Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Wiedereinsetzung bei Versagung von Prozesskostenhilfe. Wiedereinsetzung in die Fristen zur Einlegung und Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde bei Versagung von Prozesskostenhilfe
Orientierungssatz
1. Eine mittellose Partei kann zunächst Prozesskostenhilfe und nach deren Bewilligung innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde sowie innerhalb der Frist gem. § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO Wiedereinsetzung in die Frist zu deren Begründung beantragen.
2. Wird die beantragte Prozesskostenhilfe nach dem Ablauf der Rechtsmittelfrist verweigert, bleibt der Partei nach der Bekanntgabe der Entscheidung noch eine Zeit von höchstens drei bis vier Tagen für die Überlegung, ob sie das Rechtsmittel auf eigene Kosten durchführen will. Dann beginnen die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO für das Wiedereinsetzungsgesuch und die mit ihm zu verbindende Einlegung des Rechtsmittels sowie die Frist zur Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung des Rechtsmittels nach § 234 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 ZPO.
3. Das gilt auch dann, wenn das Gericht bei der Ablehnung des Gesuchs auf Prozesskostenhilfe nicht die Mittellosigkeit der Partei, sondern die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung verneint hat. Zwar bessern sich die finanziellen Möglichkeiten der Partei nicht dadurch, dass die beantragte Prozesskostenhilfe versagt wird. Fristnachsicht wird aber nur dann und so lange gewährt, wie ein – in seinem Ausgang auch von den Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung abhängendes – Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe läuft und die Partei annehmen darf, es werde Erfolg haben. Das der Fristwahrung entgegenstehende Hindernis besteht nicht in der Mittellosigkeit der Partei, sondern im Fehlen einer Entscheidung über das Gesuch.
Normenkette
ArbGG § 72a Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1; ZPO §§ 233, 234 Abs. 1-2
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 08.12.2011; Aktenzeichen 4 Sa 1188/10) |
ArbG Passau (Urteil vom 15.10.2010; Aktenzeichen 4 Ca 1221/09) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 8. Dezember 2011 – 4 Sa 1188/10 – wird unter Verwerfung seines Gesuchs auf Wiedereinsetzung in die Fristen zur Einlegung und Begründung der Beschwerde auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
2. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 10.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde ist unzulässig. Der Kläger hat sie weder innerhalb der Frist des § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG eingelegt noch innerhalb der Frist des § 72a Abs. 3 Satz 1 ArbGG begründet. Gegen die Versäumung der Fristen ist ihm keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 233 ZPO zu gewähren. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist nicht rechtzeitig innerhalb der Fristen gem. § 234 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2, Abs. 2 ZPO gestellt worden.
Rz. 2
I. Der Kläger hat die Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde versäumt. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision muss gem. § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Berufungsurteils eingelegt und gem. § 72a Abs. 3 Satz 1 ArbGG innerhalb einer Notfrist von zwei Monaten nach seiner Zustellung begründet werden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist dem Kläger am 7. Februar 2012 zugestellt worden. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist am 7. März 2013 und damit verspätet beim Bundesarbeitsgericht eingegangen und begründet worden.
Rz. 3
II. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen ist unzulässig. Die Wiedereinsetzung ist nicht rechtzeitig innerhalb der Fristen gem. § 234 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2, Abs. 2 ZPO beantragt worden.
Rz. 4
1. Nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO muss die Wiedereinsetzung innerhalb einer Frist von zwei Wochen beantragt werden. Die Frist beträgt gem. § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung des Rechtsmittels – etwa einer Nichtzulassungsbeschwerde – einzuhalten. Sie beginnt gem. § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
Rz. 5
a) Eine mittellose Partei kann zunächst Prozesskostenhilfe und nach deren Bewilligung innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde sowie innerhalb der Frist gem. § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Beschwerde beantragen (BAG 7. Juli 2011 – 2 AZN 294/11 – Rn. 5; 26. Januar 2006 – 9 AZA 11/05 – Rn. 14). Eine Partei, die um Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Rechtsmittel nachsucht, ist bei noch laufendem Prozesskostenhilfeverfahren schuldlos verhindert, die Rechtsmittelfrist einzuhalten, wenn sie Anlass hat, auf die Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu vertrauen. Dieses Hindernis entfällt mit der Entscheidung über das Gesuch. Für den – hier gegebenen – Fall, dass die beantragte Prozesskostenhilfe nach dem Ablauf der Rechtsmittelfrist verweigert wird, bleibt der Partei nach der Bekanntgabe der Entscheidung noch eine Zeit von höchstens drei bis vier Tagen für die Überlegung, ob sie das Rechtsmittel auf eigene Kosten durchführen will. Dann beginnt die zweiwöchige Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO für das Wiedereinsetzungsgesuch und die mit ihm zu verbindende Einlegung des Rechtsmittels (ständige Rechtsprechung des BGH, zuletzt etwa 20. Januar 2009 – VIII ZA 21/08 – Rn. 6 mwN). Entsprechendes gilt für die Frist zur Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung eines Rechtsmittels nach § 234 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 ZPO (BGH 3. Juli 2008 – III ZA 8/08 – Rn. 14 mwN).
Rz. 6
b) Das gilt auch dann, wenn das Gericht – wie hier – nicht die Mittellosigkeit der Partei, sondern die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung verneint hat (BGH 20. Januar 2009 – VIII ZA 21/08 – Rn. 7). Zwar bessern sich die finanziellen Möglichkeiten der Partei nicht dadurch, dass die beantragte Prozesskostenhilfe versagt wird. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass sie nunmehr noch nach dem Ablauf der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 ZPO, begrenzt allein durch die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen könnte. Anderenfalls hätte es die mittellose Partei in der Hand, den Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung der Vorinstanz über ein Jahr lang in der Schwebe zu halten. Dies würde den inneren Grund der Wiedereinsetzung bei Mittellosigkeit verkennen. Die mittellose Partei soll nicht schlechter stehen als eine vermögende. Deshalb wird ihr die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe und der Wiedereinsetzung eingeräumt. Dabei entschuldigt nicht die bloße Mittellosigkeit die Versäumung der Rechtsmittelfrist. Fristnachsicht wird vielmehr nur dann und so lange gewährt, wie ein – in seinem Ausgang auch von den Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung abhängendes – Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe läuft und die Partei annehmen darf, es werde Erfolg haben (BGH 20. Januar 2009 – VIII ZA 21/08 – Rn. 7). Das der Fristwahrung entgegenstehende Hindernis besteht demnach nicht in der Mittellosigkeit der Partei, sondern im Fehlen einer Entscheidung über das Gesuch. Dieses Hindernis entfällt mit der Bekanntgabe der erbetenen Entscheidung und dem Ablauf der für den Fall der Ablehnung einzuräumenden kurzen Überlegungsfrist (BGH 20. Januar 2009 – VIII ZA 21/08 – Rn. 7; 9. Januar 1985 – IVb ZB 142/84 – zu II 2 b der Gründe).
Rz. 7
2. Die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs 1 ZPO begann damit im Streitfall wenige Tage nach der am 20. September 2012 erfolgten Zustellung des Beschlusses vom 6. September 2012, der dem Kläger die erbetene Prozesskostenhilfe versagt hat. Sie war bei Eingang des Wiedereinsetzungsgesuchs am 7. März 2013 seit Monaten abgelaufen. Entsprechendes gilt für die einmonatige Frist zur Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde.
Rz. 8
Die vom Kläger herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11. November 1998 – XII ZR 262/98 – rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Danach kann die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag unabhängig vom Stand des Prozesskostenhilfeverfahrens bereits vor Übermittlung eines die Prozesskostenhilfe versagenden Beschlusses beginnen, wenn sich die Vermögensverhältnisse der Partei in einer Weise geändert haben, dass sie objektiv in die Lage versetzt wurde, die Prozesskosten nunmehr aus eigenen Mitteln aufzubringen. Das betrifft nicht den vorliegenden Fall, dass ein Prozesskostenhilfegesuch erfolglos geblieben ist und sich die Vermögensverhältnisse der Partei geraume Zeit später bessern. Wegen Wegfalls der Mittellosigkeit beginnt die längst abgelaufene Antragsfrist nicht etwa neu.
Rz. 9
III. Die Kosten seiner erfolglos gebliebenen Beschwerde fallen nach § 97 Abs. 1 ZPO dem Kläger zur Last.
Unterschriften
Kreft, Berger, Rachor
Fundstellen
Haufe-Index 5291969 |
NJW 2013, 3743 |
NZA 2014, 168 |
AP 2015 |
EzA-SD 2013, 16 |
EzA 2013 |
NZA-RR 2013, 660 |