Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachwahl von Aufsichtsratsmitglied bei Satzungsänderung
Leitsatz (amtlich)
Die Verringerung der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder eines nach dem Betriebsverfassungsgesetz 1952 mitbestimmten Unternehmens durch eine Änderung der Satzung setzt zumindest voraus, daß der Vorstand nach § 97 AktG bekannt macht, der Aufsichtsrat sei nicht nach den maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften zusammengesetzt. Solange eine solche Bekanntmachung nicht erfolgt, besteht der Aufsichtsrat aus der bisherigen Zahl der Mitglieder und es hat eine Nachwahl auch dann zu erfolgen, wenn durch vorzeitiges Ausscheiden einzelner Mitglieder die durch die Satzungsänderung angestrebte Zahl der Aufsichtsratsmitglieder erreicht wird.
Normenkette
BetrVG 1952 § 76; AktG § 95 S. 2, § 96 Abs. 1-2, §§ 97, 98 Abs. 1-2, § 101 Abs. 1 S. 1, §§ 102, 103 Abs. 3, § 120 Abs. 1, § 181 Abs. 3; BetrVG § 9 S. 1, §§ 16, 19; ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, § 10
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Beschluss vom 18.12.1987; Aktenzeichen 10 TaBV 132/87) |
ArbG Wuppertal (Beschluss vom 22.09.1987; Aktenzeichen 1 (3) BV 47/87) |
Tenor
- Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats und des Wahlausschusses wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 18. Dezember 1987 – 10 TaBV 132/87 – aufgehoben.
- Auf die Beschwerde des Betriebsrats und des Wahlausschusses wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 22. September 1987 – 1 (3) BV 47/87 – abgeändert.
- Die Anträge des Unternehmens werden abgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Zwischen den Beteiligten besteht Streit darüber, ob ein Vertreter der Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat nachzuwählen ist.
Das antragstellende Unternehmen betreibt mit derzeit ca. 250 Beschäftigten (1965 waren es noch etwa 1.200) eine Gießerei in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Nach § 10 Satz 1 der Satzung setzte sich der auf der Grundlage der §§ 129 BetrVG 1972, 76 BetrVG 1952 zu bildende Aufsichtsrat aus sechs Mitgliedern, davon zwei Arbeitnehmervertretern, zusammen. Bei der letzten im Jahre 1985 durchgeführten Wahl wurde der seinerzeitige Betriebsratsvorsitzende, Herr S…, zum Angestelltenvertreter gewählt. Da er zum 30. Juni 1987 altersbedingt aus den Diensten seines Arbeitgebers ausschied, legte er sein Mandat mit Schreiben vom 24. Juni 1987 zum Ablauf der auf den 6. August des Jahres terminierten nächsten Hauptversammlung nieder.
Unter dem 29. Juni 1987 unterrichtete das Unternehmen den Betriebsrat über die Absicht von Vorstand und Aufsichtsrat, in der anstehenden Hauptversammlung vorzuschlagen, den bisherigen § 10 Satz 1 der Satzung dahingehend zu ändern, daß dem Aufsichtsrat künftig nur noch drei Personen angehören müßten. Da neben Herrn S… auch zwei Vertreter der Anteilseigner zum Ablauf der Wahlperiode aus dem Gremium auszuscheiden gedächten, könne die Reduktion der Mitgliederzahl ihre Wirkung unmittelbar entfalten und erübrige sich die Durchführung einer Nachwahl.
Der Betriebsrat war anderer Auffassung und bestellte einen Aufsichtsratsnachwahlausschuß, der seinerseits den 2. September des Jahres als Termin für die Nachwahl bestimmte.
In der Hauptversammlung vom 6. August 1987 wurde nach Bekanntgabe des Ausscheidens des Angestelltenvertreters und zweier Vertreter der Anteilseigner § 10 der Satzung dahin geändert, daß der Aufsichtsrat aus mindestens drei Mitgliedern besteht. Diese Satzungsänderung wurde am 8. September 1987 in das Handelsregister eingetragen.
Nachdem das Unternehmen den Aufsichtsratsnachwahlausschuß erfolglos aufgefordert hatte, die Vorbereitungen der von ihm geplanten Nachwahl abzubrechen, leitete es unter dem 14. August 1987 das vorliegende Beschlußverfahren ein.
Das Unternehmen vertritt die Auffassung, zumindest bei freiwilligem Ausscheiden des bzw. der überzähligen Arbeitnehmervertreter greife eine im Wege der Satzungsänderung beschlossene Verkleinerung des Aufsichtsrats unmittelbar, so daß es keiner Nachwahl für die Zeit bis zum Ablauf der regulären Amtsperiode bedürfe.
Der Arbeitgeber hat beantragt,
- festzustellen, daß die vom Aufsichtsratsnachwahlausschuß begonnene Nachwahl für das ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglied Paul S… (Arbeitnehmervertreter) unzulässig sei;
- dem Wahlausschuß zu untersagen, die Wahl fortzuführen.
Der Wahlausschuß hat beantragt, die Anträge abzuweisen.
Zur Begründung hat er ausgeführt, die Anteilseigner hätten nicht die Kompetenz, während einer laufenden Amtsperiode die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder zu verringern. Entsprechende Satzungsänderungen könnten ihre Wirkung erst zum Ende der regulären Amtszeit entfalten. Etwas anderes gelte auch nicht bei freiwilligem Ausscheiden der überzähligen Mitglieder, weil sonst Zufälligkeiten über die Zusammensetzung des Gremiums entschieden. Davon abgesehen habe Herr S… sein Mandat nicht aus eigenem Antrieb niedergelegt, sondern mit seiner Entscheidung lediglich auf den Verlust seiner Wählbarkeit im Sinne des § 76 Abs. 2 Satz 2 BetrVG 1952 reagiert.
Das Arbeitsgericht hat den Anträgen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Aufsichtsratsnachwahlausschusses zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt er weiterhin die Abweisung der Anträge, während der Arbeitgeber beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist unstreitig gestellt worden, daß am 22. August 1988 (nach Verkündung der Entscheidung zweiter Instanz) § 10 Satz 1 der Satzung dahin geändert worden ist, daß der Aufsichtsrat “aus drei Mitgliedern” besteht. Diese erneute Satzungsänderung ist am 6. Oktober 1988 in das Handelsregister eingetragen worden.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
I. Der Antrag des Unternehmens ist zulässig.
1. Die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit im Beschlußverfahren für diese Sache folgt aus § 2a Abs. 1 Nr. 3 ArbGG. Danach sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für Angelegenheiten aus dem BetrVG 1952, soweit über die Wahl von Vertretern der Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat und über ihre Abberufung mit Ausnahme der Abberufung nach § 103 Abs. 3 AktG zu entscheiden ist. In einer solchen Streitigkeit findet das Beschlußverfahren statt (§ 2a Abs. 2 ArbGG).
Die Beteiligten streiten vorliegend ausschließlich darüber, ob ein Arbeitnehmervertreter für den Aufsichtsrat nachzuwählen ist. Nach § 76 BetrVG 1952 werden die Aufsichtsratsmitglieder von Arbeitnehmerseite von den wahlberechtigten Arbeitnehmern der Betriebe des Unternehmens gewählt. Dem entspricht es, daß nach § 101 Abs. 1 Satz 1 AktG die Mitglieder des Aufsichtsrats von der Hauptversammlung nur gewählt werden, soweit sie nicht nach dem Betriebsverfassungsgesetz 1952 oder dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz zu wählen sind. Die streitige Nachwahl ist somit im Arbeits- und nicht im Aktienrecht angesiedelt.
2. Der Antrag ist nicht durch Zeitablauf unzulässig geworden.
a) Die Beteiligten streiten nicht um die Zulässigkeit der Reduzierung der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder durch Satzungsänderung. Ihnen geht es allein um die Nachwahl während der gegenwärtig noch laufenden Amtszeit. Im Rundschreiben des Betriebsrats vom 14. Juli 1987 heißt es in Zusammenhang mit der Nachwahl ausdrücklich, daß die Amtszeit des Gewählten bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode (Hauptversammlung 1990) geht. Ebenso wird in verschiedenen Schriftsätzen auf die laufende Amtsperiode abgestellt.
b) Hinsichtlich der Amtszeit wird in § 10 aller Satzungsfassungen auf die nach § 102 AktG längstzulässige Wahlzeit Bezug genommen. Danach können Aufsichtsratsmitglieder nicht für längere Zeit als bis zur Beendigung der Hauptversammlung bestellt werden, die über die Entlastung für das vierte Geschäftsjahr nach dem Beginn der Amtszeit beschließt. Das Geschäftjahr, in dem die Amtszeit beginnt, wird nicht mitgerechnet.
Die Mitglieder des Aufsichtsrats wurden 1985 gewählt. Da ihre Amtszeit noch in jenem Geschäftsjahr begann, zählte dieses nicht mit. Zur zulässigen Amtszeit gehören dann die vier Geschäftsjahre 1986 bis 1989 und die Zeit des fünften Geschäftsjahres (1990) bis zur Beendigung der Hauptversammlung, die über die Entlastung für das vierte Geschäftsjahr (1989) beschließt. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 AktG beschließt die Hauptversammlung alljährlich in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahres über die Entlastung der Mitglieder des Vorstandes und über die Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats. Erst nach der Entlastung des Vorstands im Jahre 1990 scheiden die jetzigen Mitglieder des Aufsichtsrats aus, so daß auch erst dann eine Nachwahl entbehrlich würde. Bis dahin besteht für den Antrag also auch ein Rechtsschutzinteresse.
3. Der Antrag des Arbeitgebers richtet sich auch gegen eine Stelle, die nach § 10 ArbGG in einem Beschlußverfahren beteiligt sein kann. In § 10 ArbGG wird über die nach § 50 ZPO ohnehin parteifähigen Personen hinaus den Verbänden, den in den Betriebsverfassungsgesetzen, den Mitbestimmungsgesetzen und den in zu diesen Gesetzen ergangenen Rechtsverordnungen genannten Personen und Stellen die Beteiligtenfähigkeit verliehen. Zu den in § 10 ArbGG genannten Stellen gehört neben dem Wahlvorstand für die Betriebsratswahl (§ 16 BetrVG) auch der Aufsichtsratswahlausschuß. Diesen hat der Betriebsrat für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder von Arbeitnehmerseite nach § 76 BetrVG 1952 einzusetzen. Dessen Befugnisse sind die gleichen wie die des Wahlvorstandes für die Betriebsratswahl (vgl. dazu Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 76 BetrVG 52 Rz 57 bis 60).
II. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht nicht die im Unternehmen des Arbeitgebers vertretene Industriegewerkschaft Metall am Verfahren beteiligt. Darin liegt ein Verfahrensfehler, der nur dadurch hat geheilt werden können, daß der Senat die Beteiligung in der Rechtsbeschwerdeinstanz noch vor der Anhörung und Entscheidung nachgeholt hat (vgl. Beschlüsse vom 14. September 1988 – 7 ABR 79/87 – zu B I 1 der Gründe, nicht veröffentlicht, und vom 18. April 1989 – 1 ABR 97/87 – zu B I der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen). Nach materiellem Recht am Verfahren beteiligt sind diejenigen Personen und Stellen, die durch die begehrte Entscheidung in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar betroffen sein können (Senatsbeschluß vom 18. April 1989, aaO). Zwar müssen die ersten beiden Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat im Betrieb des Arbeitgebers beschäftigt sein (§ 76 Abs. 2 Satz 3 BetrVG 1952). Die im Betrieb oder Unternehmen vertretene Gewerkschaft ist in einem Verfahren, in dem es um die Wahl des Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat geht, jedoch von Amts wegen zu beteiligen, weil die Gewerkschaft durch die Entscheidung über die Wirksamkeit der Wahl auch so in ihrer unternehmensverfassungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar berührt wird. Dadurch, daß das Gesetz den im Betrieb bzw. Unternehmen vertretenen Gewerkschaften ein Anfechtungsrecht eingeräumt hat, hat es ein rechtliches Interesse der Gewerkschaft an der ordnungsgemäßen Wahl des Betriebsrats oder der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat anerkannt. Dieses Interesse wird durch jede gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit der Wahl unmittelbar berührt (Senatsbeschluß vom 20. Juli 1982 – 1 ABR 19/81 – AP Nr. 26 zu § 76 BetrVG 1952, zu B II 4 der Gründe).
Auch hier geht es um die Zulässigkeit der Wahl eines Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat, wenn auch im Rahmen einer Nachwahl. Deren Anfechtung richtet sich mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nach der entsprechend anzuwendenden Bestimmung des § 19 BetrVG 1972 (so etwa Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 76 BetrVG 52 Rz 73 f., m.w.N.).
III. Die vom Landesarbeitsgericht zu einem Unterlassungsbegehren zusammengezogenen Anträge des Arbeitgebers sind aber nicht begründet, so daß auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats und des Nachwahlausschusses die Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts und des Arbeitsgerichts aufzuheben bzw. abzuändern und die Anträge abzuweisen waren.
1. Die Vorinstanzen haben zunächst übersehen, daß die am 6. August 1987 beschlossene Neufassung des § 10 Satz 1 der Satzung, nach der der Aufsichtsrat aus mindestens drei Mitgliedern bestehen sollte, gegen § 95 Satz 2 AktG verstößt und damit nichtig ist.
Der Senat hatte aber die nach Verkündung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts beschlossene weitere Satzungsänderung vom 22. August 1988, die unstreitig am 6. Oktober 1988 in das Handelsregister eingetragen wurde, zu berücksichtigen, nach der der Aufsichtsrat nunmehr aus “drei Mitgliedern besteht”. Es handelt sich hierbei zwar um neues Tatsachenvorbringen in der Rechtsbeschwerdeinstanz. Aber bedeutsame Rechtstatsachen sind aus prozeßökonomischen Gründen auch noch in der Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdeinstanz zu beachten, sofern sie für die Beurteilung der Rechtslage erheblich, aber erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung in der Berufungs- bzw. Beschwerdeinstanz eingetreten sind (Thomas/Putzo, ZPO, 15. Aufl., § 561 Anm. 4e; Zöller/Schneider, ZPO, 15. Aufl., § 561 Rz 7 f.; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 48. Aufl., § 561 Anm. 3 E; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., § 146 IIh). Hierzu gehören u.a. Änderungen im Personenstand oder der Staatsangehörigkeit sowie behördliche Akte wie Devisen- oder landwirtschaftsgerichtliche Genehmigungen (Zöller/Schneider, aaO, m.w.N.). Die Eintragung in das Handelsregister stellt eine hiermit vergleichbare Rechtstatsache dar. Würde das Begehren des Arbeitgebers alleine wegen der fehlenden Eintragung der Satzungsänderung in das Handelsregister zurückgewiesen, wäre nur ein weiterer Prozeß zu erwarten.
2. Auch unter Berücksichtigung der Änderung des § 10 Satz 1 der Satzung vom 22. August 1988 sind die Anträge des Arbeitgebers jedoch nicht begründet.
Zur Frage, ob und ggf. mit welcher Maßgabe Satzungsänderungen über die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder bereits während einer noch laufenden Amtsperiode Beachtlichkeit zukommt, werden im wesentlichen drei schon vom Ansatzpunkt her unterschiedliche Ansichten vertreten:
a) Nach Richardi (Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 76 BetrVG 1952 Rz 125), Nikisch (Arbeitsrecht, Band 3, 2. Aufl., S. 612 f.) und Schmitt/Seydel (Verkleinerung des Aufsichtsrats nach dem BetrVG, BB 1953, 474) soll eine Satzungsänderung, durch die die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder verringert wird, ihre Wirkungen unmittelbar mit der Eintragung in das Handelsregister entfalten (§ 181 Abs. 3 AktG) und ein automatisches Ausscheiden der Aufsichtsratsmitglieder mit den jeweils geringsten Stimmanteilen bewirken. Treten – wie hier – ausreichend viele Amtsinhaber aus eigenem Antrieb zurück, so kommt unter Zugrundelegung des gerade Gesagten weder die Einleitung einer Nach- noch die einer außerplanmäßigen Neuwahl in Betracht.
b) Nach einer anderen Auffassung (Fitting/Wlotzke/Wißmann, MitbestG, 2. Aufl., § 15 Rz 106; Godin/Wilhelmi, AktG, Band 2, 4. Aufl., § 95 Anm. 4; Meyer-Landrut in GK zum AktG, 3. Aufl., § 95 Anm. 4 und Kuhn, NJW 1965, 2186, 2187) soll die während des Laufs einer Amtsperiode beschlossene Verkleinerung des Aufsichtsrats mit der Beendigung der über die Entlastung beschließenden nächsten Hauptversammlung analog § 8 EGAktG 1937, § 63 DMBilG, § 89 BetrVG 1952 und § 12 EGAktG 1965 zu einem Mandatsverlust sämtlicher Mitglieder führen, so daß eine den veränderten Verhältnissen Rechnung tragende, außerordentliche Neuwahl durchzuführen ist.
c) Nach der mit Abstand am häufigsten vertretenen Auffasung (vgl. u.a. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluß vom 26. August 1988 – 11 W 53/88 – WM 1988, 1487, 1490; Baumbach/ Hueck, AktG, 13. Aufl., § 95 Rz 5; Fitting/Auffarth/Kaiser/ Heither, aaO, § 76 BetrVG 52 Rz 113; Jörg Geßler, AktG, Stand August 1989, § 95 Rz 5; Hachenburg/Schilling, GmbHG, Band 2, 7. Aufl., § 52 Rz 62; Hanau/Ulmer, MitbestG, § 7 Rz 13; Hoffmann/Lehmann/Weinmann, MitbestG, § 7 Rz 51 ff.; Kirschner, Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, DB 1971, 2063, 2066 f.; Koehler, Verkleinerung des Aufsichtsrats nach dem BetrVG, BB 1953, 293, 294; Mertens in Kölner Kommentar zum AktG, § 95 Rz 23; Kötter, Zweifelsfragen des Mitbestimmungsrechts, JZ 1953, 199, 201 und Scholz/Schneider, GmbHG, Band 2, 7. Aufl., § 50 Rz 186) wird der Aktionärsmehrheit jede Möglichkeit zur Einflußnahme auf die Rechtsposition bereits bestellter Arbeitnehmerrepräsentanten versagt. Satzungsänderungen der vorliegenden Art sind daher erst zu Beginn einer neuen Amtsperiode zu beachten.
d) Es kann im vorliegenden Falle dahingestellt bleiben, ob dem von der ganz herrschenden Meinung in der Literatur vertretenen dritten Lösungsvorschlag zu folgen ist und bereits aus dieser Grunde eine Nachwahl für den ausgeschiedener Herrn S… erfolgen muß. Dafür spricht allerdings, daß weder § 95 Abs. 1 Satz 2 AktG noch den Gesetzesmaterialien von § 8 EGAktG 1937, § 63 DMBilG, § 89 BetrVG 1952 und § 12 EGAktG 1965 entnommen werden kann, ob Änderungen der Mitgliederzahl des Aufsichtsrats durch Satzungsänderung sofort oder erst zum Ende der Amtsperiode Rechtswirkung entfalten bzw. ob § 95 Satz 2 AktG nicht überhaupt wie § 9 Satz 1 BetrVG als eine Vorschrift zu verstehen ist, die nur für die turnusmäßige Bestellung, nicht aber für eine Zusammensetzung nach ordnungsgemäß erfolgter Besetzung gilt (so Mertens in Kölner Kommentar zum AktG, § 95 Rz 23; Baumbach/Hueck, AktG, 13. Aufl., § 95 Rz 5; Säcker in Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Band II 2, S. 1511, alle m.w.N.). Die Gerichte selbst müssen deshalb eine Lösung durch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen der Betroffenen finden.
Zwar kann – wie die Vorinstanz im Ausgangspunkt zu Recht herausgestellt hat – die Aktionärsmehrheit einer Aktiengesellschaft ein Interesse daran haben, veränderten Verhältnissen in der Unternehmensstruktur durch eine Veränderung der Mitgliederzahl des Aufsichtsrats Rechnung zu tragen. Dabei kann aber nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Amtszeit von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 102 Abs. 1 AktG höchstens auf fünf Jahre festgesetzt werden darf. Da sich Änderungen der Aufsichtsratsbesetzung zu Beginn einer neuen Wahlperiode problemlos durchsetzen lassen, erscheint das Interesse an einer Reduzierung während der Amtsperiode des Aufsichtsrats als nicht durchschlagend. Bedenken gegen eine Reduzierung während einer Amtsperiode des Aufsichtsrats ergeben sich vor allem aber aus den gegenläufigen Interessen der Belegschaft und den von ihr gewählten Aufsichtsratsmitgliedern: Wie sich aus § 76 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 5 BetrVG 1952 sowie § 103 Abs. 3 AktG ergibt, wird das Aufsichtsratsmitglied gegen eine Abberufung während der Amtszeit rechtlich sehr weitreichend abgesichert. Nach § 76 Abs. 5 BetrVG 1952, § 103 Abs. 3 AktG können Arbeitnehmervertreter nur durch einen Beschluß einer qualifizierten Mehrheit der Belegschaft oder eine Gerichtsentscheidung ausgeschlossen werden. Die damit verbundene Wertentscheidung läßt es kaum zu, der Aktionärsmehrheit über den Weg einer Satzungsänderung die Möglichkeit zur Einflußnahme auf die Rechtsposition der von der Arbeitnehmerseite bestellten Vertreter zu gewähren.
Auch bei vorzeitigem Ausscheiden eines Aufsichtsratsmitglieds von Arbeitnehmerseite – sei es aufgrund Rücktritts, sei es, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für das Amt entfallen sind (Beendigung der Unternehmenszugehörigkeit) – sind Interessen der Belegschaft berührt. Das zeigt besonders anschaulich der dem vorliegenden Falle zugrundeliegende Sachverhalt. Von den beiden Arbeitnehmervertretern war nach § 76 Abs. 2 BetrVG 1952 einer aus dem Kreis der Arbeiter und einer aus dem der Angestellten zu wählen. Nachdem der Angestelltenvertreter aufgrund des Erreichens der Altersgrenze ausgeschieden war, sollte nunmehr der Aufsichtsrat von sechs auf drei Personen reduziert werden. In einem solchen Falle erscheint es als mit demokratischen Grundvorstellungen kaum vereinbar, die Position eines ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglieds von Arbeitnehmerseite innerhalb einer noch laufenden Amtsperiode unbesetzt zu lassen. Denn obwohl die Abstimmung nach § 33 Abs. 1 WahlO 1953 gemeinschaftlich stattzufinden hatte, waren die Wähler nicht dazu aufgerufen, die beiden Kandidaten zu wählen, die ihr insgesamt größtes Vertrauen genossen, sondern sie hatten gruppeninterne Rangfolgen zu bilden. Selbst wenn der jetzt noch amtierende Arbeitervertreter seinerzeit mehr Stimmen als Herr S… auf sich vereinigt haben sollte, bestünde noch nicht einmal ein Anhaltspunkt dafür, daß die Mehrheit der Beschäftigten in einem aus nur drei Personen bestehenden Aufsichtsrat lieber von einem Bewerber aus den Reihen der Arbeiter als von einem solchen aus dem Kreis der Angestellten vertreten sein wollte. Angesichts des begrenzten Interesses der Aktionäre an einer Veränderung der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder während der Amtsperiode erscheint es kaum vertretbar, es dem Zufall zu überlassen, ob die Belegschaft ihrem Willen gemäß repräsentiert wird oder nicht. Bereits aus diesem Grunde spricht also viel für die Erforderlichkeit der vorbereiteten Nachwahl.
e) Endgültig hat dies vorliegend aber nicht entschieden werden müssen, weil nach Auffassung des Senats sich aus den §§ 96 bis 98 AktG ergibt, daß auch die Satzungsänderung vom 22. August 1988 nicht zu einer Veränderung der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder geführt hat. § 96 Abs. 1 AktG regelt, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist. § 96 Abs. 1 AktG führt auf, aus was für Aufsichtsratsmitgliedern sich der Aufsichtsrat der einzelnen Gesellschaft je nachdem, welche Mitbestimmungsvorschriften für sie gelten, zusammenzusetzen hat, nämlich Aufsichtsratsmitgliedern der Aktionäre, Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer und einem oder mehreren “weiteren Mitgliedern”. § 96 AktG regelt damit im Gegensatz zu § 95, der die zahlenmäßige Zusammensetzung des Aufsichtsrats bestimmt, dessen gruppenmäßige Zusammensetzung. Nach § 96 Abs. 2 AktG kann der Aufsichtsrat nach anderen als den zuletzt angewandten gesetzlichen Vorschriften nur zusammengesetzt werden, wenn nach § 97 oder § 98 AktG die in der Bekanntmachung des Vorstands oder in der gerichtlichen Entscheidung angegebenen gesetzlichen Vorschriften anzuwenden sind. Eine andere Zusammensetzung als nach den zuletzt angewandten gesetzlichen Vorschriften liegt auch dann vor, wenn die Form der Zusammensetzung (einfach mitbestimmt, qualifiziert mitbestimmt usw.) sich nicht ändert, wohl aber die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder aufgrund einer Satzungsänderung erhöht oder verringert wird (so Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 96 Rz 52). Denn Gesetz im Sinne des Zivilrechts ist jede Rechtsnorm (vgl. beispielsweise Art. 2 EGBGB, § 12 EGZPO und § 2 EGKO). Vorliegend hat der Vorstand es aber unterlassen, in den Gesellschaftsblättern bekannt zu machen, daß er der Ansicht ist, der Aufsichtsrat sei nicht nach den für ihn maßgebenden gesetzlichen Vorschriften zusammengesetzt. Er hat nicht in einer Bekanntmachung darauf hingewiesen, daß der Aufsichtsrat nach der Satzungsänderung vom 22. August 1988 zusammengesetzt wird, wenn nicht ein Antragsberechtigter nach § 98 Abs. 2 AktG innerhalb eines Monats nach der Bekanntmachung im Bundesanzeiger das nach § 98 Abs. 1 AktG zuständige Gericht anruft.
Dementsprechend besteht der Aufsichtsrat nach wie vor aus sechs Mitgliedern, von denen zwei Mitglieder von Arbeitnehmerseite zu wählen sind. Da der Angestelltenvertreter mit dem Ausscheiden aus den Unternehmen auch sein Mandat verloren hat, ist für das ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglied eine Nachwahl durchzuführen. Dementsprechend waren auf die Rechtsbeschwerde der Beschluß des Landesarbeitsgerichts aufzuheben, der Beschluß des Arbeitsgerichts abzuändern und die Anträge des Arbeitgebers abzuweisen.
Unterschriften
Matthes, Dr. Weller, Dr. Steckhan, Andersch, Rösch
Fundstellen
Haufe-Index 873892 |
RdA 1990, 125 |