Entscheidungsstichwort (Thema)
Divergenzbeschwerde
Leitsatz (redaktionell)
Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, wenn zwar in der Beschwerdeschrift das Landesarbeitsgericht falsch bezeichnet ist (hier “Nürnberg” statt “München”), sich aber das richtige Gericht aus dem beigefügten Urteil ergibt.
Normenkette
ArbGG § 72a
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 09.04.2002; Aktenzeichen 6 Sa 1091/01) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 9. April 2002 – 6 Sa 1091/01 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Streitwert: 6.606,40 Euro = 12.921,00 DM.
Tatbestand
I. Der Kläger hat sich gegen die fristlose Kündigung der Beklagten vom 12. Mai 1997 gewandt. Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hatte zunächst die Klage abgewiesen. Nach Aufhebung dieses Urteils durch das Bundesverfassungsgericht hat das Landesarbeitsgericht die Berufung zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die auf Divergenz gestützte Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Sie ist zulässig. Insbesondere ist die Frist des § 72 a Abs. 2 Satz 1 ArbGG gewahrt. Zwar ist in der am letzten Tag der Frist beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Beschwerdeschrift das Landesarbeitsgericht falsch „Nürnberg” statt „München”) bezeichnet. Dabei handelte es sich aber um ein offenkundiges Versehen. Denn mit der Beschwerdeschrift war zugleich das anzufechtende Urteil des Landesarbeitsgerichts München beigefügt. Es war somit auf den ersten Blick erkennbar, gegen welches Urteil welchen Gerichts sich die Nichtzulassungsbeschwerde richtete.
2. Die Beschwerde ist unbegründet.
a) Eine nachträgliche Zulassung der Revision kann nach § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 72 a Abs. 1 ArbGG auf Beschwerde hin nur dann erfolgen, wenn das Landesarbeitsgericht im anzufechtenden Urteil einen abstrakten, fallübergreifenden Rechtssatz aufgestellt hat, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den einer der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG abschließend genannten Spruchkörper verwandt hat, und das anzufechtende Urteil auf diesem abweichenden Rechtssatz beruht (BAG 15. Oktober 1979 – 7 AZN 9/79 – BAGE 32, 136). Dabei kann ein vom Landesarbeitsgericht gebildeter abstrakter Rechtssatz auch in scheinbar einzelfallbezogenen Ausführungen der Entscheidung liegen. Die auf eine Divergenz gestützte Nichtzulassungsbeschwerde muss dann aber darlegen, dass sich ein solcher Rechtssatz zwingend aus der Entscheidung ergibt, er aus ihr also unmittelbar und so deutlich abzulesen ist, dass kein Raum für Zweifel bleibt. Eine lediglich fehlerhafte oder den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entsprechende Rechtsanwendung kann im Hinblick auf die begrenzte Aufgabe eines Revisionsgerichts und des Revisionsverfahrens, nämlich die Rechtseinheit zu wahren und der Rechtsfortbildung zu dienen, eine Divergenz nicht begründen (BAG 10. Juli 1984 – 2 AZN 337/84 – AP ArbGG 1979 § 72 a Divergenz Nr. 15 = EzA ArbGG 1979 § 72 a Nr. 44; 23. Juli 1996 – 1 ABN 18/96 – AP ArbGG 1979 § 72 a Divergenz Nr. 33 = EzA ArbGG 1979 § 72 a Nr. 76). Beruht das anzufechtende Urteil auf einer Mehrfachbegründung, so ist die Revision nur dann zuzulassen, wenn mit der Nichtzulassungsbeschwerde jeder der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründungen angegriffen wird und die Rügen gegen jede der gerügten Begründungen für sich betrachtet durchgreifen (BAG 10. März 1999 – 4 AZN 857/98 – BAGE 91, 93). Die Nichtzulassungsbeschwerde bleibt daher bereits dann in der Sache erfolglos, wenn auch nur eine der mehreren vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründungen zu Unrecht gerügt wird.
b) Das anzufechtende Urteil stützt, wie die Beschwerdeführerin darlegt, die Zurückweisung der Berufung darauf, die Kündigung sei wegen fehlender Durchführung des Verfahrens nach § 103 BetrVG, wegen unterbliebener Durchführung des Verfahrens nach § 99 BetrVG und mangels eines die außerordentliche Kündigung rechtfertigenden wichtigen Grundes iSd. § 626 Abs. 1 BGB unwirksam. Ob die von der Beschwerdeführerin zu § 103 BetrVG und zu § 99 BetrVG gerügten Divergenzen vorliegen, kann dahin stehen. Denn jedenfalls, soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, ein wichtiger Grund liege nicht vor, ergibt die Sachprüfung, dass die gerügte Divergenz nicht gegeben ist.
aa) Die Beklagte macht geltend, das Landesarbeitsgericht habe den Rechtssatz aufgestellt:
„Bei einem Mitarbeiter mit erheblichem sozialen Besitzstand muss der Arbeitgeber vor Ausspruch einer fristlosen verhaltensbedingten Kündigung nicht nur eine Abmahnung aussprechen, sondern außerdem einen von Verständigungswillen getragenen ernsthaften Versuch unternehmen, die Konfliktsituation zu beseitigen.”
Dieser Rechtssatz weiche von Dutzenden Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts ab, in denen als gefestigter Rechtssatz angenommen werde, bei Störungen im Verhaltensbereich sei vor einer – außerordentlichen oder ordentlichen – Kündigung im Regelfall eine Abmahnung erforderlich.
bb) Die anzufechtende Entscheidung enthält jedoch den von der Beschwerde formulierten Rechtssatz nicht. Die Passage, auf die sich die Beschwerde bezieht, lautet im anzufechtenden Urteil wörtlich:
„Unabhängig davon könnte sein Verhalten ab 1. Mai 1997, seine Nichtarbeit am Kontrolltisch, die außerordentliche Kündigung bereits am 12./13. Mai 1997 aber auch nicht rechtfertigen. Zunächst einmal hatte der Kläger an diesen Tagen (zumindest teilweise) an seinem bisherigen Arbeitsplatz weitergearbeitet. Er ist 3 minderjährigen Kindern unterhaltspflichtig, zu seinen Gunsten spricht eine rd. 15jährige Betriebszugehörigkeit. In einem solchen Fall muss von einem sozialverantwortlich denkenden Arbeitgeber verlangt werden, vor einer Abmahnung und erst recht vor Ausspruch einer fristlosen Beendigungskündigung einen von Verständigungswillen getragenen ernsthaften Versuch zu unternehmen, diese Konfliktsituation beizulegen. Das ist im Streitfall nicht geschehen, obwohl das Schreiben des klägerischen Vertreters vom 12. Mai 1997 als Gesprächsgrundlage hätte dienen können.”
Es handelt sich also um eindeutig auf den Einzelfall zugeschnittene Erwägungen des Berufungsgerichts. Die Aussage, vom Arbeitgeber sei ein Versuch der Konfliktbeilegung zu erwarten gewesen, bezieht sich auf die besonderen, hier gegebenen Umstände, zu denen nicht nur die lange Beschäftigungsdauer und die Anzahl der unterhaltsberechtigten Kinder, sondern auch das Verhalten des Klägers vor der Kündigung und das Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 12. Mai zählt. Eine Aussage für andere Fälle, in denen diese Besonderheiten nicht gegeben sind, enthält das Urteil nicht.
c) Der von der Beklagten als ärgerlich bezeichnete Verfahrensverlauf ist nach § 72 a Abs. 1 ArbGG nicht geeignet, die Zulassung der Revision zu begründen. Das Bundesarbeitsgericht ist an die gesetzlich vorgesehenen Zulassungsgründe gebunden.
III. Die Kosten der erfolglos gebliebenen Beschwerde fallen der Beklagten zur Last.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Schmitz-Scholemann, Walter, Dr. Roeckl
Fundstellen