BAG-Urteil zum Streit um SAP-Aufsichtsratsposten

Im Rechtsstreit zwischen SAP und den Gewerkschaften Verdi und IG Metall um die Besetzung des Aufsichtsrats hat das BAG die Rechte von Gewerkschaften gestärkt. Es entschied, dass die besonderen Beteiligungsrechte auch nach einer Umwandlung in eine SE gesichert bleiben müssen.

Der Softwarehersteller SAP hat - wie viele andere Unternehmen - seine Rechtsform geändert: aus der ursprünglichen Aktiengesellschaft wurde eine europäische Gesellschaft (SE). In der Folge kam es zu einem Rechtsstreit hinsichtlich der Bildung des Aufsichtsrats. Eine SE-Beteiligungsvereinbarung sah die Möglichkeit vor, diesen auf zwölf Mitglieder zu verkleinern - ein gesonderter Wahlgang für gesicherte Gewerkschaftssitze war dabei nicht mehr vorgesehen.

Hiergegen klagten die betroffenen Gewerkschaften Verdi und IG Metall - mit Erfolg. Nach einem Umweg über den EuGH erklärte das BAG die Regelung in der SE-Beteiligungsvereinbarung für unwirksam.

Der Fall: Einschränkung der Arbeitnehmermitbestimmung durch Umwandlung in eine SE?

SAP war ursprünglich eine Aktiengesellschaft deutschen Rechts, in der das Mitbestimmungsgesetz galt. Demzufolge hatte SAP einen 16-köpfigen Aufsichtsrat gebildet, jeweils zur Hälfte aus Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmenden bestehend. Zwei Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmerseite waren von den Gewerkschaften Verdi und IG Metall vorgeschlagen und in einem von den Wahlen der übrigen Arbeitnehmervertreter getrennten Wahlgang gewählt worden.

Verkleinerung des Aufsichtsrats durch Beteiligungsvereinbarung

Im Jahr 2014 wurde SAP in eine Societas Europaea (SE) umgewandelt. SAP verfügt seitdem über einen 18-köpfigen, ebenfalls paritätisch besetzten Aufsichtsrat, bei dem wie zuvor ein Teil der auf die Arbeitnehmenden entfallenden Sitze für von den Gewerkschaften vorgeschlagene und von den Arbeitnehmenden zu wählende Personen reserviert ist.

Die dazu zwischen SAP und dem besonderen Verhandlungsgremium abgeschlossene Beteiligungsvereinbarung nach dem SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) sieht jedoch die Möglichkeit einer Verkleinerung des Aufsichtsrats auf zwölf Mitglieder vor. Wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, können die Gewerkschaften zwar noch Wahlvorschläge für die Aufsichtsratsmitglieder der Beschäftigten unterbreiten; ein getrennter Wahlgang, der dazu führt, dass zwei Sitze im Aufsichtsrat sicher von Gewerkschaftsvertretern besetzt sind, findet aber nicht mehr statt.

Möglicher Verstoß gegen SE-Beteiligungsgesetz?

Dies war den beiden Gewerkschaften ein Dorn im Auge. Sie machten geltend, dass die Regelungen über die Bildung des verkleinerten Aufsichtsrats unwirksam seien. Sie verstießen gegen § 21 Abs. 6 SEBG, in dem es heißt, im Fall einer durch Umwandlung gegründeten SE müsse in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll. Deswegen, so die Gewerkschaften, müsse ihnen nach der Umwandlung in eine SE weiterhin ein ausschließliches Vorschlagsrecht für eine bestimmte Anzahl von Sitzen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zustehen.

Vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg unterlagen die Gewerkschaften. Beide Vorinstanzen wiesen das Begehren ab.

BAG befragt EuGH

Das mit dem Rechtsstreit befasste Bundesarbeitsgericht (BAG) war der Ansicht, dass nach deutschem Recht die streitigen Regelungen unwirksam und dem Antrag der beiden Gewerkschaften stattzugeben sei. Der Erste Senat hat sich vor einer Entscheidung jedoch zunächst an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gewandt. Der Grund: Bei der Gründung einer SE durch Umwandlung einer paritätisch mitbestimmten Aktiengesellschaft ist die Auslegung des § 21 Abs. 6 SEBG entscheidungserheblich. Dieser ist fast wörtlich identisch mit Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmenden. Für die Auslegung dieser Bestimmung ist jedoch der EuGH zuständig. Daher hat das BAG dem EuGH die Frage vorgelegt, ob das Verständnis des nationalen Rechts mit der Auslegung der europäischen Richtlinie vereinbar ist.

EuGH stärkt Rechte der Gewerkschaftsvertreter

Der EuGH stellte in seinem Urteil klar, dass die Umwandlung einer deutschen Aktiengesellschaft in eine europäische SE nicht dazu führen darf, dass sich die nach deutschem Recht vorgeschriebenen Beteiligungsrechte der Gewerkschaften bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrats verringern oder wegfallen.

Der Gerichtshof verwies auf den Wortlaut der Richtlinie, nach der es nach der Umwandlung in eine SE das gleiche Ausmaß einer Arbeitnehmerbeteiligung wie vor der Umwandlung geben müsse. Wenn das nationale Recht - wie vorliegend - für die umzuwandelnde Gesellschaft einen getrennten Wahlgang für die Wahl der von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Arbeitnehmervertreter vorsehe, müsse die Regelung des Wahlverfahrens folglich beibehalten werden.

Das entsprechende Vorschlagsrecht der Gewerkschaften für die Besetzung von mindestens zwei Aufsichtsratsmandaten in einer durch Umwandlung gegründeten SE, dürfe allerdings nicht nur den deutschen Gewerkschaften vorbehalten sein. Vielmehr müsse es auf alle in der SE vertretenen Gewerkschaften, also auch auf jene in Tochtergesellschaften und Betrieben, ausgeweitet werden, um die Gleichheit dieser Gewerkschaften in Bezug auf dieses Recht zu gewährleisten.

BAG: Kein Wegfall der Arbeitnehmerbeteiligung bei Umwandlung in SE

Damit stand auch für das BAG fest, dass die bereits vor der Umwandlung durch den besonderen Wahlgang für die Wahl der Gewerkschaftsvertreter gesicherten Sitze von Gewerkschaftern durch eine Umwandlung in eine SE nicht wegfallen dürfen. Im Ergebnis ist eine Verkleinerung auf einen zwölfköpfigen Aufsichtsrat bei SAP ausgeschlossen. 

Hinweis: BAG, Beschluss vom 23. März 2023, Az: 1 ABR 43-18; EuGH, Urteil vom 18. Oktober 2022 in der Rechtssache C-677/20, Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18. August 2020, Az: 1 ABR 43/18 (A) 


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