Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe. Entschädigung für überlange Verfahrensdauer. Revisionsverfahren
Orientierungssatz
1. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Hierbei handelt es sich um eine beispielhafte, nicht abschließende Auflistung von Umständen, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind.
2. Einem Revisionsgericht ist, auch wenn das Interesse der Parteien an einer umgehenden Entscheidung nicht völlig zurücktreten darf, angesichts seiner besonderen Verantwortung für die Wahrung der Einheitlichkeit und für die Fortentwicklung der Rechtsprechung in angemessenem Umfang Zeit für eine intensive Vorbereitung der Entscheidung und eine damit einhergehende Sichtung und Bewertung der vorliegenden Rechtsprechung und des Meinungsstandes im Schrifttum einzuräumen. Dies ist bei der Beurteilung der Verfahrensdauer in der Revisionsinstanz angemessen zu berücksichtigen.
Normenkette
GVG §§ 198, 201; ArbGG § 9 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe nebst Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt F. für die beabsichtigte Einlegung einer Entschädigungsklage hinsichtlich der Dauer des Verfahrens vor dem Bundesarbeitsgericht zum Aktenzeichen – 8 AZR 418/15 – wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe vom 27. Mai 2017 ist unbegründet. Die beabsichtigte Klage auf Entschädigung wegen der Dauer des Verfahrens vor dem Bundesarbeitsgericht zum Aktenzeichen – 8 AZR 418/15 – bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Von einer unangemessenen Verfahrensdauer, wie sie der Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG voraussetzt, ist nach den beigezogenen Akten des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts nicht auszugehen.
1. Das Bundesarbeitsgericht ist gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 ArbGG iVm. § 201 Abs. 1 Satz 2 GVG für die beabsichtigte Klage gegen den Bund zuständig. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 24. August 2017 (– III ZA 15/17 –) das bei ihm von der Antragstellerin anhängig gemachte „Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren” an das Bundesarbeitsgericht abgegeben.
2. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 21. März 2016 und damit mehr als sechs Monate vor der Anbringung des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage auf Entschädigung eine Verzögerungsrüge iSv. § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG erhoben.
3. Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet.
a) Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Hierbei handelt es sich um eine beispielhafte, nicht abschließende Auflistung von Umständen, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind (BT-Drs. 17/3802 S. 18). Weitere gewichtige Beurteilungskriterien sind die Verfahrensführung durch das Gericht sowie die zur Verfahrensbeschleunigung gegenläufigen Rechtsgüter der Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen, der Beachtung der richterlichen Unabhängigkeit und des gesetzlichen Richters. Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben besteht deshalb ein Ermessen des verantwortlichen Gerichts hinsichtlich der Verfahrensgestaltung (BGH 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 – Rn. 26 ff. mwN). Einem Revisionsgericht ist, auch wenn das Interesse der Parteien an einer umgehenden Entscheidung nicht völlig zurücktreten darf, angesichts seiner besonderen Verantwortung für die Wahrung der Einheitlichkeit und für die Fortentwicklung der Rechtsprechung in angemessenem Umfang Zeit für eine intensive Vorbereitung der Entscheidung und eine damit einhergehende Sichtung und Bewertung der vorliegenden Rechtsprechung und des Meinungsstandes im Schrifttum einzuräumen (vgl. BVerfG 7. Juni 2011 – 1 BvR 194/11 – Rn. 34 ff.).
b) Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist dabei stets im Lichte der aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, zu beurteilen (BGH 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 – Rn. 27 mwN). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gibt dabei allerdings ebenso wenig wie das Bundesverfassungsgericht feste Fristen vor, sondern stellt auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls ab. Der Rechtsprechung des EGMR ist jedoch zu entnehmen, dass vorbehaltlich dieser besonderen Umstände eine Verfahrensdauer von eineinhalb bis zu zwei Jahren je Instanz in der Regel nicht gegen Art. 6 EMRK verstößt (vgl. Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer EMRK 4. Aufl. Art. 6 Rn. 199; Peukert in Frowein/Peukert EMRK-Kommentar 3. Aufl. Art. 6 Rn. 249, jeweils mwN).
c) Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist grundsätzlich die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer von der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss (§ 705 ZPO). Dies gilt auch dann, wenn es über mehrere Instanzen und/oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist (BVerwG 11. Juli 2013 – 5 C 23/12 D – Rn. 17, BVerwGE 147, 146). Nach der Rechtsprechung des EGMR ist die Zeit bis zur Zustellung der Entscheidung hinzuzurechnen (vgl. EGMR 30. März 2010 – 46682/07 – Rn. 36).
d) Im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung ist unter Abwägung aller Einzelfallumstände zu prüfen, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat (BSG 5. Mai 2015 – B 10 ÜG 8/14 R – Rn. 36). Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Dementsprechend wird die Verfahrensführung des Gerichts im nachfolgenden Entschädigungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (BGH 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 – Rn. 30 mwN). Da der Rechtsuchende keinen Anspruch auf eine optimale Verfahrensförderung hat (vgl. BVerwG 11. Juli 2013 – 5 C 23/12 D – Rn. 39, BVerwGE 147, 146), begründen eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der jeweiligen Prozessordnung vertretbare Verfahrensleitung auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben (BGH 12. Februar 2015 – III ZR 141/14 – Rn. 26, BGHZ 204, 184; vgl. Schlick WM 2016, 485, 487).
4. Nach diesen Grundsätzen bietet die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg iSv. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
a) Der Begründung des PKH-Antrags ist zu entnehmen, dass die Antragstellerin mit ihrer beabsichtigten Klage eine Entschädigung wegen unangemessen langer Dauer des Revisionsverfahrens verlangt. Ob im Hinblick auf die nach § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG maßgebliche Gesamtverfahrensdauer von der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss eine solche Teilklage zulässig ist (dafür Steinbeiß-Winkelmann/Ott Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren 2013 Teil 2 A § 198 GVG Rn. 52), bedarf hier keiner Entscheidung. Auch bei einer isolierten Betrachtung des Verfahrens vor dem Bundesarbeitsgericht bestehen offensichtlich keine Anhaltspunkte für eine unangemessene Dauer des Revisionsverfahrens.
aa) Das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht begann am 3. August 2015 mit Zustellung des Beschlusses zur Zulassung der Revision. Formelle Rechtskraft (§ 705 ZPO) trat mit Verkündung des Revisionsurteils am 15. Dezember 2016 ein (vgl. Zöller/Seibel ZPO 32. Aufl. § 705 Rn. 8). Das Urteil wurde der Antragstellerin am 21. April 2017 zugestellt. Die Gesamtverfahrensdauer betrug damit knapp 21 Monate.
bb) Die Verfahrensführung durch den Senat nach Eingang der Revisionsbegründung am 2. Oktober 2015 bis zur Terminierung der mündlichen Verhandlung mit Verfügung vom 4. Mai 2016 ist bei Würdigung aller Umstände nicht zu beanstanden. Der Termin zur mündlichen Revisionsverhandlung ist entsprechend § 74 Abs. 2 Satz 1 ArbGG unverzüglich bestimmt worden. Ausgehend vom gerichtlichen Hinweis vom 8. Januar 2016, dass wegen der Geschäftslage des Senats ein Termin zur mündlichen Verhandlung frühestens im vierten Quartal 2016 möglich sei, sowie vom weiteren gerichtlichen Hinweis vom 23. März 2016, wonach eine Terminierung der Revisionsverfahren grundsätzlich in der Reihenfolge des Eingangs erfolge und nach wie vor eine solche im vierten Quartal 2016 beabsichtigt sei, liegt eine ordnungsgemäße Verfahrensleitung vor.
cc) Auch der Zeitraum zwischen der Verfügung der Terminierung vom 4. Mai 2016 bis zur mündlichen Verhandlung und Verkündung des Revisionsurteils am 15. Dezember 2016 hat keine Dauer erreicht, die sachlich nicht mehr zu rechtfertigen wäre. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die in dem Rechtsstreit aufgeworfenen Rechtsfragen hinsichtlich der Benachteiligung von Bewerbern im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes als schwierig einzustufen sind. Dies entspricht im Übrigen auch der Einschätzung der Antragstellerin. Die Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit für dieses Revisionsverfahren hat damit offensichtlich kein zeitlich unvertretbares Ausmaß angenommen, welches das persönliche Interesse der Antragstellerin an einer zeitnahen Entscheidung unangemessen beeinträchtigen würde.
dd) Schließlich bildet auch der Zeitraum von Verkündung des Revisionsurteils am 15. Dezember 2016 bis zur Zustellung der schriftlich abgefassten Entscheidungsgründe am 21. April 2017 an den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin keine Verfahrensdauer ab, die sich als unverhältnismäßig darstellen könnte. Hierbei darf nicht außer Acht bleiben, dass die Antragstellerin selbst durch erkennbar aussichtslose Anträge – Befangenheitsantrag der Antragstellerin vom 16. Dezember 2016, Anhörungsrüge vom 23. Dezember 2016 und Protokollberichtigungsantrag vom 2. Januar 2017 – das Verfahren in dieser Zeit verzögert hat.
ee) In Gesamtheit all dieser Umstände ist eine unangemessene Dauer des Revisionsverfahrens nicht ansatzweise erkennbar.
b) Die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet damit offensichtlich keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war daher abzuweisen.
5. Mangels Begründetheit des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 121 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht.
6. Eine Stellungnahme der Bundesrepublik Deutschland wurde wegen der Unbegründetheit des Prozesskostenhilfeantrags nicht eingeholt.
II. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Unterschriften
Linck, Biebl, Volk
Fundstellen
Haufe-Index 11441345 |
BB 2018, 180 |
NJW 2018, 724 |
NJW 2018, 9 |
FA 2018, 106 |
JR 2020, 217 |
NZA 2018, 262 |
AP 2018 |
EzA-SD 2018, 16 |
EzA 2018 |
AUR 2018, 104 |
ArbR 2018, 83 |
AP-Newsletter 2018, 67 |