Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (amtlich)
Ein Rechtsanwalt braucht sich nicht zu vergewissern, ob eine Rechtsmittelschrift, mit der eine Notfrist eingehalten werden soll, rechtzeitig bei dem Adressatgericht eingegangen ist, wenn diese in ausreichendem Abstand zum Ablauf der Frist zur Post gegeben wird.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 05.08.1994; Aktenzeichen 13 Sa 1483/93) |
ArbG Marburg (Urteil vom 23.04.1993; Aktenzeichen 2 Ca 536/92) |
Tenor
Dem beklagten Land wird auf Antrag gegen die Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Tatbestand
A. Die Parteien streiten über den für den Kläger maßgeblichen Tariflohn. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Auf die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde des beklagten Landes hat das Bundesarbeitsgericht durch Beschluß vom 8. Februar 1995 – 4 AZN 1091/94 – die Revision zugelassen. Dieser Beschluß wurde dem beklagten Land am 1. März 1995 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 6. April 1995, eingegangen beim Bundesarbeitsgericht am selben Tag, hat es die Revision gegen das landesarbeitsgerichtliche Urteil eingelegt und zugleich beantragt, ihm gegen die Versäumung der Frist zur Revisionseinlegung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags trägt das beklagte Land vor: Die Prozeßbevollmächtigte des Landes habe am 30. März 1995 die Schriftsätze diktiert, mit denen sie in dem vorliegenden sowie weiteren fünf Parallelverfahren die Revision gegen die landesarbeitsgerichtlichen Urteile eingelegt habe. Diese Revisionsschriftsätze seien am gleichen Tage von der Rechtsanwalts- und Notargehilfin Frau P… S… geschrieben und der Prozeßbevollmächtigten jeweils siebenfach zur Unterzeichnung vorgelegt worden. Die Prozeßbevollmächtigte habe die Originale und die beglaubigten Abschriften unterschrieben und die für die Handakten bestimmten Durchschriften mit einem Strich abgehakt. Anschließend habe Frau S… von jedem Schriftsatz fünf Exemplare, d.h. Original, beglaubigte Abschrift und drei einfache Abschriften, zusammengeknipst und alle sechs Schriftsätze in einen großen weißen DIN-A-4 Umschlag mit Adressenfenster gesteckt. Frau S… habe dann den mit 3,-- DM frankierten Briefumschlag zusammen mit drei oder vier weiteren kleinen Briefen gegen 17.30 Uhr in den Außenbriefkasten der früheren Marburger Hauptpost im Hause Bahnhofstraße 6 geworfen. Die Prozeßbevollmächtigte habe erst am 5. April 1995 zufällig erfahren, daß die Revisionsschriftsätze noch nicht beim Bundesarbeitsgericht eingegangen seien. Anläßlich eines Termins in einer anderen Sache habe sie sich bei der Geschäftsstelle erkundigen wollen, ob den Fristverlängerungsanträgen in dem vorliegenden und den parallelen Verfahren schon stattgegeben worden sei.
Zur Glaubhaftmachung hat das beklagte Land eine eidesstattliche Versicherung der Prozeßbevollmächtigten, der Rechtsanwalts- und Notargehilfin Frau S… und eine Kopie des für die Handakten abgehakten Revisionsschriftsatzes vom 30. März 1995 vorgelegt.
Der Kläger hat auf eine Stellungnahme zum Wiedereinsetzungsantrag verzichtet.
Entscheidungsgründe
B. Der Wiedereinsetzungsantrag des beklagten Landes ist zulässig und begründet.
Nach § 233 ZPO ist einer Partei, die ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist einzuhalten, auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zu den Notfristen gehört auch die Frist zur Revisionseinlegung (§ 552 ZPO). Diese Frist hat das beklagte Land versäumt.
Ein Verschulden hieran trifft jedoch weder das Land noch dessen Prozeßbevollmächtigte. Das Verschulden eines Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO). Zugerechnet wird nur ein Verschulden des Bevollmächtigten selbst. Ein Verschulden seines Büropersonals ist insofern unerheblich (vgl. BAG Urteil vom 9. Januar 1990 – 3 AZR 528/89 – AP Nr. 16 zu § 233 ZPO 1977). Die Prozeßbevollmächtigte des beklagten Landes hat die ihr obliegenden Sorgfaltspflichten nicht verletzt.
Sie durfte darauf vertrauen, daß die am Abend des 30. März 1995 zur Post gegebene Sendung fristgemäß beim Bundesarbeitsgericht einging. Eine Verzögerung oder ein Unterbleiben der Briefbeförderung kann dem Absender nicht angelastet werden, wenn er die Sendung ausreichend adressiert und frankiert hat (vgl. BVerfG NJW 1992, 38; BVerfG Beschluß vom 11. Juni 1993 – 1 BvR 1240/92 – AP Nr. 27 zu § 233 ZPO 1977; BAG Beschluß vom 24. November 1977 – 5 AZB 50/77 – AP Nr. 1 zu § 233 ZPO 1977; BAG Beschluß vom 7. Februar 1973 – 2 AZB 30/72 – AP Nr. 63 zu § 233 ZPO). Im Verantwortungsbereich des Absenders liegt es nur, das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig zur Post zu geben, daß es nach deren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bei normalem Verlauf der Dinge den Empfänger fristgerecht erreicht (vgl. BVerfGE 53, 25, 29; BVerfGE 62, 334, 337). Es genügt jedenfalls, die Sendung drei Werktage vor dem Fristablauf zur Post zu geben (vgl. BVerfG Beschluß vom 11. Juni 1993 – 1 BvR 1240/92 – AP, aaO; BGH VersR 1984, 871; vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 53. Aufl., § 233 Rz 154). Ob auch von geringeren Laufzeiten ausgegangen werden darf, kann hier dahinstehen. Die Prozeßbevollmächtigte des beklagten Landes konnte davon ausgehen, daß die am 30. März 1995, einem Donnerstag, zur Post gegebenen Revisionsschriftsätze spätestens am Montag, dem 3. April 1995, an dem die Revisionsfrist ablief, beim Bundesarbeitsgericht eingehen würden.
Die Prozeßbevollmächtigte des Landes war nicht gehalten, den rechtzeitigen Eingang der Revisionsschriftsätze beim Bundesarbeitsgericht zu überwachen. Der Prozeßbevollmächtigte ist nicht verpflichtet, am Tag des Fristablaufs telefonisch beim Gericht nachzufragen, ob der Schriftsatz eingegangen ist (vgl. BVerfG NJW 1992, 38; BAG Beschluß vom 7. Februar 1973 – 2 AZB 30/72 – AP, aaO; jüngst BVerfG Beschluß vom 29. Dezember 1994 – 2 BvR 106/93 – NJW 1995, 1210, 1211).
Die Prozeßbevollmächtigte des beklagten Landes trifft auch kein Organisationsverschulden, insbesondere wegen ungenügender Auswahl, Belehrung oder Überwachung des Büropersonals.
Die zur Wiedereinsetzung führenden Umstände sind in ausreichendem Umfang glaubhaft gemacht (§ 236 Abs. 2, § 294 ZPO).
Unterschriften
Schaub, Friedrich, Bott
Fundstellen
Haufe-Index 870833 |
NZA 1995, 806 |