Rz. 153
Die Voraussetzungen des Rückgriffs beim Geschäftsführer ist Gegenstand einer langjährigen Diskussion. Eine Entscheidung des BGH liegt noch nicht vor. Beim sog. Schienenkartell, hat das LAG Düsseldorf eine Regressfähigkeit einer Kartellbuße verneint, das BAG hielt den Arbeitsrechtsweg nicht für eröffnet und verwies auf den Zivilrechtsweg. Dieser Rechtsweg hätte daher erneut bis zum BGH durchlaufen werden müssen. Anfang 2022 wurde in der Presse verbreitet, dass man sich zum Schienenkartell geeinigt habe. Es wurde wohl vom D&O-Versicherer eine Zahlung auf die regressierten Kartellbußen geleistet. Damit ist derzeit nicht absehbar, wann es zu einer höchstrichterlichen Entscheidung kommt. Dem Geschäftsführer wurde u.a. vorgeworfen, er habe eine Nebenabrede zu einem Vertriebsvertrag getroffen, dass der Versicherungsnehmerin und einem weiteren mit der Versicherungsnehmerin verbundenen Unternehmen eine Exklusivität gesichert habe und zu einer Beherrschung von 75 % des Schienenmarkts geführt habe. Unter anderem wurde rechtskräftig eine Geldbuße gegen die Gesellschaft in Höhe von 103 Mio. EUR festgesetzt. Da das Unternehmen mit der Kartellbehörde kooperierte kam eine Bonusregelung zur Anwendung, ein Gewinn wurde durch die Geldbuße nicht abgeschöpft.
Rz. 154
Anknüpfungspunkt für den Rückgriff gegen den Geschäftsführer bzw. Vorstand ist der Anspruch aus der Innenhaftung, also § 43 GmbHG bzw. § 93 AktG. In den Vordergrund wird hierbei die Legalitätspflicht gerückt und vertreten, dass die Organe verpflichtet sind sich an das Recht zu halten. Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung umfasst auch die Verpflichtung dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft sich rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt. Ein Verstoß gegen diese Pflicht impliziert eine Pflichtwidrigkeit – selbst dann, wenn durch das Verhalten eine Gewinnsteigerung erzielt wurde. "Dabei ist es unerheblich, ob der Gesetzesverstoß im (vermeintlichen) Interesse der Gesellschaft begangen wurde. Ein unternehmerisches Ermessen des Organvertreters zur Begehung "nützlicher" Gesetzesverstöße besteht nicht." Da es um rechtswidrige und schuldhafte Handlungen geht, lässt sich nicht mit der Existenzgefährdung der Organpersonen durch den Innenregress eine Haftungsbeschränkung aus organschaftlichen Treuepflichten der Gesellschaft und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begründen. Eine vermittelnde Ansicht tritt dafür ein, den Regress auf ein angemessenes Maß zu reduzieren. Hier wurde etwa die "Halbvermögensschutzklausel" zu Gunsten der betroffenen Organpersonen entwickelt, die im Vorfeld im Anstellungsvertrag vereinbart werden könnte, so dass die existenzgefährdende Situation abgemildert bzw. abgewendet werden könnte.
Rz. 155
Gegen einen Regress ließe sich anführen, dass eine Geldbuße höchstpersönlich nur denjenigen treffen soll, gegen den sie verhängt wurde, so dass eine Abwälzung schon deshalb nicht stattfinden kann. Dieses Argument kann schon deshalb nicht überzeugen, weil sich hier eine Höchstpersönlichkeit schon deswegen kaum vertreten lässt, weil die Geldbuße gegen einen Verband gerichtet ist, dessen Persönlichkeit lässt sich nicht mehr mit der eines Einzeltäters, das heißt mit der einer natürlichen Person gleichstellen. Zu folgen ist daher der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits zu den Beratungsfällen in den 50er-Jahren, wo dieser herausgestellt hat, dass ein Rückgriff gegen einen Berater möglich ist, wenn der zu Beratene trotz der Beratung eine Geldbuße erlitten hat, sofern jedenfalls bei normativer Betrachtung der Schutzzweck der verletzten Pflicht dies zulässt. Nach Ansicht des BGH ist ein "Erstattungsanspruch für eine bereits gezahlte Strafe jedenfalls dann zu bejahen, wenn ein Dritter den Täter zu seiner Straftat nicht nur durch einen unverbindlichen Rat oder durch eine unerlaubte Handlung veranlasst hat, sondern durch schuldhafte Verletzung einer vertraglichen Verpflichtung, deren Inhalt dahin ging, den Täter vor der Begehung einer solchen Straftat durch Warnungen oder ähnliche Hinweise zu schützen". Rät z.B. ein Steuerberater von einer strafbefreienden Selbstanzeige ab und unterbleibt diese, wodurch es zu einer Geldstrafe kommt, die bei der Selbstanzeige nicht angefallen wäre, wäre Zweck der vertraglichen Verpflichtung des Steuerberater gerade, den Steuerpflichtigen davor zu bewahren. Aufgabe des Vorstands bzw. des Geschäftsführers ist es gerade durch das Führen der Geschäfte im Einklang mit Recht und Gesetz das Gesellschaftsvermögen zu schützen, indem verhindert wird, dass gegen die Gesellschaft Geldstrafen verhängt werden. Der Schutzzweck der betroffenen Norm, also der §§ 43 GmbHG, 93 AktG, das Gesellschaftsvermögen durch pflichtwidriges Verhalten ihrer Organmitglieder zu schützen wäre betroffen. Der BGH stellt für die Frage der Abwälzung einer Geldbuße gerade auf den Schutzzweck der verletzten Norm ab.
Rz. 156
Die vorbezeichnete Ausgangslage wird allerdings für den Fall...