten Arbeitgeber am 31.7. des Jahres aus; er hat vor der Kündigung seinen gesamten Jahresurlaub erhalten. Er findet zum 1.10. des Jahres eine neue Beschäftigung. Hat er einen Teilurlaubsanspruch nach § 5 Abs. 1 Buchst. a BUrlG?
Lösung
Der Teilurlaubsanspruch nach § 5 Abs. 1 Buchst. a BUrlG besteht nicht – eine "Verrechnungserklärung" des neuen Arbeitgebers ist daher auch nicht nötig – der Arbeitnehmer hat seinen vollständigen Jahresurlaub bereits erhalten.
Rz. 3
Die Vorschrift ist zwar klar und verständlich geregelt, gleichwohl wirft sie in der praktischen Anwendung Probleme auf. Allerdings findet die Vorschrift in der Praxis oftmals keine große Beachtung, weil es bei einem unterjährigen Arbeitsplatzwechsel sowohl der bisherige Arbeitgeber als auch der neue Arbeitgeber als selbstverständlich ansehen, dass jeder den Teil des Urlaubs gewährt, der auf den jeweiligen Teil des Arbeitsverhältnisses entfällt. Das entspricht aber dann nicht den Regelungen des § 6 BUrlG, wenn jedenfalls bei einem der beiden Arbeitgeber bereits ein Vollurlaubsanspruch entstanden ist. Der Arbeitgeber, der statt des Vollurlaubs nur einen Teilurlaubsanspruch erfüllt oder abgegolten hat, läuft Gefahr, dass er vom Arbeitnehmer noch nachträglich auf Erfüllung des gesamten Urlaubs in Anspruch genommen wird (zu den Einzelheiten s. Rz. 14 ff.).
Rz. 4
Die Regelung bietet für den 2. Arbeitgeber ein gewisses Ersparnispotenzial, wenn der Arbeitnehmer im 1. Arbeitsverhältnis einen vollen Urlaubs(abgeltungs-)anspruch erhalten hat. Dazu kommt es vor allem dann, wenn der Arbeitnehmer zwischenzeitlich arbeitslos war, denn dann gilt § 143 Abs. 2 SGB III. Danach ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn der Arbeitnehmer noch Urlaubsabgeltung beanspruchen kann. Auf diese Weise wird der Arbeitnehmer gezwungen, die Abgeltung des Urlaubs so weit wie möglich zu verlangen. Hierauf kann sich der neue Arbeitgeber im Rahmen des § 6 Abs. 1 BUrlG berufen und sich so Teilurlaubsansprüche in den ersten Monaten des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende des Kalenderjahres ersparen.
Rz. 5
§ 6 Abs. 2 BUrlG regelt in Ergänzung zu Abs. 1 die Aushändigung der Urlaubsbescheinigung, damit der neue Arbeitgeber ersehen kann, in welchem Umfang er noch Urlaub bei einem Arbeitsplatzwechsel schuldet.