Leitsatz
Das automatische Erfassen von Autokennzeichen hatte sich als Fahndungshilfe für die Polizei eingebürgert, doch in der aktuellen Form verletzt es das Grundrecht der Autofahrer auf informationelle Selbstbestimmung – nicht nur in Hessen und Schleswig-Holstein.
Sachverhalt
Das BVerfG entschied, dass weder in Hessen noch in Schleswig-Holstein in den Landesgesetzen der Anlass oder Ermittlungszweck genannt ist, dem die Erfassung der Autokennzeichen dienen solle. Damit sind die Vorschriften zu unbestimmt.
Zwar darf der Staat das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung beschränken. Je schwerer der Eingriff ist, umso klarer muss auch die Gesetzesgrundlage sein, die die Polizei ermächtigt. Der ADAC hatte schon früher ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das die Verfassungswidrigkeit des massenhaften Autokennzeichen-Scannings ergab.
Jetzt hat auch das BVerfG bestätigt, dass die Polizeigesetze, die die Rechtsgrundlage für das Erfassen sind, unzulänglich sind. Es sei nicht geregelt, aus welchen Anlässen die Polizei Kfz-Kennzeichen mit Fahndungsdaten abgleichen dürfe. Außerdem bleibe offen, zu welchem Zweck die Daten verwendet werden dürften. Das verstößt gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Dieser Grundsatz verlangt, dass Einbußen bei grundrechtlich geschützter Freiheit in einem angemessenen Verhältnis zu Gemeinwohlzwecken stehen, denen die Grundrechtsbeschränkung dient. Verhältnismäßig ist der Eingriff, wenn er der Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für bedeutende Rechtsgüter dient. Nach den Gutachten genügten besonders die Polizeigesetze der Länder Hessen, Bayern, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen sowie Rheinland-Pfalz den Vorgaben des Verfassungsrechts nicht.
So hatten dann auch drei Autofahrer aus Hessen und Schleswig-Holstein gegen die Erfassung Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie sahen ihr Recht auf "informationelle Selbstbestimmung" verletzt und befürchteten, dass die Behörden mit den Daten Bewegungsprofile erstellen könnten.
Nun müssen die Gesetzgeber die Polizeigesetze ändern. Auch wenn das BVerfG nur die Regelungen von zwei Bundesländern für verfassungswidrig erklärt hat, werden auch die Gesetzgeber anderer Länder zur Anpassung gezwungen sein. Es wird notwendig sein, klar umrissene Voraussetzungen zu regeln, in denen die Polizei auch berechtigt wäre, Straßenkontrollen durchzuführen und Kennzeichen zu filmen.
Unklar ist auch, ob die Länder für diese Art der Fahndung zuständig sind. Da die Überprüfung der Strafverfolgung dient, ist u. U. nur der Bund zu einem entsprechenden Gesetz berechtigt. Denn Strafverfolgung liegt in der Kompetenz des Bundes.
Link zur Entscheidung
BVerfG, Urteil vom 11.03.2008, 1 BvR 2074/05, 1 BvR 1254/07.