Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage von Bewerbungsunterlagen an Betriebsrat
Leitsatz (redaktionell)
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, bei Einstellungen von Arbeitnehmern dem Betriebsrat die Bewerbungsunterlagen aller Bewerber auszuhändigen und bis zur Beschlußfassung über den Antrag auf Zustimmung, längstens für eine Woche, zu überlassen.
Normenkette
BGB §§ 811, 809-810; ZPO § 420; BetrVG §§ 29, 33; ZPO § 142 Abs. 2; BetrVG § 99 Abs. 3, § 106 Abs. 2, § 99 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 80 Abs. 2 S. 2, § 115 Abs. 7 Nr. 5
Verfahrensgang
LAG Berlin (Entscheidung vom 29.09.1983; Aktenzeichen 7 TaBV 7/83) |
ArbG Berlin (Entscheidung vom 21.02.1983; Aktenzeichen 34 BV 8/82) |
Gründe
A. Arbeitgeber und Betriebsrat streiten darüber, ob der Arbeitgeber bei Einstellungen die in § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erwähnten Bewerbungsunterlagen dem Betriebsrat überlassen muß.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, er könne die Diskussion über die Eignung der Bewerber und über das Vorliegen von Zustimmungsverweigerungsgründen sinnvoll nur führen, wenn ihm dabei die Bewerbungsunterlagen vorlägen. Es sei nicht zumutbar, daß der Betriebsrat im Personalbüro Einsicht in die Bewerbungsunterlagen nehme und seine Entschließung fasse.
Der Betriebsrat hat beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten,
bei Personaleinstellungen ihm die je-
weiligen Bewerbungsunterlagen mit dem
Antrag auf Zustimmung zur geplanten
Einstellung zuzuleiten.
Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er hat geltend gemacht, dem Betriebsrat seien die Bewerbungsunterlagen nur vorzulegen in dem Sinne, daß der Betriebsrat in sie Einsicht nehmen könne. Demgemäß werde dem Betriebsrat seit September 1982 vor jeder Einstellung mitgeteilt, daß die Bewerbungsunterlagen im Personalbüro bzw. in der Buchhaltung zur Einsicht bereitlägen.
Der Antrag des Betriebsrats ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Antrag weiter.
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist begründet. Der Arbeitgeber muß ihm die Bewerbungsunterlagen aushändigen und bis zur Beschlußfassung, längstens jedoch für eine Woche, überlassen.
I. Der Antrag bedarf der Auslegung. Der Betriebsrat will erreichen, daß ihm die Bewerbungsunterlagen vor jeder Einstellung überlassen werden. Der Arbeitgeber soll verpflichtet sein, diese Unterlagen aus der Hand zu geben. Die Unterlagen sollen ihm während der Beratung und Beschlußfassung über mögliche Zustimmungsverweigerungsgründe zur Verfügung stehen. Das folgt aus der Begründung. Dagegen geht es dem Betriebsrat nicht darum, daß ihm die Bewerbungsunterlagen in einer bestimmten Form oder auf einem bestimmten (Dienst-) Weg "zugeleitet" werden. Er nimmt auch nicht das Recht in Anspruch, sich von den überlassenen Unterlagen Abschriften oder Fotokopien fertigen zu können.
II. Gegen diesen Antrag bestehen keine verfahrensrechtlichen Bedenken. Er ist auch begründet.
Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern der Arbeitgeber den Betriebsrat vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben; er hat dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu geben und die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen.
Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats mit der Begründung abgewiesen, "Vorlage" im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bedeute nur die Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Betriebsrat Einsicht in die Bewerbungsunterlagen zu gestatten. Aushändigung könne er nicht verlangen. Wo das Gesetz eine solche Aushändigung meine, spreche es nicht von der Vorlage, sondern von dem Zurverfügungstellen von Unterlagen, wie etwa in § 80 Abs. 2 BetrVG. Das Landesarbeitsgericht ist dabei der überwiegenden Auffassung der Literatur gefolgt (vgl. Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 99 Rz 115; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 99 Rz 37; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 99 Rz 48; GK-Kraft, BetrVG, 3. Bearb., § 99 Rz 76; Stege/Weinspach, BetrVG, 5. Aufl., §§ 99 - 101 Rz 38; Heinze, Personalplanung, Einstellung und Kündigung, 1982, Rz 242; a.A. Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl., § 99 Rz 53; LAG Frankfurt, Beschluß vom 9. Januar 1973 - 5 Ta BV 33/72 - AuR 1974, 28 (Leitsatz)).
Diese Auffassung hält der Senat nicht für richtig.
1. Der Wortlaut des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts nicht so eindeutig, daß damit die Rechtsfrage zweifelsfrei beantwortet werden könnte. Das Gesetz spricht an mehreren Stellen von "Vorlage" oder "vorlegen" der erforderlichen Unterlagen (vgl. neben § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG noch § 106 Abs. 2 BetrVG und § 115 Abs. 7 Nr. 5 BetrVG). Andererseits unterscheidet es in § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG zwischen der Verpflichtung des Arbeitgebers, Unterlagen "zur Verfügung zu stellen" und dem Recht des Betriebsrats, "Einblick zu nehmen". Die beiden zuletzt genannten Formulierungen sind eindeutig: Im ersten Fall muß der Arbeitgeber die Unterlagen - zumindest in Abschrift - dem Betriebsrat überlassen; er muß die Unterlagen aus der Hand geben, der Betriebsrat kann sie ohne Beisein des Arbeitgebers auswerten. Im zweiten Fall braucht der Arbeitgeber die Unterlagen nicht aus der Hand zu geben.
"Vorlage" ist weniger eindeutig. Vorlegung im Sinne bürgerlich-rechtlicher Bestimmungen bedeutet hinsichtlich von Urkunden das Recht, in die Urkunden Einsicht nehmen zu können (§§ 810, 811 Abs. 1 BGB), hinsichtlich von Sachen kann auch "aushändigen" gemeint sein (§§ 809, 811 Abs. 1 BGB, vgl. dazu Palandt/Thomas, BGB, 43. Aufl., § 809 Anm. 3 a). Im Verfahrensrecht wird Beweis durch die "Vorlegung der Urkunde" angetreten (§ 420 ZP0). Das Gericht kann anordnen, daß vorgelegte Schriftstücke während einer zu bestimmenden Zeit auf der Geschäftsstelle verbleiben (§ 142 Abs. 2 ZP0). Der Vorlegende muß danach Urkunden und Schriftstücke aus der Hand geben (vgl. zur Bedeutung des Begriffs "Vorlage" in § 106 Abs. 2 BetrVG Beschluß des Senats vom 20. November 1984 - 1 ABR 64/82 -, zu B II 3 a der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Für § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kommt hinzu, daß die Unterlagen dem Betriebsrat als Organ vorzulegen sind. Der Betriebsrat muß darüber entscheiden, ob er der Einstellung eines Bewerbers zustimmt oder ob er die Zustimmung verweigert. Diese Entscheidung fällt in einer Sitzung des Betriebsrats (§§ 29, 33 BetrVG). In dieser Sitzung müssen die Bewerbungsunterlagen zur Verfügung stehen. An den Sitzungen nimmt der Arbeitgeber nur in Ausnahmefällen teil (§ 29 Abs. 4 BetrVG). Bewerbungsunterlagen sind dabei die notwendigen Beratungsunterlagen. Der Arbeitgeber, der an der Sitzung nicht teilnimmt, muß sie schon deshalb aus der Hand geben. Schon nach dem Wortlaut des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG spricht deshalb viel dafür, daß dem Betriebsrat die Bewerbungsunterlagen in der Sitzung "vorliegen" müssen.
2. Für diese Auslegung sprechen auch Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung.
Die Vorschrift des § 99 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BetrVG begründet eine umfassende Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat (vgl. BAG Beschluß vom 18. Juli 1978 - 1 ABR 8/75 - AP Nr. 7 zu § 99 BetrVG 1972, zu B II 1 a der Gründe). Die Erfüllung der Unterrichtungspflicht ist für die Beteiligung des Betriebsrats von wesentlicher Bedeutung. Teilt der Betriebsrat dem Arbeitgeber die Verweigerung seiner Zustimmung nicht innerhalb der vorgesehenen Frist unter Angabe von Gründen schriftlich mit, so gilt die Zustimmung als erteilt (§ 99 Abs. 3 BetrVG). Der Betriebsrat kann sich nur dann sachgemäß zu einer geplanten personellen Maßnahme äußern, wenn er zuvor vom Arbeitgeber umfassend und rechtzeitig informiert wird. Der Betriebsrat muß wissen, worum es sich handelt; er muß genügend Zeit haben, sich über seine Stellungnahme so rechtzeitig schlüssig zu werden, daß er die Verweigerung der Zustimmung aus den in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Gründen noch binnen einer Woche dem Arbeitgeber schriftlich mitteilen kann, § 99 Abs. 3 BetrVG (vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser, aa0, § 99 Rz 30). Beim Einstellungsverfahren kommt noch hinzu, daß der Betriebsrat im Rahmen des Verfahrens nach § 99 BetrVG die Möglichkeit hat, Anregungen zu geben und Gesichtspunkte vorzubringen, die aus seiner Sicht für die Berücksichtigung eines anderen als des vom Arbeitgeber ausgewählten Stellenbewerbers sprechen. Wenn auch der Betriebsrat die Einstellung eines vom Arbeitgeber abgelehnten Bewerbers nicht durchsetzen kann, gebietet doch der das gesamte Betriebsverfassungsrecht beherrschende Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (§ 2 Abs. 1 BetrVG) dem Arbeitgeber, Anregungen und Argumente des Betriebsrats ernsthaft in Erwägung zu ziehen und zu prüfen, ob nicht doch der vom Betriebsrat gewünschte Bewerber für die zu besetzende Stelle in Frage kommen kann (BAG 35, 278, 283 = AP Nr. 18 zu § 118 BetrVG 1972, zu B I der Gründe).
Um diese Rechte wahrnehmen zu können, reicht das Recht einzelner Betriebsratsmitglieder, in die Bewerbungsunterlagen vor der Beschlußfassung über die Zustimmung Einsicht nehmen zu können, häufig nicht aus, auch wenn die Betriebsratsmitglieder sich bei der Vorbereitung auf die Sitzung schriftliche Aufzeichnungen machen (vgl. dazu Dietz/Richardi, aa0, § 99 Rz 115; Fitting/Auffarth/Kaiser, aa0, § 99 Rz 37; Heinze, aa0, Rz 242, der darauf hinweist, daß man dem Betriebsrat Notizen bei der Einsichtnahme schon deshalb nicht versagen könne, weil er sie als Gedächtnisstütze im Rahmen seiner weiteren Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte, insbesondere bei der Beschlußfassung über die zu erfolgende Einstellung dringend benötige). Bei Einstellungen können viele Bewerbungen eingehen. Nach der Rechtsprechung des Senats sind dem Betriebsrat nicht nur die Unterlagen des Bewerbers vorzulegen, den der Arbeitgeber ausgewählt hat, sondern die Bewerbungsunterlagen aller Bewerber (BAG Beschluß vom 6. April 1973 - 1 ABR 13/72 - AP Nr. 1 zu § 99 BetrVG 1972; BAG 35, 278 = AP Nr. 18 zu § 118 BetrVG 1972). Wenn der Betriebsrat im Rahmen des Verfahrens nach § 99 BetrVG das Recht hat, Anregungen zu geben und Gesichtspunkte vorzubringen, die aus seiner Sicht für die Berücksichtigung eines anderen als des vom Arbeitgeber ausgewählten Stellenbewerbers sprechen, wird ihm die wirksame Ausübung dieses Rechts in solchen Fällen nur möglich sein, wenn er die Bewerbungsunterlagen für einige Zeit zur Hand hat, um sich mit den Personalien aller Bewerber vertraut zu machen und darüber zu diskutieren. Auch können die Bewerbungsunterlagen im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG umfangreich sein. Zu den von den Bewerbern eingereichten Unterlagen können gehören die Arbeits- und Führungszeugnisse, die Angaben über den Gesundheitszustand, der Lebenslauf, aber auch die Unterlagen, die der Arbeitgeber anläßlich der Bewerbung über einen Bewerber erstellt wie Personalfragebogen, Ergebnisse von Einstellungsprüfungen usw. (vgl. Dietz/Richardi, aa0, § 99 Rz 110 ff.; Galperin/Löwisch, aa0, § 99 Rz 45 ff.). Der Inhalt all dieser Bewerbungsunterlagen muß dem Betriebsrat - das sind alle Mitglieder dieses Organs - bei seiner Beratung und Beschlußfassung über die vorgesehene Einstellung zugänglich sein. Das ist nur zu erreichen, wenn die Unterlagen in der Sitzung selbst zur Verfügung stehen.
3. Ein solches Verfahren ist auch aus Gründen der Praktikabilität geboten. Stünden die Bewerbungsunterlagen nicht in der Sitzung zur Verfügung, müßten sich alle Mitglieder des Betriebsrats auf die Beratung und Beschlußfassung so vorbereiten, daß jeder von ihnen die Bewerbungsunterlagen einsieht und sich Notizen macht. Das würde einen unverhältnismäßig hohen Zeitaufwand erfordern. Es wäre nicht einmal auszuschließen, daß es während der Beratung zu Rückfragen kommt, die dann nur durch erneute Einsicht in die Unterlagen geklärt werden können.
4. Interessen des Arbeitgebers und der Bewerber an der Geheimhaltung der Unterlagen schließen ein solches Verfahren nicht aus. Alle Mitglieder des Betriebsrats können sich ohnehin Einblick in die persönlichen Verhältnisse und Angelegenheiten der Bewerber verschaffen. Das Gesetz begründet deshalb eine besondere Geheimhaltungspflicht für alle Mitglieder des Betriebsrats (§ 99 Abs. 1 Satz 3 BetrVG). Der weitere Einwand Meisels (Die Mitwirkung und Mitbestimmung des Betriebsrats, 5. Aufl. 1984, Rz 219), die Bewerbungsunterlagen würden laufend benötigt und könnten deshalb dem Betriebsrat nicht überlassen werden, überzeugt nicht. Der Betriebsrat hat ohnehin nur eine Frist zur Stellungnahme von einer Woche. Sollte der Arbeitgeber die Unterlagen in dieser Zeit dringend benötigen, kann er sie kurzfristig vom Betriebsrat wieder zurückfordern.
5. Andererseits braucht der Arbeitgeber die Bewerbungsunterlagen dem Betriebsrat nur bis zur Beschlußfassung über die beantragte Zustimmung zur Einstellung zu überlassen. Der Betriebsrat benötigt sie nur zu diesem Zweck. Ist der Zweck erreicht, muß er sie zurückgeben. Eine weitere zeitliche Grenze enthält die Wochenfrist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Wenn die Zustimmung des Betriebsrats nach Ablauf der Wochenfrist als erteilt gilt (§ 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG), ist eine weitere Beratung und Beschlußfassung aus diesem Grund nicht mehr erforderlich.
Dr. Heither Matthes Dr. Becker
Schneider Dr. Schönherr
Fundstellen
Haufe-Index 437045 |
BAGE 50, 236-241 (LT) |
BAGE, 236 |
BB 1986, 876-877 (LT1) |
DB 1986, 917-918 (LT1) |
NJW 1986, 1709 |
AiB 1986, 95-95 (LT1) |
ARST 1986, 101-102 (LT1) |
NZA 1986, 335-337 (LT1) |
RdA 1986, 137 |
AP § 99 BetrVG 1972 (LT1), Nr 29 |
AR-Blattei, Betriebsverfassung XIVC Entsch 101 (LT1) |
AR-Blattei, ES 530.14.3 Nr 101 (LT1) |
DuD 1990, 640-642 (LT) |
EzA § 99 BetrVG 1972, Nr 46 (LT1) |
MDR 1986, 524-524 (LT1) |