Leitsatz
- Jeder Rechtsanwalt ist grundsätzlich verpflichtet, seinen Auftraggeber umfassend zu belehren und dessen Belange in jede Richtung wahrzunehmen. Hierzu gehört es auch, dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die geeignet sind, den angestrebten Erfolg herbeizuführen und Nachteile zu vermeiden, die voraussehbar und vermeidbar sind.
- Zur Kündigung eines Bauvertrages nach § 649 BGB darf ein Rechtsanwalt nur raten, wenn anzunehmen ist, daß dem Mandanten hierdurch kein Schaden entsteht.
Sachverhalt
Ein Ehepaar beauftragte einen Generalunternehmer mit der Errichtung eines Hauses zu einem Festpreis, wobei bei Vertragsabschluß ein fester Termin für die Bezugsfertigkeit vereinbart wurde. Bald schon kam es zu Differenzen zwischen den Vertragsparteien wegen Mängeln am Bauwerk, woraufhin das Ehepaar einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragte.
Selbiger rügte die Mängel gegenüber der Baufirma und setzte zu deren Beseitigung eine Frist. Nachdem diese ergebnislos verstrichen war und der vereinbarte Termin der Bezugsfertigkeit längst überschritten war, riet der Rechtsanwalt von einer außergerichtlichen Einigung ab, kurze Zeit später fiel die Baufirma in Konkurs. Die Eheleute hatten zwar ihre Konkursforderung wegen der Mangelhaftigkeit des Bauwerks angezeigt, auf diese entfiel jedoch als nicht bevorrechtigte Gläubiger keine Quote.
Die Eheleute nehmen nunmehr den Rechtsanwalt auf Schadensersatz wegen Verletzung seiner anwaltlichen Pflichten in Anspruch und sind der Meinung, dieser hätte den Werkvertrag mit dem Unternehmen kündigen oder aber von diesem im Auftrag der Eheleute zurücktreten müssen.
Entscheidung
Eine anwaltliche Pflichtverletzung war nicht gegeben. Selbstverständlich ist jeder Rechtsanwalt grundsätzlich verpflichtet, seinen Auftraggeber umfassend zu belehren und dessen Belange in jede Richtung wahrzunehmen. Hierzu gehört es auch, dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die geeignet sind, den angestrebten Erfolg herbeizuführen - und selbstverständlich Nachteile zu vermeiden, die voraussehbar und vermeidbar sind. Hier war es aber nicht pflichtwidrig, eine Kündigung des Bauvertrags nicht vorzuschlagen.
Für die Kündigung des Bauvertrags kamen zwei Wege in Frage: Zum einen eine Kündigung nach § 8 Nr. 3 VOB/B und eine solche nach § 649 BGB. Eine Kündigung nach § 8 Nr. 3 VOB/B kommt aber immer nur dann in Betracht, wenn die VOB/B überhaupt in den Vertrag einbezogen worden ist. Dies war vorliegend aber nicht der Fall, denn gegenüber einer im Bauvertragsrecht nicht bewanderten Partei kann die VOB/B nicht durch bloßen Hinweis auf ihre Geltung in den Vertrag einbezogen werden. Jedenfalls reicht es nicht aus, im Vertrag zu vermerken, daß die VOB/B "jederzeit in den Geschäftsräumen der Baufirma eingesehen werden könnte."
In diesem Fall war aber auch nicht eine Kündigung des Bauvertrags nach § 649 BGB so naheliegend, daß man in dem unterlassenen Hinweis hierauf gleich eine anwaltliche Pflichtverletzung sehen muß. Zur Kündigung eines Bauvertrags nach dieser Bestimmung darf ein Rechtsanwalt nur raten, wenn anzunehmen ist, daß dem Mandanten hierdurch kein Schaden entsteht. Bei einer Kündigung des Bauvertrags wäre aber der Erfüllungsanspruch des Ehepaares mit Wirkung für die Zukunft entfallen - also der Anspruch auf mangelfreie Erstellung des Bauwerks. Die Eheleute hätten sich dann einen neuen Generalunternehmer zur Fertigstellung suchen müssen - der Preis wäre dann mithin höher gewesen als bei der ursprünglichen Baufirma. Hiermit aber nicht genug: Bei einer Kündigung hätten die Eheleute ihren Erfüllungsanspruch verloren, sie hätten aber weiter dem Generalunternehmer die vereinbarte Vergütung zu zahlen gehabt. Das Risiko der Doppelzahlung lag also auf der Hand.
Ein Vergütungsanspruch des ursprünglichen Generalunternehmers hätte natürlich dann nicht bestanden, wenn dieser durch ein schuldhaftes, den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die Kündigung durch den Auftragnehmer heraufbeschworen hätte - mithin also die Voraussetzungen für eine Kündigung des Bauvertrages aus wichtigem Grund gegeben gewesen wären. Diese Voraussetzungen konnten hier aber trotz der Bauverzögerungen nicht festgestellt werden.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 17.09.1998, IX ZR 291/97
Fazit:
Der Mandant kann von seinem Rechtsanwalt nur eine vertragsgerechte Beratung und Belehrung erwarten. Wenn der Anwalt freiwillig mehr tut - etwa gar als "Bauleiter" tätig wird - und dabei nicht den erwünschten Erfolg erzielt, ergibt sich daraus keine anwaltliche Haftung. Denn eine mangelfreie und fristgemäße Herstellung eines Bauwerks wird im Rahmen eines Anwaltsdienstvertrages nicht geschuldet.