Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
Streitgegenstand der Anfechtung einer Einzelabrechnung
Unwirksame Umstellung eines Kostenverteilungsschlüssels
Beginn der Beschlussanfechtungs-Frist
Normenkette
§ 16 Abs. 2 WEG, § 23 Abs. 4 WEG, § 24 Abs. 6 S. 3 WEG, § 28 WEG, § 22 Abs. 2 FGG
Kommentar
1. Rügt ein Wohnungseigentümer im Rahmen eines Beschlussanfechtungsverfahrens die Anwendung eines unzutreffenden Kostenverteilungsschlüssels in seiner Einzelabrechnung, ist Verfahrensgegenstand das gesamte Jahres-Abrechnungswerk, weil eine Einschränkung auf seine Einzelabrechnung verfahrensrechtlich sinnlos wäre. Zwar ist nicht auszuschließen, dass im Einzelfall lediglich eine Einzelabrechnung eines Eigentümers im Beschlussanfechtungsverfahren angegriffen wird, wenn etwa falsche Angaben über individuelle Hausgeldzahlungen gerade dieses Wohnungseigentümers darin enthalten sind; regelmäßig ist allerdings eine Beschlussanfechtung einer bloßen Einzelabrechnung verfahrensrechtlich sinnlos, weil und wenn bei einer als unzutreffend gerügten Kostenverteilung stets auch die Gesamtabrechnung des betreffenden Wirtschaftsjahres mitbetroffen ist.
Ein unzulänglich formulierter Anfechtungsantrag ist deshalb dahin auszulegen, dass - soweit erforderlich - auch die Jahresgesamtabrechnung angefochten ist (wie im vorliegenden Fall).
2. Eine mit bestandskräftigem Mehrheitsbeschluss bestimmte Umstellung des Kostenverteilungsschlüssels von Miteigentumsanteilen auf anteilige Wohn- oder Nutzflächen ist i. Ü. unwirksam, wenn Zweifelsfragen (hier: Einbeziehung von Dachterrassenflächen) ausdrücklich offen bleiben und die Umstellung daher bereits rechnerisch nicht vollzogen werden kann. Von einer Bestandskraft eines Abrechnungsgenehmigungsbeschlusses kann also nur dann gesprochen werden, wenn dieser Beschluss eine insgesamt vollzugsfähige Änderung des Kostenverteilungsschlüssels enthält (im vorliegenden Fall ergab die Auslegung, dass durch die bezeichneten Beschlüsse noch keine endgültige Umstellung des Kostenverteilungsschlüssels vorgenommen wurde). Die Frage, ob und in welchem Maße Dachterrassen, Balkone und Loggien in die Flächenberechnung der Wohn-/Nutzflächen einbezogen sein sollten, sei ausdrücklich offen geblieben und sollte erst in einem weiteren Beschluss festgelegt werden. Somit konnte weder die Gesamtfläche noch der anteilige Flächenanteil der Miteigentümer endgültig berechnet werden.
3. Die Beschlussanfechtungsfrist nach § 23 Abs. 4 WEGbeginnt mit der Beschlussfassung (Tag des Versammlungsendes) ohne Rücksicht darauf, ob ein (anfechtender) Wohnungseigentümer an der Versammlung teilgenommen oder Kenntnis von dem betreffenden Beschluss erlangt hat (BayObLG, NJW-RR 89, 656). Das verspätete Zugehen eines Versammlungsprotokolls vermag regelmäßig die Fristsäumnis des § 23 Abs. 4 S. 2 WEG nicht zu entschuldigen (vgl. auch BayObLG, NJW-RR 91, 976; OLG Düsseldorf, NJW-RR 95, 464). Es obliegt einem an der Versammlung nicht teilnehmenden Wohnungseigentümer, sich selbst beim Verwalter über die gefassten Beschlüsse zu informieren. Dazu gewährt ihm § 24 Abs. 6 S. 3 WEG ein Recht auf Einsicht in das Protokoll, das der Verwalter aus diesem Grund mindestens eine Woche vor Ablauf der Anfechtungsfrist zu fertigen hat.
4. Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn ein Antragsteller von einer Versammlung nichts wusste oder der später gefasste Eigentümerbeschluss nicht ordnungsgemäß in der Einladung bezeichnet worden ist, also formelle Ladungsmängel vorliegen. In diesem Fall ist, wie auch der Senat bereits entschieden hat, einem Wohnungseigentümer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Frist fürdie Anfechtung bei Gericht versäumt, weil er von dem Beschluss erst so spät Kenntnis erhalten hat, dass er unter Einrechnung einer Überlegungsfrist von einer Woche den Anfechtungsantrag bei Gericht nicht mehr rechtzeitig einreichen konnte.
5. Es mag durchaus auch sein, dass Mitberechtigte eines Wohnungseigentums an sich getrennt einzuladen sind,sofern nicht in der Teilungserklärung etwas anderes vereinbart ist. Im vorliegenden Fall verkennen die Antragsteller jedoch, dass eine nicht formgerechte Einladung allenfalls einen Anfechtungsgrund bei fristgerechter Anfechtung geben würde, wobei hier überdies die Kausalität dieses Einladungsmangels für das Zustandekommen der Eigentümerbeschlüsse gefehlt haben dürfte (Wiedereinsetzung wurde deshalb abgelehnt).
Link zur Entscheidung
( KG Berlin, Beschluss vom 27.03.1996, 24 W 5414/95= NJW-RR 14/1996, 844)
Zu Gruppe 4: Wohnungseigentumsverwaltung
Anmerkung:
Im entschiedenen Fall ging offensichtlich der Senat von einer Beschluss-Nichtigkeit aus, wenn ein zwar bestandskräftiger Mehrheitsbeschluss zu einer Änderung des Kostenverteilungsschlüssels Zweifelsfragen offen lässt und eine Änderung damit bereits rechnerisch nicht vollzogen werden kann; ist damit generell eine Vollzugs-Unmöglichkeit als neuer und weiterer Beschlussnichtigkeitsgrund anzusehen?
Wenn der Senat zum Fristbeginn der Beschlussanfechtungsfrist des § 23 Abs. 4 WEG ausführt, dass ...