Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe. rückwirkende Bewilligung. Beschwer
Leitsatz (redaktionell)
Die rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nur insoweit sachgerecht, als der Antragsteller das für die Bewilligung Erforderliche und Zumutbare getan hat. So schadet es nicht, wenn der Antragssteller über Informationen oder Belege noch nicht verfügt, obwohl er sich im Rahmen des Zumutbaren um deren Beschaffung bemüht hat, oder Verzögerungen bei der Anhörung des Gegners oder gerichtlichen Bearbeitung auftreten.
Normenkette
ZPO § 127 Abs. 2, §§ 117, 122 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 3. September 2003 – 4 Ta 245/03 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I. Die Klägerin begehrt mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde die Gewährung von “Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwältin A… ab mündlicher Antragstellung (10.12.2002)”.
Mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2002, eingegangen am selben Tag, hatte die Klägerin Kündigungsschutzklage und Zahlungsklage erhoben. Im Gütetermin vom 10. Dezember 2002 hat die Klägervertreterin namens ihrer Mandantin zu Protokoll Prozesskostenhilfe beantragt und anschließend einen Vergleich geschlossen, den beide Parteien bis zum 24. Dezember 2002 widerrufen konnten. Ein Widerruf ist nicht erfolgt.
Am 13. Dezember 2002 ist beim Arbeitsgericht ein nicht unterschriebener Prozesskostenhilfeantrag der Klägervertreterin vom 9. Dezember 2002 nebst einer ausgefüllten, von der Klägerin zwar unterschriebenen, aber nicht mit Datum versehenen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingegangen. Unter “Andere Einnahmen” war “Krankengeld (Verletztengeld)” angegeben. Die dazugehörende Spalte “EUR brutto” war mit einem Fragezeichen versehen. Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2002 hat die Klägervertreterin eine Krankengeldbescheinigung der BARMER Ersatzkasse vom 11. November 2002 vorgelegt.
Mit dem ohne Rechtsmittelbelehrung versehenen Beschluss vom 18. Februar 2003 hat das Arbeitsgericht “der Klägerin für den 1. Rechtszug Prozesskostenhilfe mit Ratenzahlungen mit Wirkung vom 13.12.2002 unter Beiordnung von Rechtsanwältin A… … bewilligt”. Auf die mit Schriftsatz vom 11. März 2003 eingelegte und mit Schriftsatz vom 19. März 2003 erweiterte sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht den “PKH-Bewilligungsbeschluß des Arbeitsgerichts … dahingehend abgeändert, daß die Klägerin einstweilen ratenfrei bleibt”. Im Übrigen, also hinsichtlich des Bewilligungszeitpunkts hat es die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die prozessrechtlichen Voraussetzungen für die Rechtsbeschwerde sind erfüllt.
a) Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 iVm. § 78 ArbGG statthaft, weil sie vom Landesarbeitsgericht zugelassen worden ist und keine gesetzliche Sondervorschrift dieses Rechtsmittel ausschließt.
b) Die Rechtsanwältin hat die Rechtsbeschwerde nicht im eigenen Namen – was unzulässig wäre –, sondern für die Klägerin eingelegt.
aa) Wird die Prozesskostenhilfe nicht rückwirkend auf den begehrten Zeitpunkt, sondern mit späterer Wirkung bewilligt, so steht gegen diese teilweise Ablehnung der Prozesskostenhilfe nur dem Antragsteller selbst, nicht aber seinem beigeordneten Rechtsanwalt ein Beschwerderecht zu (vgl. ua. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO § 127 Rn. 73 f.; MünchKomm ZPO-Wax § 127 Rn. 40; Musielak/Fischer ZPO § 127 Rn. 15; Zöller/Philippi ZPO § 127 Rn. 15 jew. mwN). Der beigeordnete Rechtsanwalt ist insoweit nicht beschwert. Die Forderungssperre gegenüber dem Mandanten (§ 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) besteht nur für die nach der Beiordnung verwirklichten Gebühren auslösenden Tatbestände. Das wirtschaftliche Interesse an einem solventeren Gebührenschuldner begründet kein Beschwerderecht. Die Beiordnung des Rechtsanwalts im Prozesskostenhilfeverfahren dient nicht seinem Gebühreninteresse (vgl. BGH 26. Oktober 1989 – III ZR 147/88 – BGHZ 109, 163, 168 f.; OLG Köln 8. November 1999 – 14 WF 157/99 – NJW-RR 2000, 288).
bb) Im Zweifel will ein Rechtsanwalt kein unzulässiges, sondern ein zulässiges Rechtsmittel einlegen. Im vorliegenden Fall hat die Rechtsanwältin die Beschwerdeführerin in der Rechtsbeschwerdeschrift ebenso wenig ausdrücklich genannt wie in der sofortigen Beschwerde vom 11. März 2003. In der Erweiterung der sofortigen Beschwerde mit Schriftsatz vom 19. März 2003 ist klargestellt worden, dass die Beschwerde in Namen der Mandantin eingelegt worden ist. Die Rechtsbeschwerdeschrift enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich die Beschwerdeführerin nunmehr ändern sollte.
2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen es abgelehnt, der Klägerin rückwirkend zum 10. Dezember 2002 Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
a) Wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, konnte der Klägerin noch nach Bestandskraft des Vergleichs für die abgeschlossene Instanz Prozesskostenhilfe gewährt werden. Es genügt, dass vor Ablauf der Widerrufsfrist ein vollständiges Prozesskostenhilfegesuch bei Gericht eingegangen ist (vgl. ua. Zöller/Philippi ZPO § 119 Rn. 40; Künzl/Koller Prozesskostenhilfe Rn. 454). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt.
b) Die Rückwirkung der Prozesskostenhilfe darf grundsätzlich nicht auf einen Zeitpunkt vor vollständiger Antragstellung angeordnet werden. Einerseits sind die gesetzlichen Anforderungen an die Antragstellung (§ 117 ZPO) zu beachten. Andererseits darf der Antragsteller nicht überfordert, insbesondere nicht mit Risiken außerhalb seines Einflussbereichs belastet werden.
aa) Nach § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind dem Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen. § 117 Abs. 4 ZPO schreibt vor, dass sich die Parteien für die Erklärung der amtlichen Vordrucke zu bedienen haben. Grundsätzlich kann erst zu dem Zeitpunkt, in dem diesen Anforderungen genügt ist, Prozesskostenhilfe bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden (BGH 8. Oktober 1991 – XI ZR 174/90 – NJW 1992, 839; BFH 13. Mai 1992 – II S 1/92 –, zu II der Gründe jeweils mwN). Regelmäßig wird der Beschluss erst mit Zugang wirksam. Die Rückwirkung bedarf einer Rechtfertigung und ist nur insoweit sachgerecht, als der Antragsteller das für die Bewilligung Erforderliche und Zumutbare getan hat. Falls der Antragsteller über Informationen oder Belege noch nicht verfügt, obwohl er sich im Rahmen des Zumutbaren um deren Beschaffung bemüht hat, steht die unverzügliche Ergänzung der Erklärung oder das unverzügliche Nachreichen der Belege einer Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Antragstellung nicht entgegen. Ebenso wenig darf die sich aus der Anhörung des Gegners oder der gerichtlichen Bearbeitung ergebende Verzögerung zu Lasten des Antragstellers gehen (vgl. ua. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe Rn. 505). Dementsprechend kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang die Bewilligung erwartet werden kann. Häufig wird dieser Zeitpunkt als Entscheidungs- oder Bewilligungsreife bezeichnet (vgl. ua. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO § 119 Rn. 5; Thomas/Putzo/Reichold ZPO § 119 Rn. 4; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs aaO Rn. 503).
bb) § 117 ZPO und die sich daraus ergebenden prozessrechtlichen Anforderungen an eine rückwirkende Bewilligung der Prozesskostenhilfe gelten auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren. Das Arbeitsgerichtsgesetz enthält insoweit keine Sonderregelungen. Vielmehr verweist § 11a Abs. 3 ArbGG auf “die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe”. Die Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens eröffnen keine die Anforderungen des § 117 ZPO außer Acht lassende Rückwirkung des Bewilligungsbeschlusses. Der arbeitsgerichtliche Beschleunigungsgrundsatz ändert nichts daran, dass die Antragsteller das ihnen Zumutbare für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe unternehmen und die Vorschriften des § 117 ZPO beachten müssen. Dies stellt keine Überforderung dar.
cc) Die Klagefrist des § 4 KSchG liefert entgegen der Ansicht der Klägerin kein Gegenargument. Die Mittellosigkeit ist kein Hindernis für eine rechtzeitige Klageerhebung, weil an eine Kündigungsschutzklage nur geringe Anforderungen zu stellen sind, diese Klage mit Hilfe der Rechtsantragsstelle eines Arbeitsgerichts erhoben werden kann und nach § 12 Abs. 4 Satz 2 ArbGG in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung (= § 11 GKG in der ab 1. Juli 2004 geltenden Fassung) Kostenvorschüsse nicht erhoben werden (allgemeine Ansicht; vgl. ua. B B D W Wenzel KSchG § 5 Rn. 141; HK-KSchG/Hauck § 5 Rn. 54 f.; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG § 5 Rn. 9; KR-Friedrich § 5 KSchG Rn. 28; LAG Köln 11. März 1996 – 10 Ta 22/96 – LAGE KSchG § 4 Nr. 34; LAG Nürnberg 23. Oktober 2003 – 7 Ta 174/03 – LAGE ZPO 2002 § 114 Nr. 1, zu II 2b aa der Gründe).
dd) Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin am 10. Dezember 2002 noch nicht das ihr Zumutbare für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe getan. Sie hatte mit Schriftsatz ihrer Rechtsanwältin vom 31. Oktober 2002 Kündigungsschutzklage erhoben. Im Gütetermin vom 10. Dezember 2002 lag die undatierte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch nicht vor. Sie ging erst am 13. Dezember 2002 bei Gericht ein. Frühestens zu diesem Zeitpunkt konnte der Klägerin Prozesskostenhilfe bewilligt werden. Die Krankengeldbescheinigung der BARMER Ersatzkasse wurde, obwohl sie vom 11. November 2002 stammt, erst am 23. Dezember 2002 nachgereicht. Die Erklärung der Klägerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse enthielt noch keine Angaben zur Höhe des Krankengeldes. Zu Recht hat es das Landesarbeitsgericht offen gelassen, ob die Rückwirkung erst zum 23. Dezember 2002 angeordnet werden konnte. Diese Frage spielt im Ergebnis keine Rolle. Sowohl der 13. Dezember 2002 als auch der 23. Dezember 2002 liegen nach Abschluss des Vergleichs und vor Ablauf der Widerrufsfrist.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Bepler
Fundstellen
Haufe-Index 1438171 |
BAGReport 2005, 379 |