Leitsatz (amtlich)
Der Ausschlusstatbestand für den „Allmählichkeitsschaden” in § 4 Abs. 1 Nr. 5 AHB verstößt gegen das Transparenzgebot. Er benachteiligt den Versicherungsnehmer in unangemessener Weise und ist deshalb gemäß § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam.
Normenkette
AGBG § 9 Abs. 1; AHB § 4 Abs. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Aktenzeichen 8 O 10549/00) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des LG Nürnberg-Fürth vom 20.6.2001 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Beschwer der Beklagten beträgt 25.762,24 DM.
Beschluß: Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 25.762,24 DM festgesetzt.
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
(Im Berufungsverfahren hat keine Beweisaufnahme stattgefunden).
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, §§ 511 ff. ZPO.
II. In der Sache selbst hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
Das LG hat zu Recht angenommen, dass die Beklagte der Klägerin für den klagegegenständlichen Vorfall gem. §§ 1 Abs. 1, 149 Abs. 1 VVG, 1 Abs. 1 AHB Versicherungsschutz zu gewähren hat und sich nicht auf den Ausschluss-Tatbestand nach § 4 Abs. 1 Nr. 5 AHB berufen kann.
Insoweit kann zunächst auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen werden.
Die hiergegen von der Beklagten in der Berufungsinstanz erhobenen Einwendungen greifen nicht durch:
1. Auch der Senat ist der Auffassung, dass die Klage einen deckungspflichtigen Haftpflicht-Schaden i.S.d. §§ 149 Abs. 1 VVG, 1 Abs. 1 AHB zum Gegenstand hat.
Detaillierte Angriffe hat die Beklagte insoweit nicht vorgetragen.
2. Der Senat folgt auch der Rechtsauffassung des LG darin, dass der von der Beklagten geltend gemachte Ausschluss-Tatbestand des „Allmählichkeits-Schadens” (§ 4 Abs. 1 Ziff. 5 AHB) wegen Verstoßes gegen das sog. Transparenzgebot nichtig ist:
a) Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender allgemeiner Versicherungsbedingungen, um die es sich hier unstreitig handelt, entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer, auf den hier abzustellen ist, verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (vgl. BGH v. 1.3.1999 – II ZR 312/97, BGHZ 141, 143; RuS 2001, 433; VersR 2001, 841, m.w.N.).
Dies gilt insbesondere für Ausschlussklauseln der vorliegenden Art. Insoweit muss dem Versicherungsnehmer klar und deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang sein Versicherungsschutz trotz der Klausel noch besteht (BGH NJW 2001, 1132; Urt. v. 24.3.1999 – IV ZR 90/98, NJW 1999, 2279; OLG Saarbrücken NVersZ 2001, 506).
b) Diese Erfordernisse erfüllt die klagegegenständliche Klausel nicht.
Ihre tatbestandlichen Grenzen sind derart unbestimmt, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht mehr eindeutig den Umfang des noch bestehenden Versicherungsschutzes abzuschätzen vermag:
aa) Dem verständigen Versicherungsnehmer (BGH v. 23.6.1993 – IV ZR 135/92, MDR 1993, 841 = NJW 1993, 2369; NJW 2000, 709) wird auch bei aufmerksamer Durchsicht der Klausel schon zweifelhaft bleiben, ob der haftpflichtige Sachschaden i.S.d. § 1 Ziff. 1 AHB gerade an der Sache entstehen muss, an der die „allmähliche Einwirkung” wirksam wird, oder ob es sich hierbei auch um eine andere, nur mittelbar betroffene Sache handeln kann. Die Klärung dieser Streitfrage, die von der herrschenden Meinung im letztgenannten Sinne beantwortet wird (vgl. Littbarski, Komm. z. AHB, § 4 Rz. 88, m.w.N.), setzt die Kenntnis der dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht geläufigen Unterscheidung zwischen einer unmittelbaren und lediglich mittelbaren (kumulativen) Schadensverursachung voraus.
Vollends unklar wird diese Unterscheidung aber für den Versicherungsnehmer, wenn man mit der herrschenden Meinung zusätzlich fordert, „es müsse an dem Gegenstand der Einwirkung” lediglich ein „Effekt” (eine „Auswirkung”) stattfinden, die ihrerseits zu dem Folgeschaden beiträgt (vgl. hierzu Späte, Haftpflichtversicherungs-Komm., § 4 AHB Rz. 66; Littbarski, Komm. z. AHB, § 4 Rz. 88, m.w.N.). Was soll der versicherungstechnisch und juristisch nicht vorgebildete Versicherungsnehmer unter einer derartigen Einwirkung verstehen?
Beispielhaft ist insoweit eine Fallgestaltung, die das OLG Karlsruhe entschieden hat (OLG Karlsruhe v. 19.2.1981 – 12 U 169/80, VersR 1981, 1121). Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Am 18.4.1979 arbeitete ein Monteur des damaligen Klägers im Rechenraum des Computerzentrums einer Städtischen Klinik. Er installierte hierbei eine Wasserleitung für das an der Decke des Raumes angebrachte Klimagerät. Dieses diente zur Klimatisierung der aufg...