Leitsatz
Das Sozialamt machte gegen den Vater aus übergegangenem Recht im Wege der Stufenklage Unterhalt für einen 32-jährigen nichtehelichen Sohn geltend, der wegen Drogenschmuggels eine Freiheitsstrafe in Ecuador verbüßte.
Das AG hat die Auskunftsklage unter Hinweis darauf abgewiesen, der Sohn habe seine Bedürftigkeit durch eigenes sittliches Verschulden herbeigeführt, ein Unterhaltsanspruch gegen den Vater bestehe schon dem Grunde nach nicht.
Sachverhalt
Der Beklagte war Vater eines am 21.12.1973 nichtehelich geborenen Sohnes, der wegen Drogenbesitzes in Ecuador inhaftiert war und von dem Kläger Sozialhilfe für Deutsche im Ausland erhielt. Der Kläger nahm den Beklagten im Wege der Stufenklage auf Auskunft und Zahlung von Unterhalt in Anspruch.
Zuvor hatte der Beklagte bis zur Volljährigkeit des Sohnes Unterhalt an ihn geleistet. Über dessen schulischen und beruflichen Werdegang war er nicht informiert, da Kontakt zu seinem Sohn bereits seit mehr als 20 Jahren nicht mehr bestand.
Der Sohn war offenbar drogensüchtig und im Jahre 2003 in Ecuador wegen Drogenschmuggels verhaftet worden. Im Jahre 2005 wurde er wegen Drogenbesitzes zu 8 Jahren Haft verurteilt. Wegen der katastrophalen Haftbedingungen in den Gefängnissen Ecuadors und der dort unzureichenden Versorgung wandte er sich wegen einer ihm zu gewährenden finanziellen Unterstützung an die Deutsche Botschaft und seine Eltern, die ihm auch finanzielle Mittel in geringem Umfang zur Verfügung stellten. Als diese verbraucht waren, wurden ihm von dem Kläger auf Veranlassung des Auswärtigen Amtes finanzielle Mittel gewährt.
Der Beklagte wies alle Ansprüche bereits dem Grunde nach zurück. Daraufhin beantragte der Kläger, ihn zur Auskunftserteilung über seine gesamten Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu verurteilen.
Das erstinstanzliche Gericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, ein Unterhaltsanspruch des Sohnes gegen seinen Vater bestehe schon dem Grunde nach nicht. Zum einen stehe nach der Verurteilung fest, dass er durch eigenes Verschulden bedürftig geworden sei, zum anderen sei nicht festzustellen, dass man zum Überleben in den Gefängnissen Ecuadors zusätzliches Geld brauche, da anderenfalls nicht nachvollziehbar wäre, dass der Sohn die ihm zur Verfügung gestellten Geldmittel für nicht notwendige Ausgaben wie Drogen und ein Tatoo verwendet habe.
Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein, die in der Auskunftsstufe insoweit Erfolg hatte, als das Verfahren gem. § 538 Nr. 4 ZPO an das erstinstanzliche Gericht zurückverwiesen wurde.
Entscheidung
Das OLG hielt den Auskunftsanspruch für in vollem Umfang gegeben und verwies den Rechtsstreit im Übrigen an das AG zurück.
Es vertrat die Auffassung, dass erst nach Auskunftserteilung geprüft werden könnte, ob der Unterhaltsbedürftige einen Unterhaltsanspruch habe, der auf die Sozialbehörde übergegangen sei. Der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts, das bereits im Verfahrensstadium der Auskunftserteilung einen Ausschluss möglicher Unterhaltsansprüche gem. § 1611 BGB bejaht werden könne, folgte das OLG nicht.
Zwar bestehe kein Zweifel daran, dass der durch Gerichtsurteil in Ecuador festgestellte Verstoß gegen das Drogengesetz ein sittliches Verschulden i.S.v. § 1611 BGB darstelle. Auch die menschenrechtswidrigen Verhältnisse in den Gefängnissen Ecuadors würden nicht zur Unterbrechung eines Zurechnungszusammenhangs führen, was nur bei ungewöhnlich grobem Fehlverhalten eines Dritten in Betracht komme. Dies könne bei unzureichenden Haftbedingungen in einem armen Staat nicht bejaht werden.
Gleichwohl führe die Feststellung, dass die Bedürftigkeit des Sohnes auf dessen sittlichem Verschulden beruhe, nicht automatisch zum Entfallen jeden Anspruchs auf Unterhalt, sondern gem. § 1611 BGB nur zu einer zweifachen Billigkeitsprüfung. Zum einen richte sich die Höhe des Anspruchs nach Billigkeitsgesichtspunkten, zum anderen könne er ganz entfallen, wenn die in Inanspruchnahme der Verpflichteten grob unbillig wäre.
Bei dieser Prüfung komme es auf zwei Kriterien an, nämlich auf den Grad des anzulastenden sittlichen Verschuldens und auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterhaltsverpflichteten. Je leichter die Belastung für diesen sei, desto eher sei sie zu verkraften und deshalb auch zumutbar. Eine gänzliche Versagung der Unterhaltsansprüche ohne Rücksicht auf die Einkommensverhältnisse sei nur bei ganz schwerwiegendem Fehlverhalten des Sohnes gegen den Vater denkbar.
Hinweis
Das Urteil des OLG Hamm macht deutlich, dass auch bei einem eventuell vorliegenden sittlichen Verschulden des Unterhaltsberechtigten eine deutliche Abwägung zu erfolgen hat, die anhand mehrerer Kriterien vorgenommen werden muss. Wann immer eine Unterhaltsversagung wegen sittlichen Verschuldens in Betracht kommt, ist eine umfassende Billigkeitsprüfung vorzunehmen.
Link zur Entscheidung
OLG Hamm, Urteil vom 31.05.2006, 11 UF 53/06