Leitsatz
Der Ausschlusstatbestand für den "Allmählichkeitsschaden" in § 4 I Nr. 5 AHB verstößt gegen das Transparenzgebot. Er benachteiligt den Versicherungsnehmer in unangemessener Weise und ist deshalb gemäß § 9 I AGBG unwirksam.
Sachverhalt
Die Klägerin, Mieterin einer Wohnung im dritten Obergeschoss eines im Wohnungseigentum stehenden Hauses, wurde von den Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft in Höhe von 25.762,64 DM auf Schadenersatz in Anspruch genommen. Die Inanspruchnahme gründete sich auf die Behauptung, die Klägerin habe die Halterung für ein Hängeregal auf ihrem Balkon mit Schrauben befestigt, wobei sie das in der Wand verlaufende Regenfallrohr angebohrt habe. Von dort sei über einen längeren Zeitraum Nässe in zwei andere Wohnungen gelangt. Der beklagte Privathaftpflichtversicherer der Mieterin lehnte den Versicherungsschutz ab, weil der Ausschlusstatbestand der allmählichen Einwirkung von Feuchtigkeit vorliege.
Die daraufhin erhobene Klage auf Gewährung von Versicherungsschutz hatte in beiden Instanzen Erfolg.
Entscheidung
Das OLG teilte die Auffassung des LG, wonach die Klage einen deckungspflichtigen Haftpflichtschaden i. S. von § 149 I VVG, § 1 I AHB zum Gegenstand hat.
Der von dem Haftpflichtversicherer geltend gemachte Ausschlusstatbestand des sog. Allmählichkeitsschadens gemäß § 4 I Nr. 5 AHB sei wegen Verstoßes gegen das sog. Transparenzgebot nichtig:
a) Nach dem Transparenzgebot sei der Verwender allgemeiner Versicherungsbedingungen, um die es sich hier unstreitig handele, entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei komme es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer, auf den man hier abzustellen habe, verständlich sei. Vielmehr sei nach Treu und Glauben zu fordern, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lasse, wie dies nach den Umständen gefordert werden könne. Dies gelte insbesondere für Ausschlussklauseln der vorliegenden Art. Insoweit müsse dem Versicherungsnehmer klar und deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang sein Versicherungsschutz trotz der Klausel noch bestehe.
b) Diese Erfordernisse erfülle die sog. Allmählichkeitsschadenklausel nicht. Ihre tatbestandlichen Grenzen seien derart unbestimmt, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht mehr eindeutig den Umfang des noch bestehenden Versicherungsschutzes abzuschätzen vermöge:
Dem verständigen Versicherungsnehmer werde auch bei aufmerksamer Durchsicht der Klausel schon zweifelhaft bleiben, ob der haftpflichtige Sachschaden im Sinne des § 1 Nr. 1 AHB gerade an der Sache entstehen müsse, an der die allmähliche Einwirkung wirksam werde, oder ob es sich hierbei auch um eine andere, nur mittelbar betroffene Sache handeln könne. Die Klärung dieser Streitfrage, die von der höchstrichterlichen Meinung im letztgenannten Sinne beantwortet werde, setze die Kenntnis der dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht geläufigen Unterscheidung zwischen einer unmittelbaren und lediglich mittelbaren Schadensverursachung voraus.
Vollends unklar werde diese Unterscheidung aber für den Versicherungsnehmer, wenn man mit der h. M. zusätzlich fordere, es müsse an dem Gegenstand der Einwirkung lediglich ein "Effekt" stattfinden, der seinerseits zu dem Folgeschaden beitrage. Was soll der versicherungstechnisch und juristisch nicht vorgebildete Versicherungsnehmer unter einer derartigen Einwirkung verstehen?
Nicht nachvollziehbar sei für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch das Auslegungsproblem, ob sich das Erfordernis der Allmählichkeit nur auf die einwirkende Ursache oder auch auf das Entstehen des Sachschadens beziehen müsse. Auch insoweit werde sich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne vorangegangenen Einblick in die umfangreiche Kommentarliteratur die h. M. nicht erschließen, wonach es ausreichen soll, dass zwar die Schadenursache allmählich eingewirkt hat, während es unerheblich sein soll, ob der Schaden selbst allmählich oder plötzlich eingetreten ist.
Bedenke man zusätzlich, dass es nach obergerichtlicher Rechtsprechung insoweit ausreiche, dass an irgendeiner Stelle des Kausalverlaufs allmähliche Einwirkungen stattfinden, so bleibe selbst der verständige Versicherungsnehmer ratlos zurück.
- Die Unklarheiten dauern nach Auffassung des OLG an, wenn der Versicherungsnehmer den Begriff der Allmählichkeit in den Blick nimmt. Insoweit gestehen selbst die h. M. in Rechtsprechung und Literatur zu, dass ein bestimmter Zeitraum zur Begriffsbestimmung nicht angegeben werden könne, und zwar nicht einmal ein Minimal- oder Maximal-Zeitraum. Vielmehr hänge die Begriffsanwendung von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab.
- Ebenso problematisch sei der Begriff der Feuchtigkeit. Feuchtigkeit im Sinne der Ausschlussklausel des § 4 I Nr. 5 AHB sei nach allgemeiner Auffassung nicht mit Wasser gleichzusetz...