Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtswegzuständigkeit für Streitigkeiten aus sog. Kommissionärsverträgen
Leitsatz (amtlich)
Der Abschluß eines Kommissionsvertrags schließt nicht aus, daß es sich bei dem “Kommissionär” um einen Arbeitnehmer oder eine arbeitnehmerähnliche Person handelt (vgl. auch BAG Beschluß vom 16. Juli 1997 – 5 AZB 29/96 –, zur Veröffentlichung bestimmt).
Normenkette
ArbGG § 5 Abs. 1 S. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Beschluss vom 25.11.1996; Aktenzeichen 9 Ta 526/96) |
ArbG Wiesbaden (Beschluss vom 02.10.1996; Aktenzeichen 6 Ca 3399/96) |
Tenor
- Die weitere sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluß des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 25. November 1996 – 9 Ta 526/96 – wird zurückgewiesen.
- Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens der weiteren sofortigen Beschwerde zu tragen.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.700,00 DM festgesetzt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten um Entgeltansprüche für die Zeit vom 2. September bis zum 15. Oktober 1996. Der Kläger verlangt 8.100,00 DM.
Der Beklagte betreibt einen Großhandel mit Büchern, insbesondere Kinderbüchern und Kochbüchern, sowie sonstigen Gebrauchsund Geschenkartikeln wie Taschenrechnern, Kugelschreibern, Uhren etc. Der Kläger bewarb sich auf eine Zeitunganzeige des Beklagten mit folgendem Wortlaut:
“Fahrer gesucht für Verkauf und Auslieferung, guter Verdienst, gute Aufstiegsmöglichkeiten. Rufen Sie uns an und vereinbaren Sie einen Gesprächstermin …”
Daraufhin schlossen die Parteien unter dem 2. September 1996 einen “Kommissionär-Vertrag”, demzufolge der Kläger von dem Beklagten Konsumgüter bekommen und diese verkaufen sollte, wobei er den Preis, den er für die Ware an den Unternehmer abzurechnen hatte, nicht unterschreiten durfte. Der Unterschiedsbetrag zwischen dem vorgeschriebenen und dem erzielten Preis sollte die “Provision” des Klägers sein (Vertrag Nr. 1, 4.1, 4.2). Nach Nr. 6 des Vertrages sollte der Kläger “für die Regelung seiner steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten allein verantwortlich” sein; nach Nr. 7 konnte “das Kommissionärsverhältnis … von beiden Seiten jederzeit mit sofortiger Wirkung gekündigt werden”. Nach dem Vortrag des Beklagten sollte der Kläger täglich bei ihm Ware als Kommissionsgut kaufen und an eigene Kunden in eigenem Namen verkaufen.
Der Kläger meldete ein Gewerbe an. Die zu verkaufenden Gegenstände wurden um 7.30 Uhr bei dem Beklagten übergeben. Darauf hin schloß sich von 8.00 Uhr bis 9.00 Uhr ein Unterricht an. Abends wurde die restliche Ware wieder bei dem Beklagten abgegeben und abgerechnet.
Der Kläger übernahm am 3. September 1996 von dem Beklagten 36 Multifunktionslampen “Galaxis” und 40 Timer, von denen er an diesem Tag einige auf einem Parkplatz in Rüdesheim verkaufte. Der Erlös und der Rest der Waren wurden ihm nach seiner Behauptung an diesem Tag gestohlen. Am 4. September 1996 einigten sich die Parteien darauf, daß der Kläger für übernommene Ware 406,00 DM an den Beklagten zu zahlen habe; dem kam er am 5. September 1996 nach. Darauf kündigte eine Sekretärin des Beklagten das Rechtsverhältnis der Parteien fristlos.
Der Kläger hält die Arbeitsgerichte für zuständig. Er hat dazu vorgetragen: Es habe sich um eine Scheinselbständigkeit gehandelt. In Wirklichkeit habe ein Arbeitsverhältnis vorgelegen, da er persönlich abhängig gewesen sei. Er sei nichts anderes gewesen als Verkaufsfahrer mit Inkassovollmacht. Der Beklagte habe ihm bei dem Vorstellungstermin mitgeteilt, daß er im Monat zwischen 2.000,00 DM und 7.000,00 DM verdienen könne. Wer später als 7.30 Uhr erschienen sei, habe mit seiner Entlassung rechnen müssen. Die Teilnahme am theoretischen Unterricht sei verbindlich gewesen. Jeder Verkäufer habe ein bestimmtes Gebiet zugewiesen bekommen und habe in dem Gebiet anderer Verkäufer nicht verkaufen dürfen.
Der Beklagte hat die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit gerügt und vorgetragen: Aus dem Vertrag, aus einem dem Kläger übergegebenen Merkblatt und auch aus einer von diesem unterschriebenen Belehrung sei ersichtlich, daß es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis gehandelt habe. Der Kläger sei nicht weisungsabhängig gewesen. Zwar habe er täglich bei ihm, dem Beklagten, Waren kaufen und an Dritte verkaufen sollen. Er habe aber frei entscheiden können, ob und wieviel Ware er abnehme und wann und wo und zu welchem Preis er sie verkaufe. Aus organisatorischen Gründen sei lediglich die Zeit des Warenempfangs festgelegt gewesen. Die Teilnahme an der Verkaufsschulung sei freiwillig gewesen.
Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht verwiesen. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers hat das Landesarbeitsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig erklärt. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner weiteren sofortigen Beschwerde.
Entscheidungsgründe
II. Das Rechtsmittel des Beklagten ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat richtig entschieden. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gegeben (§ 2 Abs. 1 Nr. 3, § 5 Abs. 1 ArbGG). Der Kläger war entweder Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person nach § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG. Eine Wahlfeststellung ist zulässig.
1. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen auch für solche Personen gegeben, “die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind”. Das Arbeitsgerichtsgesetz hat den Begriff dieser Personengruppe nicht selbst bestimmt, sondern als bekannt vorausgesetzt. Diese Gruppe unterscheidet sich von den Arbeitnehmern durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, wobei vor allem die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit zu berücksichtigen ist. Arbeitnehmerähnliche Personen sind wegen ihrer fehlenden Eingliederung in eine betriebliche Organisation und im wesentlichen freier Zeitbestimmung nicht im gleichen Maße persönlich abhängig wie Arbeitnehmer. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit tritt das Merkmal der wirtschaftlichen Unselbständigkeit. Darüber hinaus muß der wirtschaftlich Abhängige auch seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig sein (BAGE 80, 256, 264 = AP Nr. 22 zu § 5 ArbGG 1979, zu B II der Gründe; Beschluß vom 25. Juli 1996 – 5 AZB 5/96 – AP Nr. 28 zu § 5 ArbGG 1979). Vertragsgegenstand müssen Leistungen für den anderen Vertragspartner sein (BAG Urteil vom 17. Februar 1973 – 5 AZR 466/72 – AP Nr. 31 zu § 2 ArbGG 1953 Zuständigkeitsprüfung). Das ist bei einer Verkaufstätigkeit auch dann der Fall, wenn der Verkauf – wie bei Kommissionsgeschäften (§ 383 HGB) – im eigenen Namen erfolgen soll (BAG Beschluß vom 16. Juli 1997 – 5 AZB 29/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen, für Verkäufe im Rahmen von Franchiseverträgen).
2. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Der Kläger sollte nach dem “Kommissionär-Vertrag” von der Beklagten Waren bekommen und an Dritte weiterverkaufen. Die Zeiten für die Entgegennahme der Ware, die Rückgabe restlicher Waren sowie die Abrechnung waren festgelegt. Das Rechtsverhältnis war auf längere Dauer angelegt. Dadurch wäre der Kläger, wie das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, in die Organisation der Beklagten so eingebunden gewesen, daß er daneben eine Erwerbstätigkeit in nennenswertem Umfang nicht hätte ausüben können. Daraus ergibt sich die wirtschaftliche Abhängigkeit des Klägers. Ob er Arbeitnehmer war, kann unentschieden bleiben. Zumindest war er seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig. Die kurze Dauer des Vertragsverhältnisses ändert daran nichts. Auf die Wirksamkeit dieser Vereinbarung und auf ihren genauen Inhalt kommt es im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nicht an.
3. Auf die Unterscheidung zwischen Fällen, in denen die Klage nur dann Erfolg haben kann, wenn der Kläger Arbeitnehmer ist und Fällen, in denen die Klage sowohl auf arbeitsrechtlicher, als auch auf nichtarbeitsrechtlicher Grundlage Erfolg haben kann kommt es daher hier ebenfalls nicht an, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat. Das Arbeitsgericht wird ggf. in der Sache zu prüfen haben, um welche Art von Rechtsverhältnis es sich handelte.
Unterschriften
Griebeling, Reinecke
Richter Schliemann ist im Urlaub
Griebeling
Fundstellen
Haufe-Index 884865 |
BAGE, 267 |
NJW 1998, 701 |
FA 1998, 19 |
NZA 1997, 1302 |
ZIP 1997, 2208 |