Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Änderung eines Jahresschichtplans. Ausübung und Verbrauch des Mitbestimmungsrechts durch Abschluß einer Betriebsvereinbarung. Betriebsverfassungsrecht
Leitsatz (amtlich)
Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber in Abweichung von einem Jahresschichtplan eine oder mehrere Schichten ersatzlos streichen will.
Orientierungssatz
- Die ersatzlose Streichung von im Jahresschichtplan vorgesehenen Schichten unterfällt dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG.
- Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei der vorübergehenden Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit besteht unabhängig davon, ob diese sich auf die Vergütung auswirkt.
- Die Betriebsparteien sind im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG grundsätzlich frei in ihrer Entscheidung, ob sie sich auf eine Regelung über die Grundsätze der Schichtplanung beschränken oder ob sie jeden einzelnen Schichtplan selbst aufstellen wollen.
- Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG kann durch Abschluß einer Betriebsvereinbarung gewahrt werden, die dem Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen gestattet, im Einzelfall allein über die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit zu entscheiden. Das Mitbestimmungsrecht darf durch die Delegation der Entscheidung auf den Arbeitgeber nur nicht in seiner Substanz verletzt werden.
Normenkette
BetrVG 1972 § 87 Abs. 1 Nrn. 2-3, 10; ArbZG § 9 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1; O über Ausnahmen vom Verbot der Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in der Eisen- und Stahlindustrie i.d.F. vom 31. Juli 1968 (BGBl. I S. 885; “Stahlnovelle”) § 1 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 12. Februar 2002 – 13 TaBV 129/01 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Arbeitgeberin nach einer zwischen ihnen geschlossenen Betriebsvereinbarung alleine berechtigt ist, abweichend vom Jahresschichtplan bestimmte Feiertagsschichten abzusetzen.
Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der Stahlindustrie. Antragsteller ist der für die Werksbereiche K.… und F.… zuständige Betriebsrat. Von diesem und fünf weiteren Betriebsräten des Unternehmens ist ein Gesamtbetriebsrat gebildet worden. Bei der Arbeitgeberin wird überwiegend in Vollkontischichten gearbeitet. Grundlage hierfür ist eine von der Arbeitgeberin – ua. – mit dem antragstellenden Betriebsrat geschlossene Rahmenvereinbarung vom 17. Oktober 1994. Nach dieser werden die konkreten Schichtpläne nach Abstimmung mit dem zuständigen Betriebsrat oder dem Arbeitszeitausschuß festgelegt. Am 25. August 2000 schloß die Arbeitgeberin mit dem Gesamtbetriebsrat und den örtlichen Betriebsräten – darunter dem Antragsteller – eine Betriebsvereinbarung “zur Arbeit an den Feiertagen gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 Stahlnovelle sowie am 24. und 31. Dezember (Heiligabend und Silvester ab 14.00 Uhr)” (BV Feiertage). Bei der “Stahlnovelle” handelt es sich um die Verordnung über Ausnahmen vom Verbot der Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in der Eisen- und Stahlindustrie in der Fassung vom 31. Juli 1968 (BGBl. I S. 885). In deren § 1 Abs. 1 Satz 2 sind die Weihnachts-, Oster-, und Pfingstfeiertage, der 1. Januar und der 1. Mai genannt. Nr. 3 der BV Feiertage lautet:
“3. Regelung der Feiertagsarbeit
In Ergänzung zur vollen durchlaufenden Arbeitsweise der Hochöfen gemäß § 1 Absatz 1 Ziffer 1 der Stahlnovelle wird hinsichtlich der Arbeitsweisen und des Arbeitseinsatzes der Belegschaftsmitglieder der nachfolgenden Verarbeitungsstufen betriebs- und anlagenbezogen gemäß der nachstehenden Definition nach Kategorien A und B unterschieden.
– Kategorie A
Betriebe und Anlagen mit voller durchlaufender Produktion an den Tagen gemäß Einleitungssatz dieser Betriebsvereinbarung.
Der Arbeitseinsatz der Belegschaftsmitglieder erfolgt nach den zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abgestimmten Jahresschichtplänen.
Über die Produktion am 1. Mai und am 24.12. in der Spätschicht und am 31.12. in der Nachtschicht ist gesondert zu beraten und zu entscheiden.
– Kategorie B
Betriebe und Anlagen mit grundsätzlich vorgesehener Produktion an den Tagen gemäß Einleitungssatz dieser Betriebsvereinbarung.
Der Arbeitseinsatz der Belegschaftsmitglieder erfolgt grundsätzlich nach den zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abgestimmten Jahresschichtplänen. Individuelle Freizeitwünsche Einzelner müssen berücksichtigt werden. Dadurch entstehende Unterdeckung wird u.a. durch Verfügungs- bzw. Tarifausgleichsschichten ausgeglichen.
Die gemäß der jeweiligen Auftragslage zur Produktion erforderliche Feiertagsarbeit der Betriebe und Anlagen wird dem Betriebsrat in der Regel 8 Wochen, mindestens jedoch 6 Wochen vor dem jeweiligen Feiertag arbeitgeberseitig mitgeteilt.
Über die Produktion am 1. Mai, am 24.12. in der Spät- und Nachtschicht, am 31.12. in der Nachtschicht sowie am 01.01. in der Frühschicht ist jeweils gesondert zu beraten und zu entscheiden.
Die Zuordnung der Betriebe und Produktionsanlagen zu den Kategorien A und B geht aus der anliegenden Übersicht hervor, die Bestandteil dieser Betriebsvereinbarung ist.”
Die vom Betriebsrat repräsentierten Werksbereiche K.… und F.… fallen unter die Kategorie B.
Nr. 4 der BV Feiertage sieht ua. vor:
“4. Bezahlungsregelung
Sofern an den im Einleitungssatz dieser Betriebsvereinbarung genannten Tagen gearbeitet wird, erhalten die betroffenen Belegschaftsmitglieder für diese Schichten neben den tariflichen Zuschlägen einen übertariflichen Zuschlag in Höhe von 25 % des zuschlagfreien Stundenverdienstes. …”
Im November 2000 erstellte die Arbeitgeberin mit Zustimmung des Betriebsrats den Jahresschichtplan für das Jahr 2001. Dieser sieht vor, daß während der Osterfeiertage 2001 in Vollkontischicht gearbeitet wird. Mit Schreiben vom 1. März 2001 teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit, daß auf Grund der notwendigen Produktionseinschränkungen infolge überhöhter Lagerbestände und verringerter Auftragseingänge umfangreiche Stillstände unter Einbeziehung der Osterfeiertage geplant seien. Mit Aushang vom 9. April 2001 unterrichtete sie die Mitarbeiter davon, daß für den 1. und 2. Osterfeiertag eine durchgehende Betriebsruhe festgelegt worden sei und nur die zur Überwachung der Anlagen sowie zu Reparatur-, Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten benötigten Kräfte eingesetzt würden; die übrigen Beschäftigten würden die ausfallenden Schichten entsprechend dem Entgeltfortzahlungsgesetz – ohne Feiertagszuschläge – vergütet bekommen.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, ihm stehe ein Mitbestimmungsrecht zu, wenn die Arbeitgeberin an Feiertagen von den im Jahresschichtplan festgelegten Arbeitszeiten abweiche.
Er hat, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung, beantragt
festzustellen, daß für ihn bei Abweichung von der im Jahresschichtplan festgelegten Arbeitszeit im Rahmen der Betriebsvereinbarung “zur Arbeit an den hohen Feiertagen” vom 25. August 2000 durch den Arbeitgeber ein Mitbestimmungsrecht besteht.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Betriebsrat habe sein Mitbestimmungsrecht bereits durch den Abschluß der BV Feiertage wirksam ausgeübt. Nach dieser Betriebsvereinbarung sei sie berechtigt, Feiertagsschichten unter Beachtung der Ankündigungsfrist von mindestens sechs Wochen abzusagen, wenn dies nach der jeweiligen Auftragslage erforderlich sei.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Antrag weiter. Die Arbeitgeberin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben den Antrag des Betriebsrats zu Recht abgewiesen.
Der Antrag ist zulässig.
1. Der Antrag bedarf der Auslegung. Diese ergibt, daß sich die Beteiligten lediglich darüber streiten, ob die Arbeitgeberin nach der BV Feiertage ohne Zustimmung des Betriebsrats berechtigt ist, unter Einhaltung einer Ankündigungsfrist von mindestens sechs Wochen Schichten abzusetzen, die im Jahresschichtplan für die Weihnachts-, Oster- und Pfingstfeiertage sowie für den 1. Januar als Spät- und Nachtschicht vorgesehen sind. Dagegen sind die im Einleitungssatz der BV Feiertage nicht genannten Feiertage von dem Antrag ebensowenig erfaßt wie die Feiertagsschichten, bei denen auch nach Auffassung der Arbeitgeberin das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats wegen des in der BV Feiertage geregelten Erfordernisses der gesonderten Beratung und Entscheidung besteht; letzteres betrifft den 1. Mai sowie die Frühschicht am 1. Januar. In dieser Auslegung ist der Antrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
2. Der Betriebsrat hat ein berechtigtes Interesse an alsbaldiger Feststellung iSv. § 256 Abs. 1 ZPO. Sein Mitbestimmungsrecht bei der Entscheidung über die Durchführung der vorgesehenen Feiertagsschichten stellt gegenüber der Arbeitgeberin ein Rechtsverhältnis dar, dessen Bestehen einer gerichtlichen Feststellung im Beschlußverfahren zugänglich ist. Das Mitbestimmungsrecht wird von der Arbeitgeberin bestritten. Die streitige Frage kann sich zwischen den Beteiligten während der Geltungsdauer der unbefristeten BV Feiertage jederzeit erneut stellen.
Der Antrag ist unbegründet. Allerdings hat der Betriebsrat grundsätzlich mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber in Abweichung von einem Jahresschichtplan eine oder mehrere Schichten ersatzlos streichen will. Das Mitbestimmungsrecht folgt sowohl aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG als auch aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Im Streitfall hat aber der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht bei der Durchführung der streitbefangenen Feiertagsschichten durch den Abschluß der BV Feiertage bereits ausgeübt und verbraucht. Er hat in der Betriebsvereinbarung die Arbeitgeberin in zulässiger Weise ermächtigt, unter bestimmten Voraussetzungen die endgültige Entscheidung über die Durchführung bestimmter Feiertagsschichten alleine zu treffen.
1. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der ersatzlosen Streichung von im Jahresschichtplan vorgesehenen Schichten folgt aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 2 BetrVG.
a) Die Streichung einer oder mehrerer Schichten ist eine vorübergehende Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Eine solche liegt vor, wenn für einen überschaubaren Zeitraum von dem allgemein geltenden Zeitvolumen abgewichen wird, um anschließend zur betriebsüblichen Dauer der Arbeitszeit zurückzukehren (vgl. zur Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit BAG 3. Juni 2003 – 1 AZR 349/02 – zur Veröffentlichung vorgesehen ≪zVv.≫, zu II 1b aa der Gründe). Dies ist bei der Streichung einer in einem Jahresschichtplan vorgesehenen Schicht der Fall (vgl. BAG 13. Juli 1977 – 1 AZR 336/75 – AP BetrVG 1972 § 87 Kurzarbeit Nr. 2 mit zustimmender Anm. Löwisch = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 3, zu 1 der Gründe; vgl. auch 9. Mai 1984 – 5 AZR 412/81 – BAGE 46, 1,4 = AP LohnFG § 1 Nr. 58 = EzA LohnFG § 1 Nr. 71, zu 2b der Gründe; GK-BetrVG/Wiese 7. Aufl. § 87 Rn. 389; MünchArbR/Matthes 2. Aufl. § 335 Rn. 30). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Arbeitnehmer durch die ausfallende Schicht eine Minderung ihrer Vergütung erfahren (so aber GK-BetrVG/Wiese aaO Rn. 390 mwN). Eine Änderung der Arbeitszeit iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG setzt nicht voraus, daß sich zugleich auch die Vergütung ändert. Der Begriff der Arbeitszeit iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG bestimmt sich nach dem Zweck des Mitbestimmungsrechts (BAG 23. Juli 1996 – 1 ABR 17/96 – AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebs Nr. 26 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 55, zu B II 2b bb der Gründe). Dieses dient bei der vorübergehenden Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit nicht nur der Vergütungssicherung der von der Verkürzung betroffenen Arbeitnehmer. Vielmehr geht es ebenso um die gerechte Verteilung der mit der vorübergehenden Änderung der Arbeitszeit verbundenen Belastungen und Vorteile (vgl. BAG 23. Juli 1996 – 1 ABR 17/96 – aaO). Diese ist auch betroffen, wenn die Vergütung während der vorübergehenden Verkürzung der Arbeitszeit ganz oder teilweise fortgezahlt wird. Der Betriebsrat hat daher darüber mitzuentscheiden, in welchem Umfang bei welchen Arbeitnehmern die Verkürzung der Arbeitszeit stattfinden soll.
b) Die Streichung von im Jahresschichtplan vorgesehenen Schichten betrifft außerdem die Verteilung der Arbeitszeit iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Diesem Mitbestimmungsrecht unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht nur die Frage, ob im Betrieb in mehreren Schichten gearbeitet werden soll, sondern auch die Festlegung der zeitlichen Lage der einzelnen Schichten und die Abgrenzung des Personenkreises, der Schichtarbeit zu leisten hat. Mitbestimmungspflichtig ist der Schichtplan und dessen nähere Ausgestaltung bis hin zur Zuordnung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Schichten (BAG 28. Mai 2002 – 1 ABR 40/01 – AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 96 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 65, zu B II 1a der Gründe mwN). Der Betriebsrat hat ferner darüber mitzubestimmen, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise von bereits aufgestellten Schichtplänen abgewichen werden kann (BAG 28. Mai 2002 – 1 ABR 40/01 – aaO, zu B II 2a der Gründe). Dies gilt insbesondere bei Schichtumsetzungen (BAG 27. Juni 1989 – 1 ABR 33/88 – BAGE 62, 202 = AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 35 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 36; 8. August 1989 – 1 ABR 59/88 – AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 11 = EzA BetrVG 1972 § 23 Nr. 27, zu B 2a, 3a der Gründe). Gleiches gilt aber auch bei der ersatzlosen Streichung einer Schicht (ebenso Fitting BetrVG 21. Aufl. § 87 Rn. 121; DKK-Klebe BetrVG 8. Aufl. § 87 Rn. 84; aA GK-BetrVG/Wiese 7. Aufl. § 87 Rn. 389). Ebenso wie bei der vorübergehenden Verlängerung der Arbeitszeit stellt sich auch bei der Verkürzung die Frage, wie das veränderte Arbeitszeitvolumen verteilt wird. Hierzu bedarf es einer gestaltenden Entscheidung des Arbeitgebers, wann und bei welchen Arbeitnehmern die Arbeitszeit verkürzt werden soll. Diese Entscheidung ist nach dem Sinn und Zweck des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Das Mitbestimmungsrecht nach dieser Bestimmung dient dazu, die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage der Arbeitszeit und damit zugleich ihrer freien Zeit für die Gestaltung ihres Privatlebens zur Geltung zu bringen (BAG 28. Mai 2002 – 1 ABR 40/01 – aaO, zu B II 1a der Gründe mwN). Diese Interessen sind auch durch die Streichung einer Schicht tangiert. So kann der Betriebsrat in einem derartigen Fall insbesondere geltend machen, daß es den Interessen der Arbeitnehmer eher entspreche, eine andere als die vom Arbeitgeber vorgesehene Schicht ausfallen zu lassen oder den reduzierten Umfang der verbleibenden Arbeitszeit anders als vom Arbeitgeber vorgesehen zu verteilen.
c) Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG besteht entgegen der vom Betriebsrat in der Rechtsbeschwerdebegründung vertretenen Auffassung bei der Streichung von Schichten nicht. Die Streichung einer Schicht kann zwar vergütungsrechtliche Folgen haben. Gleichwohl ist die Entscheidung über die Durchführung einer Schicht keine Frage der betrieblichen Lohngestaltung.
2. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, kann der Antrag des Betriebsrats gleichwohl keinen Erfolg haben. Der Betriebsrat hat sein Mitbestimmungsrecht bei der Entscheidung über die tatsächliche Durchführung der streitbefangenen Feiertagsschichten wirksam ausgeübt und verbraucht. Er hat in der BV Feiertage mit der Arbeitgeberin vereinbart, daß ihm “die gemäß der jeweiligen Auftragslage zur Produktion erforderliche Feiertagsarbeit … in der Regel 8 Wochen, mindestens jedoch 6 Wochen vor dem jeweiligen Feiertag arbeitgeberseitig mitgeteilt” wird. Damit hat er die endgültige Entscheidung über die Durchführung bestimmter Feiertagsschichten in zulässiger Weise auf die Arbeitgeberin übertragen.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung von Betriebsvereinbarungen wegen deren normativer Wirkungen den Regeln über die Auslegung von Gesetzen. Auszugehen ist daher zunächst vom Wortlaut. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Betriebsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den Vorschriften seinen Niederschlag gefunden hat. Dabei sind insbesondere der Gesamtzusammenhang sowie der Sinn und Zweck der Regelung zu beachten. Bleiben hiernach noch Zweifel, so können ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte oder auch eine tatsächliche Übung ergänzend herangezogen werden. Zudem ist die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, welche zu einer vernünftigen, sachgerechten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Regelung führt (vgl. etwa BAG 7. November 2000 – 1 ABR 17/00 – EzA § 77 BetrVG Nachwirkung Nr. 2, zu B I 2b der Gründe; 12. November 2002 – 1 AZR 632/01 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 155 = EzA BetrVG § 112 Nr. 2, zu A II 1 der Gründe mwN, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
b) Hiervon ausgehend haben die Vorinstanzen die BV Feiertage zutreffend dahin ausgelegt, daß der Betriebsrat für die Betriebe und Anlagen der Kategorie B, zu denen die von ihm repräsentierten Bereiche gehören, der Arbeitgeberin die endgültige Entscheidungsbefugnis über die Durchführung der Feiertagsschichten an den im Eingangssatz der BV Feiertage genannten Tagen (mit Ausnahme der ausdrücklich bezeichneten Schichten, bei denen “jeweils gesondert zu beraten und zu entscheiden” ist) übertragen hat.
aa) Hierfür spricht bereits der Wortlaut der Betriebsvereinbarung. Darin heißt es, die gemäß der jeweiligen Auftragslage zur Produktion erforderliche Feiertagsarbeit werde dem Betriebsrat “mitgeteilt”. Dies weist darauf hin, daß dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats durch die rechtzeitige Mitteilung Genüge getan sein soll.
bb) Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, entspricht dieses Verständnis auch der Systematik der BV Feiertage. Die Festlegung der fristgebundenen Mitteilungspflicht würde wenig Sinn machen, wenn die Letztentscheidung über die Durchführung der Feiertagsschicht weiterhin der Zustimmung des Betriebsrats bedürfte. Auch aus dem Verhältnis der unterschiedlichen Regelungen für die Kategorie A und die Kategorie B folgt, daß der Arbeitgeberin für die Kategorie B eine Dispositionsbefugnis eingeräumt werden soll, die ihr für die Kategorie A nicht zusteht. Dies ergibt sich auch aus der Bestimmung, nach der über die Produktion am 1. Mai, am 24. Dezember in der Spät- und Nachtschicht, am 31. Dezember in der Nachtschicht sowie am 1. Januar in der Frühschicht jeweils gesondert zu beraten und entscheiden ist. Sie rechtfertigt den Umkehrschluß, daß eine derartige Beratung und Entscheidung für die anderen “hohen” Feiertage als entbehrlich angesehen und von den Betriebsparteien für die Kategorie B der mitbestimmte Jahresschichtplan in Verbindung mit der fristgebundenen Letztentscheidungsbefugnis der Arbeitgeberin als sachgerechte Regelung erachtet wird.
cc) Ein solches Verständnis entspricht dem Sinn und Zweck der Regelung und führt zu einem praktisch brauchbaren Ergebnis. Die “grundsätzliche” Aufnahme der Feiertagsschichten in die vom Betriebsrat mitbestimmten Jahresschichtpläne ermöglicht den Arbeitnehmern eine langfristige Planung. Zugleich wird aber dem Arbeitgeber für die Kategorie B eine gewisse Dispositionsbefugnis eingeräumt und er in die Lage versetzt, bei rechtzeitiger Ankündigung noch flexibel auf Änderungen der Auftragslage zu reagieren und die – arbeitsschutzrechtlich grundsätzlich unerwünschte (vgl. §§ 9 ff. ArbZG) – Feiertagsarbeit entfallen zu lassen. Dabei muß er sich im Interesse der Arbeitnehmer rechtzeitig, nämlich mindestens sechs Wochen vor dem Feiertag, entscheiden. Teilt er dem Betriebsrat nicht spätestens zu diesem Termin den Wegfall der im Jahresschichtplan vorgesehenen Schicht mit, verbleibt es bei dieser.
dd) Das Auslegungsergebnis ist gesetzeskonform. Entgegen der Auffassung des Betriebsrats führt die Auslegung nicht dazu, daß dieser sich seines Mitbestimmungsrechts in unzulässiger Weise begeben hätte.
(1) Die Betriebsparteien sind im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG grundsätzlich frei in ihrer Entscheidung, ob sie sich auf eine Regelung über die Grundsätze der Schichtplanung beschränken oder ob sie jeden einzelnen Schichtplan selbst aufstellen wollen. Begnügen sie sich mit der Regelung von Kriterien und Grundsätzen, ist es zulässig, die Aufstellung von Einzelschichtplänen nach diesen Vorgaben dem Arbeitgeber zu überlassen (BAG 28. Mai 2002 – 1 ABR 40/01 – AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 96 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 65, zu B II 1b der Gründe; 28. Oktober 1986 – 1 ABR 11/85 – AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 20 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 20, zu B 3 der Gründe).
Auch das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG kann durch den Abschluß einer Betriebsvereinbarung ausgeübt werden, die dem Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen gestattet, im Einzelfall allein über die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit zu entscheiden. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats darf durch die Delegation der Entscheidung auf den Arbeitgeber nur nicht in seiner Substanz verletzt werden (BAG 3. Juni 2003 – 1 AZR 349/02 – zVv., zu II 2 der Gründe mwN; 18. November 1998 – 1 ABR 12/98 – BAGE 90, 194, 202, zu II 2a bb der Gründe).
(2) Hiernach hat der Betriebsrat nicht in unzulässiger Weise auf sein Mitbestimmungsrecht verzichtet. Die durch die BV Feiertage der Arbeitgeberin eröffnete Letzt-entscheidungsbefugnis betrifft ohnehin nur wenige Tage. Im übrigen hat der Betriebsrat den mitbestimmungspflichtigen Regelungsgegenstand wesentlich mitgestaltet. Denn die der Arbeitgeberin eröffnete Gestaltungsmöglichkeit unterliegt mehreren Vorgaben. Insbesondere muß die Arbeitgeberin die beabsichtigte Abweichung von dem Jahresschichtplan dem Betriebsrat vorher mitteilen. Dabei muß sie eine Frist von regelmäßig acht, mindestens aber sechs Wochen einhalten. Auch muß sie sich bei ihrer Entscheidung daran orientieren, ob die Feiertagsarbeit nach der jeweiligen Auftragslage zur Produktion erforderlich ist. Hinzu kommt schließlich, daß die Arbeitgeberin, wie sie selbst vorträgt, zur Entgeltfortzahlung für die ausfallenden Feiertagsschichten – wenn auch ohne Feiertagszuschläge – verpflichtet bleibt. Unter diesen Umständen ist durch die BV Feiertage und die darin vorgesehene Letztentscheidungsbefugnis der Arbeitgeberin über die Durchführung der Feiertagsschichten das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG wirksam ausgeübt und nicht in unzulässiger Weise in seiner Substanz verletzt worden.
3. Die von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogene öffentlich-rechtliche Zulässigkeit der Sonn- und Feiertagsarbeit in den Anlagen der Kategorie B bedurfte keiner Prüfung. Sie konnte unterstellt werden. Falls wegen § 9 Abs. 1 ArbZG die Arbeit an den in § 1 Abs. 1 Satz 2 der “Stahlnovelle” genannten “hohen” Feiertagen unzulässig sein sollte, hätte der Betriebsrat bei der Streichung der Feiertagsschichten ohnehin nicht mitzubestimmen. Die Streichung wäre Normvollzug, bei dem es nichts zu gestalten gäbe.
Unterschriften
Kreft, Wolter, Linsenmaier, Spiegelhalter, Brunner
Fundstellen
Haufe-Index 985091 |
BAGE 2005, 9 |
DB 2004, 607 |
ARST 2004, 114 |
FA 2003, 341 |
NZA 2003, 1209 |
SAE 2004, 106 |
ZTR 2004, 166 |
AP, 0 |
EzA-SD 2003, 11 |
EzA |
MDR 2004, 156 |
ArbRB 2003, 328 |
RdW 2004, 247 |
SPA 2003, 6 |