Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindung an Verweisungsbeschluß

 

Orientierungssatz

Die (örtliche oder sachliche) Zuständigkeit soll nur einmal geprüft werden, und zwar von dem zunächst angerufenen Gericht. Der Gesetzgeber will einen Zuständigkeitsstreit, der für die Parteien im Vergleich zur Sachentscheidung ohnehin keine erhebliche Bedeutung hat, nach Möglichkeit vermeiden. Deshalb darf das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, die Übernahme nicht mit der Begründung ablehnen, die Zuständigkeitsfrage müsse abweichend von der Auffassung des verweisenden Gerichts beurteilt werden (vgl BAG Beschluß vom 1. März 1984 - 5 AS 5/84 = AP Nr 35 zu § 36 ZPO.

 

Normenkette

ZPO §§ 11, 36 Nr. 6; ArbGG § 48 Abs. 1; ZPO § 281 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Duisburg (Entscheidung vom 04.01.1989; Aktenzeichen 4 Ca 2438/88)

 

Gründe

I. Der Kläger und der Beklagte zu 1) sind Arbeitnehmer der T-AG. Der Beklagte zu 1) ist Halter eines Kraftfahrzeugs, die Beklagte zu 2) ist sein Versicherer. Am 23. März 1988 kam es auf einem Parkplatz der T-AG in D zwischen dem Kraftfahrzeug des Klägers und dem damals von dem Beklagten zu 3) gesteuerten Kraftfahrzeug des Beklagten zu 1) zu einem Zusammenstoß, bei dem das Kraftfahrzeug des Klägers beschädigt wurde. Der Kläger verlangt Schadenersatz.

Das Amtsgericht hat sich durch Beschluß vom 24. November 1988 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf den Hilfsantrag des Klägers an das Arbeitsgericht Duisburg verwiesen. Es ist der Ansicht, es liege eine Streitigkeit zwischen Arbeitnehmern aus einer unerlaubten Handlung vor. In diesem Falle seien die Gerichte für Arbeitssachen auch dann zuständig, wenn die unerlaubte Handlung zwischen Betriebsangehörigen eines Unternehmens auf bzw. von dem Weg zur Arbeitsstätte bei Benutzung eines Firmenparkplatzes neben dem Werksgelände vorgefallen sei, da dann ein sachlicher und soziologischer Bezug zur Arbeit vorliege.

Das Arbeitsgericht hält sich an die Verweisung nicht gebunden. Es hat sich seinerseits für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf übereinstimmenden Antrag der Parteien an das Amtsgericht zurückverwiesen. Daraufhin hat das Amtsgericht die Sache dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II. Sachlich zuständiges Gericht ist das Arbeitsgericht Duisburg.

1. Die Voraussetzungen des beantragten Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit sachlich zuständig ist, haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das Gesuch um Bestimmung des zuständigen Gerichts kann von einer Partei oder auch durch ein Gericht gestellt werden. Das Bundesarbeitsgericht ist für die beantragte Bestimmung zuständig, weil es in dem Zuständigkeitsstreit zwischen dem ordentlichen und dem Arbeitsgericht zuerst um die Bestimmung angegangen worden ist.

2. Der Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts Duisburg-Ruhrort bindet das Arbeitsgericht Duisburg, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Diese bindende Wirkung muß nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO beachtet werden (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. statt vieler BAG Beschluß vom 11. Januar 1982 - 5 AR 221/81 - AP Nr. 27 zu § 36 ZPO, zu II 1 der Gründe; ferner BGHZ 17, 168 und BGHZ 28, 349, 350). Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht erreichen (BAG Beschluß vom 29. September 1976 - 5 AR 232/76 - AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 2 der Gründe; ferner BAG Beschluß vom 1. März 1984 - 5 AS 5/84 - AP Nr. 35 zu § 36 ZPO, zu II 3 der Gründe; jeweils mit weiteren Nachweisen). Offensichtlich gesetzwidrig ist der Verweisungsbeschluß des Amtsgerichts jedoch nicht.

3. Allerdings begegnet die Auffassung des verweisenden Amtsgerichts Bedenken.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern aus gemeinsamer Arbeit und aus unerlaubten Handlungen, soweit diese mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen. Der Zusammenhang zwischen der unerlaubten Handlung und dem Arbeitsverhältnis der beiden Arbeitnehmer (hier sogar der beteiligten drei Arbeitnehmer) den die genannte gesetzliche Bestimmung als Voraussetzung für die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit fordert, darf jedoch nicht nur rein äußerlicher oder nur zufälliger Art sein. Zu fordern ist vielmehr, daß die unerlaubte Handlung in einer inneren Beziehung zu dem Arbeitsverhältnis der Parteien steht, daß sie in der besonderen Eigenart des Arbeitsverhältnisses und den ihm eigentümlichen Reibungen und Berührungspunkten wurzelt (BGH Urteil vom 7. Februar 1958 - VI ZR 49/57 - AP Nr. 48 zu § 2 ArbGG 1953, zu II 1 der Gründe, m. w. N.). Ob vorliegend ein innerer Zusammenhang zwischen dem Zusammenstoß der Kraftfahrzeuge und dem Arbeitsverhältnis der Parteien, die sich überhaupt nicht kennen, besteht, erscheint zweifelhaft. Vielmehr spricht einiges dafür, daß der Zusammenhang rein äußerlicher Natur gewesen ist.

Hierauf kommt es aber letztlich nicht an. Es kann nämlich dahingestellt bleiben, ob das Amtsgericht die Frage der sachlichen Zuständigkeit bei Anlegung eines strengen Maßstabes zutreffend beurteilt hat oder nicht. Denn selbst dann, wenn seine Begründung einer rechtlichen Nachprüfung nicht standhalten sollte, wäre der Verweisungsbeschluß deswegen noch nicht offensichtlich gesetzwidrig.

Die (örtliche oder sachliche) Zuständigkeit soll nur einmal geprüft werden, und zwar von dem zunächst angerufenen Gericht. Der Gesetzgeber will einen Zuständigkeitsstreit, der für die Parteien im Vergleich zur Sachentscheidung ohnehin keine erhebliche Bedeutung hat, nach Möglichkeit vermeiden. Deshalb darf das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, die Übernahme nicht mit der Begründung ablehnen, die Zuständigkeitsfrage müsse abweichend von der Auffassung des verweisenden Gerichts beurteilt werden (vgl. BAG Beschluß vom 1. März 1984 - 5 AS 5/84 - AP Nr. 35 zu § 36 ZPO, zu II 3 b der Gründe).

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog

 

Fundstellen

Dokument-Index HI439688

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge