Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung bei Versetzungen. Aufhebung der personellen Maßnahmen. Versetzungsbegriff. unbestimmter Rechtsbegriff. Aufhebung einer mitbestimmungswidrigen personellen Maßnahme
Leitsatz (redaktionell)
Hinweise des Senats:
Eingeschränkte Überprüfung der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs im Rechtsbeschwerdeverfahren
Orientierungssatz
1. Die Prozeßvollmacht berechtigt den Verfahrensbevollmächtigten zur Einlegung von Rechtsmitteln (§ 81 ZPO). Ob der Betriebsrat einen entsprechenden Beschluß gefaßt hat, ist für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde ohne Bedeutung.
2. Bei der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs – hier: Versetzungsbegriff – steht dem Landesarbeitsgericht ein Beurteilungsspielraum zu. Die Prüfungskompetenz des Bundesarbeitsgerichts im Rechtsbeschwerdeverfahren ist insoweit eingeschränkt.
Normenkette
BetrVG § 95 Abs. 3, §§ 99, 101
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 19. September 2000 – 13 TaBV 110/99 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Gründe
A. Die Beteiligten streiten über die Aufhebung von personellen Maßnahmen.
Die Arbeitgeberin betreibt ua. die Spielbank in B. O. Der Antragsteller ist der dort gewählte Betriebsrat. In der Spielbank gab es in der Vergangenheit folgende Hierarchiestufen: Geschäftsführender Direktor als Leiter der Spielbank, ihm unterstellt der leitende Saalchef, darunter die Saalchefs, die Tischchefs, die Croupiers und die Kassierer. Auf der Ebene der Saalchefs waren die in den Anträgen aufgeführten Arbeitnehmer Z., K., S., Kö., L. und M. beschäftigt und in die Gruppe 8 des Entgeltrahmentarifvertrags für punktbesoldete Arbeitnehmer/innen der Westdeutsche Spielbanken GmbH & Co. KG in der Spieltechnik und in der Kasse eingruppiert. Die Saalchefs nahmen abwechselnd die Aufgabe eines „hauptverantwortlichen Saalchefs” (HV) wahr, der bei Verhinderung den Spielbankdirektor oder den leitenden Saalchef zu vertreten hatte.
In den Jahren 1998 und 1999 führte die Arbeitgeberin eine neue Betriebsführungsstruktur ein: Dem Spielbankdirektor wurden vier Bereichsleiter mit den Einzelbereichen „Gästeservice/Marketing”, „Klassisches Spiel”, „Automatenspiel” und „Personal/Administration” unterstellt, denen jeweils stellvertretende Bereichsleiter zugeordnet sind. Im vorliegenden Beschlußverfahren geht es um den Bereich „Klassisches Spiel”; in diesem sind dem Bereichsleiter die Spielaufsicht, die Croupiers und die Kassierer unterstellt und zur Vertretung die Herren Z., K. und S. als stellvertretende Bereichsleiter nachgeordnet.
Die Arbeitgeberin teilte den Saalchefs Kö., L. und M. mit Schreiben vom 14. Januar 1999 mit, daß ihre Tätigkeit mit Wirkung vom 16. Januar 1999 geändert werde. In dem Schreiben heißt es ua.: „… Ihre Aufgabe ist die Saalaufsicht. Diese beinhaltet insbesondere: …. Einzelheiten regelt u.a. die Neufassung des § 32 der Dienstanweisung für das Service- und spieltechnische Personal …. Alle Ihnen bis zum heutigen Tage zugeordneten Aufgaben und Einzelanweisungen sind unwirksam und entfallen ab sofort”. Dies führte ua. dazu, daß für diese drei Arbeitnehmer die Tätigkeit als „hautpverantwortlicher Saalchef” wegfiel. Ferner teilte die Arbeitgeberin auf einer Mitarbeiterversammlung mit, daß die früheren Saalchefs Z., K. und S. im Bedarfsfall den Bereichsleiter im Bereich „Klassisches Spiel” vertreten sollten. Die Bereichsleiter und ihre Stellvertreter wurden intensiv auf die neuen Führungsaufgaben vorbereitet. Die Arbeitgeberin führte sog. „Bereichsleitersitzungen” ein, an denen auch die stellvertretenden Bereichsleiter teilnehmen.
Der Betriebsrat, der nicht beteiligt worden war, ist der Auffassung, bei den zur Umsetzung der Neuorganisation durchgeführten Maßnahmen handele es sich um mitbestimmungspflichtige Versetzungen. Den früheren Saalchefs Z., K. und S. seien zusätzliche Aufgaben übertragen worden, indem sie zu stellvertretenden Bereichsleitern ernannt worden seien. Durch die Einführung der Bereichsleitungen und deren Stellvertretung würden den bisherigen Saalchefs Kö., L. und M. vielfältige und wichtige Aufgaben entzogen – zB die Tischeöffnung und die Einteilung des spieltechnischen Personals an den Tischen sowie die für den Arbeitsablauf notwendigen Schreibarbeiten, die Tischabschließung, die Tagesabrechnung, die Überwachung und Durchführung von Wechselvorgängen und Nachlagen sowie Besuchssperren. Für eine Versetzung spreche auch die Unterordnung unter die stellvertretenden Bereichsleiter. Durch die Bereichsleitersitzungen haben sich auch die Kommunikationsstrukturen geändert. Das Gesamtbild der jeweiligen Tätigkeit habe sich so erheblich geändert, daß Versetzungen im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG vorlägen. Der Betriebsrat könne nach § 101 BetrVG die Aufhebung der Maßnahmen verlangen.
Der Betriebsrat hat beantragt,
- die Arbeitgeberin zu verpflichten, die Beschäftigung der Saalchefs Z., K. und S. als stellvertretende Bereichsleiter aufzuheben;
- die Arbeitgeberin zu verpflichten, die Beschäftigung der Saalchefs Kö., L. und M. gemäß Anweisung „B Spieltechnik Personal § 32 Aufgaben der Saalleiter” (mitgeteilt mit Schreiben vom 14. Januar 1999) und gemäß dem Vermerk vom 23. Februar 1999 aufzuheben.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, mitbestimmungspflichtige Versetzungen lägen nicht vor. Für die Saalchefs habe sich nur wenig geändert, so daß sie nach wie vor in die Tarifgruppe 8 eingruppiert seien. Die Mitarbeiter L., M., Z., K. und S. seien auch nach der Umorganisation überwiegend im Saaldienst tätig, lediglich im Verhinderungsfalle werde der Bereichsleiter Sc. nunmehr von den Herren Z., K. und S. vertreten. Die administrativen Aufgaben der Saalaufsicht umfaßten maximal 15 %, auch die Funktion des „HV” sei verhältnismäßig selten – nämlich nur im Vertretungsfall – wahrgenommen worden. Die Hierarchiestufen zwischen den Saalchefs und der Geschäftsleitung hätten sich nicht geändert. Die mit der Neuorganisation verbundenen Änderungen beträfen nur einen geringen Teil der Tätigkeit, von einer erheblichen Änderung der Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten sei, könne nicht die Rede sein. Im übrigen hat die Arbeitgeberin mit Nichtwissen bestritten, daß der Betriebsrat einen ordnungsgemäßen Beschluß über die Einleitung des vorliegenden Verfahrens und die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens gefaßt hat.
Das Arbeitsgericht hat den Anträgen des Betriebsrats stattgegeben. Wegen des Ausscheidens des Mitarbeiters Kö. ist das Verfahren insoweit vom Landesarbeitsgericht eingestellt worden. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Beschwerde der Arbeitgeberin die Anträge abgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seine Anträge weiter. Die Arbeitgeberin bittet, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen. In der mündlichen Anhörung vor dem Senat wurde auf übereinstimmende Erledigungserklärung der Beteiligten das Verfahren betreffend den Arbeitnehmer L. eingestellt.
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet.
I. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist zulässig.
Der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats konnte für diesen wirksam Rechtsbeschwerde einlegen. Das Bestreiten der Arbeitgeberin mit Nichtwissen, ob der Betriebsrat einen ordnungsgemäßen Beschluß hinsichtlich der Einleitung und Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens gefaßt hatte, ist für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde ohne Bedeutung. Die vom Betriebsrat seinem Verfahrensbevollmächtigten erteilte Prozeßvollmacht, die von der Arbeitgeberin nicht in Abrede gestellt wird, berechtigt diesen auch zur Einlegung der Rechtsbeschwerde. Nach § 85 Abs. 1 ZPO sind die vom Bevollmächtigten vorgenommenen Prozeßhandlungen für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen worden wären. Das gilt auch für die Einlegung der Rechtsbeschwerde. Gemäß § 81 ZPO ermächtigt die Prozeßvollmacht zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozeßhandlungen, also auch zur Einlegung von Rechtsmitteln(Thomas/Putzo ZPO 23. Aufl. § 81 Rn.1). Anhaltspunkte dafür, daß das Vertretungsverhältnis des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats schon beendet gewesen wäre, sind nicht ersichtlich und von der Arbeitgeberin auch nicht vorgetragen.
II. Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die streitgegenständlichen Maßnahmen der Arbeitgeberin seien nicht als mitbestimmungspflichtige Versetzungen im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne anzusehen, hält das der Überprüfung in der Rechtsbeschwerdeinstanz stand.
1. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, hinsichtlich der Saalchefs Z., K. und S. lägen keine mitbestimmungspflichtigen Versetzungen vor, weil die Aufgabe, den Bereichsleiter Sc. im Verhinderungsfall zu vertreten, ihrer Gesamttätigkeit kein neues Gepräge gebe. Auch die Veränderung der Tätigkeit des früheren Saalchefs M. stelle keine mitbestimmungspflichtige Versetzung dar. Die neue Bezeichnung als Saalaufsicht sei lediglich eine Veränderung der Benennung. Der Umstand, daß der Arbeitnehmer M. nicht mehr dem leitenden Saalchef, sondern dem Bereichsleiter und im Falle von dessen Verhinderung einem stellvertretenden Bereichsleiter unterstellt sei, ändere an der organisatorischen Stellung und der Verantwortung des Mitarbeiters nichts. Allerdings seien dem Saalchef M. einzelne zuvor wahrgenommene Funktionen entzogen worden. Dabei handele es sich aber nicht um einen wesentlichen, qualitativ prägenden Teil seiner Tätigkeit. Die eingetretenen Veränderungen seien insgesamt nicht so erheblich, daß sich das Gesamtbild der Tätigkeit geändert hätte.
2. Diese Ausführungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Bei dem Begriff der Versetzung im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Dem Landesarbeitsgericht steht bei der Prüfung, ob eine Versetzung vorliegt, ein Beurteilungsspielraum zu(GK-ArbGG/Ascheid § 73 Rn. 22; Germelmann/Matthes/Prütting ArbGG 3. Aufl. § 73 Rn. 7; Hauck ArbGG § 73 Rn. 5). Die revisionsrechtliche Prüfungskompetenz des Bundesarbeitsgerichts ist insoweit auch im Beschlußverfahren beschränkt(BAG 24. Februar 1976 – 1 ABR 62/75 – AP BetrVG 1972 § 4 Nr. 2 = EzA BetrVG 1972 § 4 Nr. 1, zu III 4 der Gründe). Eine Rechtsverletzung bei der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs liegt nur dann vor, wenn der Rechtsbegriff selbst verkannt worden ist, bei der Unterordnung des festgestellten Sachverhalts unter diesen Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt worden sind, bei der gebotenen Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden oder das Ergebnis in sich widersprüchlich ist(Germelmann/Matthes/Prütting aaO § 73 Rn. 7; BAG 24. Juli 1991 – 7 ABR 68/90 – BAGE 68, 187, zu B II 2 der Gründe).
b) Nach diesen Grundsätzen ist der Beschluß des Landesarbeitsgerichts nicht zu beanstanden. Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts hat der Betriebsrat nicht aufgezeigt, sie sind auch nicht ersichtlich. Das Landesarbeitsgericht ist von dem in ständiger Rechtsprechung entwickelten Rechtsbegriff der Versetzung ausgegangen.
Nach der Legaldefinition in § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG liegt eine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne in der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs. Unter Arbeitsbereich ist der konkrete Arbeitsplatz einschließlich seiner Beziehungen zur betrieblichen Umgebung in räumlicher, technischer und organisatorischer Hinsicht zu verstehen(BAG 2. April 1996 – 1 AZR 743/95 – AP BetrVG 1972 § 95 Nr. 34 = EzA BetrVG 1972 § 95 Nr. 29; 23. November 1993 – 1 ABR 38/93 – BAGE 75, 97; 19. Februar 1991 – 1 ABR 21/90 – BAGE 67, 225; Däubler/Kittner/Klebe-Kittner BetrVG 7. Aufl. § 99 Rn. 90; Fitting/Kaiser/Heither/Engels BetrVG 20. Aufl. § 99 Rn. 94; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Glaubitz BetrVG 5. Aufl. § 99 Rn. 46). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats liegt die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs vor, wenn der Gegenstand der geschuldeten Arbeitsleistung, also der Inhalt der Arbeitsaufgabe ein anderer wird und sich das Gesamtbild der Tätigkeit des Arbeitnehmers ändert(BAG 19. Februar 1991 – 1 ABR 21/90 – aaO, zu B II 2 der Gründe).
Wenn das Landesarbeitsgericht unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung im vorliegenden Fall eine Versetzung verneint, hat es weder den Rechtsbegriff der Versetzung verkannt noch Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt. Es ist auch nicht ersichtlich, daß bei der erforderlichen Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt worden wären. Das Landesarbeitsgericht hat auch nicht nur die einzelnen Veränderungen gewürdigt, sondern – entgegen der Rüge des Betriebsrats – eine Gesamtbetrachtung der eingetretenen Veränderungen vorgenommen und danach die jetzige Tätigkeit der Arbeitnehmer Z., K. und S. wie auch des Mitarbeiters M. nicht als eine nach ihrem Gesamtbild andere Tätigkeit angesehen. Es spricht ferner nichts dafür, daß das Ergebnis in sich widersprüchlich wäre.
Unterschriften
Wißmann, Hauck, Schmidt, Kehrmann, Frischholz
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 11.09.2001 durch Klapp, der Geschäftsstelle
Fundstellen
NZA 2002, 232 |
SAE 2002, 202 |
EzA |