Detlef Burhoff, Thomas Hillenbrand
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die Anwesenheit des Betroffenen in der HV des Bußgeldverfahrens richtet sich nach § 73 OWiG. |
2. |
Gem. § 73 Abs. 1 OWiG besteht die Pflicht des Betroffenen, in der HV zu erscheinen. Der Betroffene kann aber einen Entbindungsantrag stellen. |
3. |
Die Entbindung von der Anwesenheitspflicht setzt gem. § 73 Abs. 2 OWiG voraus, dass eine Äußerung des Betroffenen zur Sache vorliegt oder dieser erklärt, dass er sich nicht zur Sache äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. |
4. |
Hat das Gericht den Betroffenen von der Pflicht zum Erscheinen entbunden, kann er sich gem. § 73 Abs. 3 OWiG in der HV durch einen schriftlich zur Vertretung bevollmächtigten Verteidiger vertreten lassen. Ggf. kann eine Abwesenheitsverhandlung durchgeführt werden. |
5. |
Hat das Gericht den Betroffenen nicht vom Erscheinen in der HV entbunden, erscheint der Betroffene aber dennoch in der HV ohne genügende Entschuldigung nicht, ist das Gericht nach § 74 Abs. 2 OWiG verpflichtet/gezwungen, den Einspruch durch Urteil zu verwerfen. |
Rdn 1544
Literaturhinweise:
s. die Hinw. bei → Bußgeldverfahren, Besonderheiten, Allgemeines, Teil B Rdn 1529.
Rdn 1545
1. Die Anwesenheit des Betroffenen in der HV des Bußgeldverfahrens richtet sich nach § 73 OWiG.
☆ Ebenso wie für die HV des Strafverfahrens gilt auch in der HV des OWi-Verfahrens für den Betroffenen eine Anwesenheitspflicht (→ Anwesenheitspflicht des Angeklagten , Teil A Rdn 420 ). § 231 gilt im Bußgeldverfahren nicht (OLG Bamberg VRR 2012, 276).Anwesenheitspflicht (→ Anwesenheitspflicht des Angeklagten, Teil A Rdn 420). § 231 gilt im Bußgeldverfahren nicht (OLG Bamberg VRR 2012, 276).
Rdn 1546
2.a) Gem. § 73 Abs. 1 OWiG besteht die Pflicht des Betroffenen, in der HV zu erscheinen (zur Anwesenheitspflicht ausländischer "Verkehrssünder" Mitsch ZIS 2011, 502). Nach § 73 Abs. 2 OWiG ist das Gericht aber verpflichtet, den Betroffenen auf seinen Antrag hin von dieser Verpflichtung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert hat oder erklärt, dass er sich in der HV nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist (dazu Teil B Rdn 1553 ff.; s. z.B. BayObLG StraFo 1998, 315 [Anordnung des persönlichen Erscheinens zum Zweck der Identifizierung]).
Rdn 1547
Liegen die Voraussetzungen für die Entbindung vor (Teil B Rdn 1542 ff.), muss das Gericht den Betroffenen von der Anwesenheitspflicht entbinden. Das Gericht hat in dieser Frage kein Ermessen (so schon BayObLG DAR 2001, 371; aus neuerer Zeit u.a. KG VRS 113, 63; NStZ 2011, 584; Beschl. v. 26.11.2021 – 3 Ws (B) 312/21, DAR 2022, 217; Beschl. v. 13.7.2022 – 3 Ws (B) 170/22, NZV 2023, 137; OLG Bamberg DAR 2013, 90; NZV 2013, 612; VRR 2013, 350; OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.12.2020 – 1 OLG 53 Ss-OWi 638/20; Beschl. v. 28.12.2020 – 1 OLG 53 Ss-OWi 638/20; OLG Düsseldorf VA 2016, 176; OLG Hamburg, Beschl. v. 5.3.2018 – 6 RB 3/18, NZV 2018, 242; OLG Hamm DAR 2016, 595; Beschl. v. 8.3.2023 – 2 Orbs 22/23 u. v. 31.8.2023 – 2 Orbs 79723; OLG Jena, Beschl. v. 11.7.2019 – 1 OLG 131 SsBs 24/19; OLG Hamburg, Beschl. v. 5.3.2018 – 6 RB 3/18, NZV 2018, 242; OLG Karlsruhe StraFo 2010, 494; VA 2016, 176; OLG Köln StraFo 2009, 76 m.w.N.; 2013, 50; OLG Naumburg, Beschl. v. 2.5.2022 – 1 Ws 97/22; OLG Schleswig SchlHA 2011, 311 [Dö/Dr]; jew. m.w.N.; i.Ü. allg. Meinung der Obergerichte; s. die Nachw. bei Burhoff/Niehaus, OWi, Rn 2464; Göhler/Bauer, § 73 Rn 5). Die Ablehnung des Entbindungsantrags ohne nachvollziehbare Gründe verletzt den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör und kann/muss mit der Rechtsbeschwerde geltend gemacht werden, und zwar mit der Verfahrensrüge (st.Rspr. der OLG; u.a. BayObLG, Beschl. v. 15.4.2019 – 202 ObOWi 400/19; OLG Bamberg zfs 2008, 413 m.w.N.; Beschl. v. 28.12.2020 – 1 OLG 53 Ss-OWi 638/20; OLG Dresden NZV 2013, 613; OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 11.6.2021 – 2 Ss-OWi 440/21, VA 2022, 52; OLG Hamburg, Beschl. v. 24.11.2022 – 5 RB 22/22, NZV 2023, 236; OLG Köln zfs 2004, 335; OLG Rostock, Beschl. v. 27.4.2011 – Ss OWi 50/11 I 63/11; Burhoff VRR 2007, 250, 255; Krenberger zfs 2013, 374; Burhoff/Niehaus, OWi, Rn 2464 ff.; Burhoff/Junker, OWi, Rn 3077 ff.). Zulässig ist über § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG die Rechtsbeschwerde dann ggf. auch im sog. zulassungsfreien Raum (dazu u.a. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.7.2020, DAR 2021, 106; Staub DAR 2021, 113).
☆ Die Frage der Antragstellung muss der Verteidiger mit dem Mandanten, der möglicherweise von weit her zur HV anreisen muss, sorgfältig erörtern (zu einem Antragsmuster Teil B Rdn 1574 ).Antragstellung muss der Verteidiger mit dem Mandanten, der möglicherweise von weit her zur HV anreisen muss, sorgfältig erörtern (zu einem Antragsmuster Teil B Rdn 1574).
Besteht der Richter trotz eines begründeten Entbindungsantrages auf dem Erscheinen des Betroffenen in der HV, kann das die Besorgnis der Befangenheit begründen (AG Fuld...