Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (amtlich)
Es stellt einen Organisationsmangel eines Gewerkschaftsvertreters dar, der die Wiedereinsetzung ausschließt, wenn dieser eine Berufungsbegründung in den Postkorb einer anderen Gewerkschaft zur Beförderung legen läßt, ohne daß er durch eine Ausgangskontrolle sicherstellt, daß die Berufungsbegründung rechtzeitig zum Gericht mitgenommen wird.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Beschluss vom 20.12.1994; Aktenzeichen 9 Sa 1020/94) |
ArbG Wiesbaden (Urteil vom 25.05.1994; Aktenzeichen 6 Ca 1068/94) |
Tenor
Die Revisionsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluß des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 20. Dezember 1994 – 9 Sa 1020/94 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Tatbestand
A. Die Parteien streiten über die für den Kläger zutreffende Eingruppierung. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist – unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – als unzulässig verworfen und die Revisionsbeschwerde zugelassen. In dem Revisionsbeschwerdeverfahren streiten die Parteien darum, ob dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungsbegründungsfrist auf Antrag des Klägers bis zum 8. Oktober 1994, einem Samstag, verlängert. Die Berufungsbegründung ging am 11. Oktober 1994, einem Dienstag, bei dem Landesarbeitsgericht ein. Nachdem der Kläger vom Landesarbeitsgericht auf die Verspätung hingewiesen worden war, hat er fristgerecht beantragt, ihm im Hinblick auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung des Antrages hat er vorgetragen, der Prozeßbevollmächtigte, ein Gewerkschaftssekretär der ÖTV Bezirksverwaltung, habe am Freitag, dem 7. Oktober 1994, die unterschriebene Berufungsbegründung seiner Mitarbeiterin, Frau P…, übergeben. Frau P… habe den Schriftsatz in einen DIN-A-4 Umschlag gesteckt und an das Landesarbeitsgericht adressiert. Da sich für den Prozeßbevollmächtigten des Klägers nicht die Möglichkeit ergeben habe, den Schriftsatz anläßlich eines Termins beim Landesarbeitsgericht am Freitag oder Montag selbst abzugeben, sei Frau P… mit dem Umschlag in das Sekretariat der DGB-Rechtsstelle gegangen. Dort habe sie den Mitarbeiterinnen erklärt, daß dieser Umschlag spätestens am Montag, dem 10. Oktober 1994, beim Landesarbeitsgericht sein müsse, und nachgefragt, ob jemand den Umschlag am Montag mitnehmen könne. Die Kollegin des DGB habe ihr daraufhin mitgeteilt, daß am Montag drei Rechtssekretäre bzw. Rechtssekretärinnen beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main Termine hätten und deshalb die Post abgeben könnten. Frau P… habe daraufhin den Umschlag mit der Berufungsbegründung in den grünen Postkorb im Sekretariat der DGB-Rechtsstelle gelegt, der für die Gerichtspost in Arbeitsgerichtsverfahren vorgesehen sei. Seit Jahren sei es geübte Praxis im DGB-Haus, Rechtssekretäre des DGB oder der einzelnen Gewerkschaften zu bitten, Gerichtspost mit zum Arbeitsgericht zu nehmen, um hierdurch Fristen zu wahren. Im Sekretariat der Rechtsstelle des DGB arbeite qualifiziertes Personal, das in regelmäßigen Bürobesprechungen immer wieder auf die Problematik von Fristversäumnissen hingewiesen werde. Das oben beschriebene Verfahren zur Übersendung von Fristsachen an das Landesarbeitsgericht werde seit Jahren angewandt, ohne daß Fristversäumnisse aufgetreten seien. Es sei nicht erklärlich, warum im vorliegenden Fall die Gerichtspost erst am 11. Oktober 1994 abgegeben worden sei.
Die Beklagte hat beantragt, den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruhe ausschließlich auf dem Verschulden des Klägervertreters. Der Klägervertreter hätte den Schriftsatz bereits am Freitag per Telefax fristwahrend dem Landesarbeitsgericht übersenden können. Jedenfalls sei es grob fahrlässig, den Schriftsatz lediglich mit dem Hinweis, er müsse am 10. Oktober 1994 bei dem Landesarbeitsgericht eingereicht werden, unbekannten dritten Mitarbeitern bei der Rechtsstelle des DGB zu übergeben. Auch sei der Fristablauf nicht auf dem Umschlag vermerkt gewesen. Darüber hinaus hätte der Klägervertreter am Montag überprüfen lassen müssen, ob der Schriftsatz rechtzeitig abgegeben worden sei.
Mit der Revisionsbeschwerde verfolgt der Kläger seinen Wiedereinsetzungsantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Revisionsbeschwerde ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht dem Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt.
Der Kläger hat die Frist zur Begründung seiner Berufung versäumt. Das Landesarbeitsgericht hat diese Frist bis zum 8. Oktober 1994 verlängert. Da es sich hierbei um einen Samstag handelte, lief die Frist erst am Montag, dem 10. Oktober 1994, ab (§ 222 Abs. 2 ZPO). Die Berufungsbegründung ging jedoch erst einen Tag später, am 11. Oktober 1994, beim Landesarbeitsgericht ein.
Nach § 233 ZPO ist einer Partei, die ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten, auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dem Verschulden der Partei steht das Verschulden eines Bevollmächtigten gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO). Bevollmächtigte im Sinne dieser Vorschrift sind auch Verbandsvertreter (vgl. BAG Urteil vom 18. Juni 1954 – 2 AZR 54/54 – AP Nr. 1 zu § 232 ZPO; LAG Mecklenburg-Vorpommern Beschluß vom 18. März 1993 – 1 Ta 5/93 –, AuA 1994, 86; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 11 Rz 93; Grunsky, ArbGG, 6. Aufl., § 11 Rz 13). Zugerechnet wird nur ein Verschulden des Bevollmächtigten selbst. Ein Verschulden seines Büropersonals ist insofern unerheblich. Zu Lasten des Bevollmächtigten geht es jedoch, wenn er sein Büro mangelhaft organisiert hat, also zum Beispiel sein Personal nicht mit genügender Sorgfalt ausgewählt, belehrt und überwacht hat (vgl. BAG Urteil vom 9. Januar 1990 – 3 AZR 528/89 – AP Nr. 16 zu § 233 ZPO 1977; Zöller/Greger, ZPO, 19. Aufl., § 233 Rz 23, Stichwort: Büropersonal).
Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der Prozeßbevollmächtigte müsse durch geeignete organisatorische Maßnahmen für eine wirksame Ausgangskontrolle bei fristgebundenen Schriftsätzen sorgen. Zu diesem Zweck sei ein Fristenkalender zu führen. Die Fristen dürften erst dann gelöscht werden, wenn sichergestellt sei, daß das Schriftstück tatsächlich hinausgehe. Dem Vorbringen des Klägers lasse sich jedoch nicht entnehmen, wodurch in der Rechtsstelle der Gewerkschaft die rechtzeitige Übermittlung fristgebundener Schriftsätze sichergestellt werde. Es sei nicht vorgetragen, wann eine Frist im Fristenkalender gelöscht werde. Für eine wirksame Ausgangskontrolle genüge es nicht, die Verantwortung für den fristwahrenden Zugang ohne weitere Überwachung in die Hände einer fremden Büroorganisation zu legen. Hinzu komme, daß nicht einmal der benutzte DIN-A-4 Umschlag einen Hinweis auf den drohenden Fristablauf trage.
Diesen Ausführungen ist im Ergebnis zuzustimmen. Nach dem Vorbringen des Klägers kann ein Verschulden seines Vertreters an der Fristversäumnis nicht ausgeschlossen werden.
Der Prozeßbevollmächtigte hat dafür zu sorgen, daß fristgebundene Schriftsätze rechtzeitig bei Gericht eingehen. Zwar muß er nicht selbst den angefertigten und unterschriebenen Schriftsatz dem Gericht übermitteln, sondern kann sich hierzu seines Büropersonals bedienen. Die übertragung der Aufgabe auf das Büropersonal darf jedoch nicht dazu führen, daß die Gefahr einer Fristversäumnis steigt. Die ordnungsgemäße Erledigung des Auftrages durch das Büropersonal muß sichergestellt sein. Der Bevollmächtigte genügt seiner Sorgfaltspflicht erst dann, wenn er alles ihm Zumutbare getan hat, um Fehler seiner Mitarbeiter auszuschließen. Er muß dementsprechend die Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Mitarbeiter eindeutig festlegen und seine Aufträge bestimmten Personen erteilen (vgl. BGH Beschluß vom 21. April 1988 – VII ZB 4/88 – VersR 1988, 942). Nur wenn die Verantwortung bestimmten Personen zugewiesen wird, ist eine ordnungsgemäße Erledigung der Aufgaben gewährleistet. Des weiteren muß sich der Bevollmächtigte von der Zuverlässigkeit der ausgewählten Personen überzeugen. Der Mitarbeiter ist schließlich über die zu erledigende Aufgabe und deren Bedeutung zu unterrichten (vgl. BAG Urteil vom 9. Januar 1990 – 3 AZR 528/89 – AP, aaO, Zöller/Greger, ZPO, 19. Aufl., aaO, m.w.N.).
Wählt der Prozeßbevollmächtigte den Boten für die Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes nicht selbst aus, sondern überläßt dies einem Mitarbeiter, so hat er dafür zu sorgen, daß sein Mitarbeiter die oben dargelegten Sorgfaltspflichten beachtet. Hierüber muß er seinen Mitarbeiter belehren. Er hat sein Personal darauf hinzuweisen, daß der Schriftsatz einer bestimmten Person anzuvertrauen ist, daß deren Zuverlässigkeit zu überprüfen ist und daß diese Person über die Bedeutung des Schriftsatzes und den drohenden Fristablauf unterrichtet werden muß. Ob sein Mitarbeiter diese Pflichten zuverlässig erfüllt, hat er zu überprüfen.
Dem Vorbringen des Klägers läßt sich eine derartige Belehrung und Überwachung der Mitarbeiterin seines Bevollmächtigten nicht entnehmen. Da diesem die Praxis bekannt war, Mitarbeiter anderer Gewerkschaften als Boten einzuschalten, hätte er Frau P… entsprechende Anweisungen erteilen müssen. Insbesondere hätte er sie darauf hinweisen müssen, daß die Schriftsätze bestimmten Personen anzuvertrauen sind. Dieser Belehrungspflicht ist der Klägervertreter, soweit aus dem Vorbringen des Klägers ersichtlich, nicht nachgekommen. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, die im Büro seines Vertreters langjährig praktizierte gegenseitige Hilfe zwischen den Gewerkschaften in Fristensachen habe bisher nicht zu Fristversäumnissen geführt. Daraus ergibt sich noch nicht, daß für die Zukunft Fehler mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen sind.
Dieser Mangel in der Büroorganisation des Bevollmächtigten des Klägers hat dazu geführt, daß unaufklärbar ist, wem die Nichtbeförderung der Berufungsbegründung vorzuwerfen ist. Dies geht zu Lasten des Klägers, denn im Wiedereinsetzungsverfahren gilt der Grundsatz, daß die Unaufklärbarkeit von Büroversehen zu Lasten der Partei geht, die sich darauf beruft (BGH VersR 1982, 1167; vgl. auch BGH VersR 1983, 401; MünchKommZPO-Feiber, 1992, § 233 Rz 17, 78; Zöller/Greger, ZPO, 19. Aufl., aaO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schaub, Friedrich, Bott
Fundstellen
Haufe-Index 870828 |
NJW 1995, 3141 |
NZA 1995, 967 |