Rz. 1
In der Praxis wird der Versicherte häufig im Unklaren gelassen, ob er Versicherungsschutz erhält. Der Versicherer entscheidet sich nicht und wartet schlichtweg ab, ob der Versicherte am Ende verklagt wird. Der Versicherer kann bestrebt sein, die Frage der Eintrittspflicht bewusst offen zu lassen, da er vermutet, dass er bei weiterer Sachverhaltsaufklärung ggf. auf einen Ausschlussgrund stößt. Auch erklärt der Versicherer häufig erst einmal nur, dass er die bisher ausgelösten Kosten etwa des Rechtsanwalts übernimmt und vorläufig für die Abwehr des Anspruchs Versicherungsschutz gewährt. Der Versicherer lässt damit offen, ob er im Fall der Verurteilung des Versicherten diesen dann tatsächlich freistellt. Auch könnte der Versicherer erklären, man gewähre vorläufig Versicherungsschutz, behalte sich aber vor, diese Zusage zu widerrufen. Dieser Vorbehalt kann allgemein erfolgen oder im Hinblick auf bestimmte Gründe. Ist bereits streitig, ob der Geschäftsführer gewusst hat, dass eine gestundete Kaufpreisforderung uneinbringlich sein wird, weshalb die Stundung ohne Sicherheit bzw. der Verkauf der Waren ohne Vorkasse eine wissentliche Pflichtverletzung begründen würden oder sogar eine vorsätzliche Schadensherbeiführung vorläge, ist nachvollziehbar, wenn der Versicherer sich in dieser Konstellation den Widerruf der Deckungszusage vorbehält, sollte sich der Vorwurf erhärten.
Rz. 2
Grundsätzlich ist zu differenzieren, ob es um die Abwehrdeckung oder die Freistellung vom Haftpflichtanspruch geht. Solange ein Urteil gegen das Organmitglied noch nicht vorliegt, muss der Versicherer noch nicht freistellen Es geht nur um die Frage, ob der Versicherer im Vorfeld "verbindlich" zusagen muss, im Fall der Verurteilung freizustellen. Dies ist zu bejahen, der Versicherer muss mitteilen, ob er Versicherungsschutz gewährt. Diese Aussage schließt sowohl die Abwehrdeckung als auch die spätere Freistellung ein. Klar ist aber auch, dass diese Aussage auf den Angaben des Versicherten beruht, dessen Redlichkeit zunächst unterstellt wird. Erweisen sich die Angaben als unwahr, kann die Zusage des Versicherers widerrufen werden oder ggf. sogar wegen arglistiger Täuschung angefochten werden. Ein "Spezialproblem" stellt die Behandlung des Vorsatzes bzw. der Wissentlichkeit bei der Abwehrdeckung dar. Geht der Versicherer davon aus, dass der Versicherte den Schaden vorsätzlich herbeiführt hat bzw. dass die behauptete Pflichtverletzung wissentlich begangen wurde, kann nicht allein aufgrund der Annahme des Versicherers die Deckung versagt werden. Gleichwohl ist problematisch, ob und unter welchen Voraussetzungen ggf. vor einer rechtkräftigen Verurteilung der Organperson wegen Wissentlichkeit bzw. Vorsatzes eine Deckungsablehnung rechtens ist. Insbesondere ist fraglich, ob hierfür die Angaben des Geschädigten ausreichen, der ggf. eine vorsätzliche Schadensherbeiführung behauptet bzw. der von einer wissentlichen Pflichtverletzung ausgeht (siehe dazu die Ausführungen unter A-7 IV AVB D&O).
Rz. 3
Jedenfalls hat der Versicherte nach Ablauf einer angemessenen Prüffrist für den Versicherer einen Anspruch auf eine Regulierungsentscheidung. Ob dieser Anspruch aus § 14 VVG (analog) oder ganz allgemein aus dem versicherungsvertraglichen Vertragsverhältnis zu Gunsten des Versicherten folgt , kann letztlich offen bleiben. Tatsächlich fehlt eine gesetzliche Regelung, die die Fälligkeit der Ansprüche aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag, jedenfalls im Hinblick auf die Rechtsschutz- und Abwehrfunktion, festlegt. Dies betrifft damit auch den Direktanspruch des Versicherten. § 106 Abs. 1 VVG regelt nur die Fälligkeit des Freistellungsanspruchs (siehe dazu oben bei 2.). Dann bleibt es indes bei dem Grundsatz, dass vertragliche Ansprüche im Zweifel fällig sind, wenn sich aus den Umständen nichts anderes ergibt. Grundsätzlich wird der Anspruch aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag auf Rechtsschutz bzw. auf Abwehr unbegründeter Ansprüche frühestens dann fällig, wenn der Versicherte auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird. Der Anspruch auf Gewährung von Versicherungsschutz in Form von Rechtsschutz und Abwehr ist daher nach Eintritt des Versicherungsfalls nach Ablauf einer angemessenen Prüffrist fällig. Die angemessene Frist innerhalb der die Regulierungsentscheidung getroffen werden muss, bestimmt sich nach der Komplexität des Falls und setzt voraus, dass der Versicherer alle erforderlichen Unterlagen und Informationen erhalten hat. Soweit der Versicherte diese nicht hat, muss geprüft werden, inwieweit er sich diese beschaffen kann. Auf der Grundlage der ausgewerteten Unterlagen und Informationen muss dann eine Entscheidung getroffen werden. Hierbei ist bei Vollständigkeit der Unterlagen und unter Beachtung einer hohen Komplexität des Sachverhalts von einem Zeitraum von maximal sechs bis acht Wochen als eine angemessene Prüffrist auszugehen. Eine längere Frist kann in Betracht kommen, wenn bei Dritten Auskünfte eingeholt werden müssen, die ihrersei...